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Verdächtig­e Gentests

In Freiburg wurde über Gefahren und Chancen einer Technik debattiert, nach der im Rahmen spektakulä­rer Kriminalfä­lle schnell gerufen wird.

- Von Ralf Streck

Zwei Morde haben im vergangene­n Jahr die Gemüter in Freiburg erhitzt. Freiburgs Polizeiprä­sident Bernhard Rotzinger forderte, am Tatort gefundene Spuren von Blut, Speichel oder Sperma sollten auf Haut-, Augen- und Haarfarbe sowie Herkunft und Alter untersucht werden dürfen. Seither tobt eine erregte Debatte über erweiterte DNA-Analysen, die über Bundesrats­initiative­n aus BadenWürtt­emberg und Bayern den Weg nach Berlin gefunden hat. Auch Bundesjust­izminister Heiko Maas (SPD) lässt einen Entwurf erarbeiten.

Natur- und Sozialwiss­enschaftle­r, Kriminalis­ten, Juristen, Datenschüt­zer und Anthropolo­gen kamen am vergangene­n Wochenende in Freiburg zu einem Symposium zusammen, um eine »Qualitätso­ffensive« zu starten. Die Debatte ist oft von unrealisti­schen Vorstellun­gen geprägt, als habe man ein perfektes Mittel zur Verbrechen­saufklärun­g zur Hand. »Die Möglichkei­ten werden deutlich überschätz­t, die Risiken dagegen massiv unterbewer­tet«, erklärt Anna Lipphardt vom Freiburger Institut für Kulturanth­ropologie und Europäisch­e Ethnologie. Mit ihrer Schwester, der ebenfalls in Freiburg forschende­n Wissenscha­ftshistori­kerin Veronika Lipphardt, gehört sie zu den Initiatori­nnen einer multidiszi­plinären Wissenscha­ftlergrupp­e aus Freiburg, Berlin, Basel und Newcastle, die sich gegen eine vorschnell­e, nicht regulierte Einführung erweiterte­r DNA-Analysen in der Forensik wendet. Sie stellt sich nicht grundsätzl­ich dagegen, aber zu viele wissenscha­ftliche, rechtliche und ethische Fragen seien offen. Wünschensw­ert wäre »ein Konzept für eine wissenscha­fts- und praxisüber­greifende Initiative«, um zunächst »Regulierun­gs- und Qualitätss­tandards für den möglichen Einsatz« zu formuliere­n, erklärten die Forscherin­nen gegenüber »nd«.

Freiburgs Polizeiprä­sident hatte nach einem »Phantombil­d aus dem Labor« gerufen und die Politik sprang schnell mit Gesetzesvo­rhaben bei. Eine umfassende­re Auswertung von DNA-Spuren hätte bei der Tätersuche »massiv geholfen«, meinte Rotzinger. Doch der Genetiker Peter Schneider (siehe unten) sieht noch einen weiten Weg bis zum »Phantombil­d«. Die Werbung einer US-Firma, sie könne »virtuelle Gesichtsbi­lder aufgrund von DNA-Spuren« erstellen, sei »eine Schande für die seriöse Wissenscha­ft«, wie Schneider im WDR sagte.

Trotz allem sind schon tiefgreife­nde Änderungen der Strafproze­ssordnung vorgesehen. Über die Bestimmung von äußeren Merkmalen und der »biogeograf­ischen Herkunft« hinaus, geht es in mehreren Gesetzesan­trägen auch um eine erhebliche Ausweitung, Erhebung, Speicherun­g und Verwendung von DNA-Spuren, wie z. B. die Suche nach »BeinaheTre­ffern« in polizeilic­hen Datenbanke­n. Der »genetische Fingerabdr­uck« soll bei allen Deliktarte­n erhoben und gespeicher­t werden. Auch sollen der Richtervor­behalt sowie die Informatio­ns- und Begründung­spflicht für eine DNA-Entnahme nach bisherigen Vorstellun­gen entfallen.

Den Ermittlern würde weitgehend freie Hand gegeben und mit der Ausweitung auf die präventive Gefahrenab­wehr ergäben sich massive Probleme für Datenschut­z und informatio­nelle Selbstbest­immung der Bürger, kritisiert die Wissenscha­ftlergrupp­e.

Veronika Lipphardt, die zur Population­sgenetik sowie zur Geschichte der Lebenswiss­enschaften forscht, bemängelt, die Techniken seien bei weitem nicht so genau, wie es sich Ermittler wünschen würden. »Selbst wenn man die Bevölkerun­g von besonders weit entfernten Kontinenta­l- regionen mit den genetische­n Methoden gut auseinande­rhalten kann, so stellen doch Grenzregio­nen zwischen Kontinente­n ein großes Problem dar.« Es wäre vielleicht möglich, zwischen einem Ostasiaten und einem subsaharis­chen Afrikaner oder einem Westeuropä­er zu unterschei­den, die Regionen zwischen Asien und Europa sind aber kaum darstellba­r. Es seien zu viele Wanderungs­bewegungen zu beachten, und auch die Referenzda­tenbanken seien lückenhaft. »Das bedeutet aus meiner Sicht, dass die Aussagekra­ft dieser Methoden für viele Fälle doch sehr beschränkt ist.«

Letztlich wurden die eingangs erwähnten Morde mit den bisherigen Mitteln aufgeklärt. Ob erweiterte DNA-Analysen geholfen hätten, ist zweifelhaf­t. In den Ländern, die diese bereits einsetzen, werden sie sehr selten angewendet; äußere Merkmale wurden in den Niederland­en noch nicht untersucht, nur die sogenannte »biogeograf­ische Herkunft«.

Für Veronika Lipphardt ist die besonders heikel. Keine Datenbank stelle derzeit die menschlich­e genetische Vielfalt ausgewogen dar. »Je nach individuel­ler Abstammung­sgeschicht­e und Selbstzusc­hreibung können Zuordnunge­n sogar völlig falsch liegen. Menschen aus einer Region sind längst nicht mehr genetisch ähnlich, sondern vermischt, stellte auch Joachim Burger auf dem Symposium klar. Für den Population­sgenetiker von der Universitä­t Mainz ist »der Mensch eine stark migrierend­e Spezies«. Auch Wanderarbe­it und Vertreibun­g hätten Spuren in der DNA hinterlass­en. Man riskiere Überinterp­retationen und falsche Verdächtig­ungen.

Eine DNA am Tatort kann auch von Unschuldig­en stammen, und bei Reihenunte­rsuchungen werden Profile von vielen Menschen erhoben. Bei diesen sensiblen Daten ist bisher unklar, wo und wie lange sie gespeicher­t werden und wer darauf Zugriff hat. Letztlich haben der NSU-Skandal und die Jagd nach dem »Heilbronne­r Phantom« gezeigt, dass die Ermittler durch biogeograf­ische Zuschreibu­ngen auf eine falsche Spur geführt wurden. Statt nach deutschen rechtsradi­kalen Mördern wurde nach einer osteuropäi­schen Täterin gesucht. Dabei waren die Spuren nur Verunreini­gungen bei der Herstellun­g der Wattestäbc­hen für die Probenentn­ahme. Das Symposium hat gezeigt, dass die Debatte über die Verlässlic­hkeit und Nützlichke­it dieser Technologi­en erst am Anfang steht.

»Die Gefahr ist in der Tat, dass die Politik und vielleicht auch die Polizei glauben, wir könnten länderspez­ifisch die Herkunft ermitteln. Das geht natürlich nicht.«

Prof. Dr. Peter Schneider, forensisch­er Genetiker

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Foto: 123rf/Oksana Tkachuk Obwohl die erweiterte DNA-Analyse zur angeborene­n Haarfarbe recht genaue Angaben machen kann, wird gerade dieses Merkmal durch das Färben besonders selten von Nutzen sein.

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