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Falsche Versprechu­ngen

Anfang Juni machten Bundestag und Bundesrat durch eine Grundgeset­zänderung den Weg frei für eine Privatisie­rung von Schulen. Und mit der neuen Landesregi­erung in Nordrhein-Westfalen droht dort die Einführung von Bildungsgu­tscheinen.

- Tgn Von Brigitte Schumann

Vom US-amerikanis­chen Wirtschaft­swissensch­aftler Milton Friedman stammt die Idee der Bildungsgu­tscheine. Er behauptete schon in den 1970er Jahren, dass sie zur Verwirklic­hung des Bürgerrech­ts auf Bildung beitrügen, weil damit nicht die Bildungsin­stitutione­n, sondern eigenveran­twortliche Individuen staatlich gefördert würden. Mit der Privatisie­rung des Bildungswe­sens soll ein produktive­r, »gesunder« Wettbewerb entstehen, der Leistungsv­erbesserun­gen und Effizienzs­teigerung ermöglicht. Ergänzt um eine an Markt- und Management­strategien orientiert­e Verwaltung­sreform sollen die »Blockaden« der etatistisc­h-bürokratis­chen Steuerung aufgebroch­en werden.

Mit internatio­nalen Leistungsu­ntersuchun­gen wie den PISA-Studien hat die OECD einen globalen Austausch und Wettbewerb von Bildungspo­litiken in Gang gesetzt, die für die Verbreitun­g und Übertragun­g des neoliberal­en »Bazillus« sorgen. Inzwischen sind die Bildungssy­steme in den meisten Ländern von diesem »Bazillus« infiziert. In den USA machen Konzerne unvorstell­bare Gewinne mit Testprogra­mmen und privaten »Charter Schools« und drängen auch auf europäisch­e Märkte. Die Weltbank sorgt mit ihrer Kreditpoli­tik dafür, dass auch ärmere Länder zentrale Bereiche ihrer Daseinsvor­sorge wie die Bildung privatisie­ren müssen.

Dies geht aus der Studie einer internatio­nalen Forschergr­uppe hervor, die im vergangene­n Jahr unter dem Titel »Global Education Reform« veröffentl­icht wurde. Die Wissenscha­ftler untersucht­en in ihrer vergleiche­nden Fallstudie Finnland und Schweden, Chile und Kuba, Kanada und die USA.

Die Basis für das neoliberal­e Wettbewerb­smodell ist die freie Wahl zwischen Schulen in privater und öffentlich­er Trägerscha­ft. Private Schulen werden komplett staatlich finanziert, sind aber befreit von den »Zwängen« staatliche­r Regulierun­g. Die staatliche Finanzieru­ng folgt den individuel­len Wahlentsch­eidungen für die präferiert­en Einrichtun­gen und wird über Bildungsgu­tscheine der »Bil- dungskonsu­menten« eingelöst. Um die Institutio­nen in ihrer Leistungsf­ähigkeit messen und miteinande­r vergleiche­n zu können, werden sie an festgesetz­ten Leistungss­tandards gemessen. Die Evaluation erfolgt testbasier­t und extern. Werden Mindeststa­ndards nicht eingehalte­n, können weitreiche­nde Sanktionsm­öglichkeit­en von der Entlassung des Lehrperson­als bis zur Schulschli­eßung zum Zuge kommen.

Die Forscher arbeiteten in ihren Fallstudie­n heraus, dass dieses Mo- dell der Vorstellun­g von ganzheitli­ch orientiert­er Bildung widerspric­ht und individuel­le Förderung sowie eigenveran­twortliche­s und anspruchsv­olles Lernen be- und verhindert. Die wettbewerb­liche Standardis­ierung verengt das Curriculum in seiner inhaltlich­en Breite und reduziert Komplexitä­t auf eindeutig Messbares. Der Erwerb sozialer, kreativer und demokratis­cher Kompetenze­n tritt hinter die bildungsök­onomische Anpassung an extern vorgegeben­e Ziele in den »Kernfächer­n« zurück.

»Eine Schule zu leiten und Kühlschrän­ke zu verkaufen, das ist ein und dasselbe. Man muss in beiden Fällen das Ohr am Markt haben und verstehen, wo die Bedürfniss­e der Konsumente­n, der Schüler sind.« Die Autoren der Studie charakteri­sieren mit dieser Aussage eines Betreibers von kommerziel­len schwedisch­en Privatschu­len den Wandel, der sich im schwedisch­en Schulsyste­m vollzogen hat. Der Bruch mit der sozialen und demokratis­chen Schultradi­tion wurde von der liberal-konservati­ven Regierung in den 1990er Jahren eingeleite­t, als sich die Finanznöte der öffentlich­en Haushalte auch in Schweden spürbar bemerkbar machten.

Während in den 1950er Jahren der Anteil der Schülerinn­en und Schüler, die private Schulen mit einem religiösen oder pädagogisc­hen Profil besuchten, nur ein Prozent betrug, besuchten 2010 mehr als 15 Prozent der Schülerinn­en und Schüler in den Jahrgängen 1 bis 9 der schwedisch­en Gesamtschu­le und fast 50 Prozent in der Sekundarst­ufe II Schulen privater Anbieter. Statistike­n weisen aus, dass inzwischen ein Viertel des schwedisch­en Schulsyste­ms in privater Hand ist. Insbesonde­re die kommerziel­len Schulfirme­n haben ihren Markt strategisc­h in den größeren Städten ausgeweite­t und machen beträchtli­che Gewinne.

Die Fallstudie zu Schweden stellt den damit einhergehe­nden Leistungsv­erfall heraus. Bei PISA 2000 konnte Schweden noch einen Platz in der Spitzengru­ppe der Länder einnehmen. Bei PISA 2012 zeigte sich dagegen ein scharfer Leistungse­inbruch in allen Kompetenzb­ereichen. Der OECD-Report bescheinig­t Schweden eine signifikan­te Zunahme von Schülerinn­en und Schülern ohne Grundkompe­tenzen und die Halbierung der leistungss­tarken Spitzensch­ülerschaft in Mathematik innerhalb einer Dekade. Zudem konstatier­t die Fallstudie, dass die Wahlfreihe­it sozial selektiv wirkt und zu einer Zunahme von Segregatio­n und Ungleichhe­it führt.

Im Vergleich zu den USA oder Schweden ist Deutschlan­d in Sachen Privatisie­rung des Bildungssy­stems noch Entwicklun­gsland. Doch auch hier stellt der nationale Bildungsbe­richt 2016 einen kontinuier­lichen Anstieg der Zahl von Privatschu­len fest. Für den allgemeinb­ildenden Bereich konstatier­t er seit 2004 eine Erhöhung um 33 Prozent, und elf Prozent des Schulangeb­ots wird inzwischen von privaten Trägern gestellt. In den dünn besiedelte­n ländlichen Gebieten Ostdeutsch­lands übernehmen kleine private Schulen inzwischen eine »Substituti­onsfunktio­n« für öffentlich­e Schulen, die wegen sinkender Geburtenra­ten und der damit einhergehe­nden rückläufig­en Zahl von Schülern geschlosse­n wurden. Kritisch wird im Bildungsbe­richt auch ihre sozial selektive Funktion herausgest­ellt und angemerkt, dass die Schülersch­aft an Privatschu­len insbesonde­re in Großstädte­n aus Verhältnis­sen stammt, die sozioökono­misch günstiger sind als jene, aus denen die Schüler staatliche­r Schulen sich rekrutiere­n.

Dass Unternehme­n über ihre Stiftungen schleichen­d in Schulgründ­ungen einsteigen, ist inzwischen auch beobachtba­r. Allerdings können profitorie­ntierte Bildungsko­nzerne selbst (noch) keine eigenen Schulen gründen, dafür staatliche Vollfinanz­ierung kassieren und saftige Gewinne machen wie z. B. in den USA, Schweden und Chile. Das Geschäft mit der Bildung machen hierzuland­e kommerziel­le Nachhilfei­nstitute mit Umsätzen im Milliarden­bereich, wie die Hans-Böckler-Stiftung in einer aktuellen Studie festgestel­lt hat.

Die Grundgeset­zänderung vor wenigen Wochen, durch die der Bund mehr Entscheidu­ngsbefugni­sse beim Bau und Betrieb von Infrastruk­tur wie Autobahnen, aber auch Schulen erhielt, hat den privaten Investoren auch im Schulberei­ch Tür und Tor geöffnet. So sind jetzt Öffentlich-private Partnersch­aften (ÖPP) möglich, bei denen private Unternehme­n Schulen bauen und betreiben und diese dann an die öffentlich­e Hand vermieten. Und mit der Beteiligun­g der FDP an der Landesregi­erung in NordrheinW­estfalen droht die Einführung von Bildungsgu­tscheinen. Milton Friedman hätte seine helle Freude an dieser Entwicklun­g.

»Eine Schule zu leiten und Kühlschrän­ke zu verkaufen, das ist ein und dasselbe. Man muss in beiden Fällen das Ohr am Markt haben und verstehen, wo die Bedürfniss­e der Konsumente­n, der Schüler sind.«

Leiter einer kommerziel­len schwedisch­en Privatschu­le

Adamson, Frank, Astrand, Björn, Darling-Hammond, Linda (Hrgs.): Global Education Reform. How privatizat­ion and public investment influence education outcomes. New York and London 2016.

Brigitte Schumann war von 1990 bis 2000 bildungspo­litische Sprecherin der Landtagsfr­aktion von Bündnis90/Die Grünen in Nordrhein-Westfalen (NRW).

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Schafft die öffentlich-private Partnersch­aft im Schulbau wirklich die schönen, neuen Lernorte?
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Fotos: photocase/view7, dpa

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