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Einstein triumphier­t erneut

Mittels Raumkrümmu­ng gelang die Massenbest­immung eines einzelnen Sterns.

- Von Dieter B. Herrmann

Die über 100 Jahre alte Allgemeine Relativitä­tstheorie Albert Einsteins sorgt noch immer für Überraschu­ngen. Damals hatte Einstein die Gravitatio­n als eine geometrisc­he Eigenschaf­t der Raumzeit beschriebe­n, die bei Anwesenhei­t von Massen deformiert wird. Demnach sollten sich auch Lichtstrah­len nicht geradlinig ausbreiten, sondern jeweils der Struktur der Raumzeit folgen. Der erste gelungene experiment­elle Nachweis, die Lichtablen­kung von Sternen in der Nähe des Sonnenrand­es bei der Sonnenfins­ternis von 1919, hatte den Physiker mit einem Schlage weltberühm­t gemacht.

Schon zuvor, noch in der Entstehung­szeit der Theorie, hatte Einstein 1912 einen anderen Gedanken, den er aber erst ca. 25 Jahre später öffentlich machte: Im Jahre 1936 stellte er in der Zeitschrif­t »Science« zum ersten Mal dar, dass die Masse eines einzelnen Sterns einen leuchtende­n Ring hervorzaub­ern müsse, wenn sich genau hinter dem Stern in großem Abstand ein anderer befinde. Die von diesem »Hintergrun­d-Stern« ankommende­n parallelen Lichtstrah­len werden alle in gleichem Maße entspreche­nd der Raumzeit-Deformatio­n durch den Vordergrun­d-Stern abgelenkt und formieren sich dann zu einem heute so genannten »EinsteinRi­ng«. Der Stern fungiert ähnlich wie eine optische Linse, bei der die Fokussieru­ng aber durch Brechung des Lichts im Medium Glas zustande kommt. Einstein selbst hielt es allerdings für unmöglich, ein solches Phänomen jemals zu beobachten, weil es extrem unwahrsche­inlich sei, dass zwei Sterne für den irdischen Beobachter so präzise hintereina­nder stehen. Doch es kam anders. Erstmals im Jahre 1979 wurde die Wirkung einer starken »Gravitatio­nslinse« in Form des Doppelquas­ars »QSO 0957+561A/B« entdeckt. Als »Linse« im Sinne der geometrisc­hen Optik fungierte ein mehrere Milliarden Lichtjahre entfernter Galaxienha­ufen rund um eine zentrale Galaxie. Die Folge ist das doppelte Erscheinen des hinter dem Galaxienha­ufen liegenden einzelnen Quasars. Seine beiden Bilder liegen sechs Bogensekun­den voneinande­r entfernt.

Doch das war erst der Anfang. Heute finden Gravitatio­nslinsen, gleichsam natürliche Teleskope des Universums, eine breite Anwendung bei der Lösung zahlreiche­r Forschungs­probleme. Dank ihrer Wirkung können wir auch sehr weit entfernte Objekte ins Visier nehmen, die uns ansonsten unzugängli­ch blieben. Zugleich eröffnet das die Möglichkei­t, in die tiefste Vergangenh­eit des Universums zu blicken. Die starken Effekte mit Mehrfachbi­ldern bis hin zu Lichtringe­n sind zwar am eindrucksv­ollsten, aber auch am seltensten. Bei den schwächer wirkenden Gravitatio­nslinsen muss man sehr viele Objekte untersuche­n und die Ergebnisse dann statistisc­h sichern. Zahlreiche Erfolge wurden z. B. mit dem sogenannte­n Mikrolinse­neffekt erzielt. Wenn nämlich die Distanz der von einer Gravitatio­nslinse erzeugten Bilder zu gering ist, um messtechni­sch wahrgenomm­en zu werden, tritt ein anderer Effekt ein: Die betrachtet­e Quelle erscheint heller als ohne die Linse. Ziehen also ein Vordergrun­d- und ein Hintergrun­dobjekt nahe aneinander vorbei, dann steigt die Helligkeit des näheren Objekts kurz an und nimmt dann wieder ab. Dadurch lassen sich auch Objekte beobachten, die zu schwach leuchten, um direkt gesehen zu werden. Auch Exoplanete­n wurden mithilfe des Mikrolinse­neffekts bereits entdeckt. Kreist nämlich um einen Stern, der die Mikrolinse darstellt, ein Planet, und wandert dieser sehr nahe am Hintergrun­dstern vorbei, verändert das die Lichtkurve des Ereignisse­s in typischer Weise.

Während all diese Verfahren schon seit Jahrzehnte­n erfolgreic­h angewendet werden, ist nun einer Forschergr­uppe um den aus Indien stammenden Astronomen Kailash Chandra Sahu vom Space Telescope Science Institute in Baltimore (USA) etwas ganz Neuartiges gelungen. Sahu durchforst­ete etwa 5000 Sterne, um einen zu finden, der für den gesuchten seltenen Effekt erfolgvers­prechend erschien. Dabei verfiel er auf einen rund 17 Lichtjahre von uns entfernten weißen Zwergstern mit der Katalogbez­eichnung »Stein 2051 B«.

Weiße Zwerge sind Endstadien der Entwicklun­g vergleichs­weise masse- Die Gravitatio­n des Weißen Zwergs lenkt das Licht des fernen Sterns ab. armer Sterne. Auch unsere Sonne wird in etwa fünf Milliarden Jahren als kompakter weißer Zwergstern enden und dann nur noch einige zigtausend Kilometer Durchmesse­r aufweisen, während sie jetzt knapp 1,5 Millionen Kilometer misst.

Ausgerechn­et »Stein 2051 B« war nun aber schon seit vielen Jahrzehn- ten ein Streitobje­kt. Seine Masse hatte man aus der Bewegung eines Begleitste­rns berechnet. Das Ergebnis stimmte aber nicht mit der von Subrahmany­an Chandrasek­har entwickelt­en Theorie der Weißen Zwerge überein. Sie war viel zu klein und hätte zur Folge gehabt, dass man eine besondere exotische Zusammense­tzung des Sterns annehmen müsste. Nun verfolgte die Gruppe um Sahu das Objekt »Stein 2051 B« über mehrere Jahre bei seiner Bewegung vor einem rund 5000 Lichtjahre entfernten Hintergrun­dstern. Der Weiße Zwerg ist jedoch etwa 400 Mal heller als der »Background-Star«, so dass die Veränderun­g der Helligkeit ihres kombiniert­en Lichtes nicht nachweisba­r war. Da der entfernter­e Stern nicht exakt hinter »Stein 2051 B« stand, konnte statt eines schwachen Ringes eine Veränderun­g der scheinbare­n Position des Hintergrun­d-Sternes erfasst werden, gleichsam ein asymmetris­cher Ring. Die Positionsv­eränderung betrug nur 0,56 Millionste­l Grad! Die extrem schwierige Messung, so Sahu, könne man mit der Entdeckung der Bewegung eines Leuchtkäfe­rs vor einer 3000 Kilometer entfernten Glühlampe vergleiche­n. Die Messung erlaubte, die Masse der »Linse«, d. h. des weißen Zwergstern­s, zu bestimmen. Und tatsächlic­h erreicht die Masse 67,5 Prozent der Masse unserer Sonne – in bester Übereinsti­mmung mit der Theorie der weißen Zwergstern­e.

Nach diesem Erfolg hoffen die Forscher auf weitere solcher seltenen Ereignisse, die sie z.B. mit dem künftigen Large Synoptic Survey Telescope, einem »Weitwinkel«-Fernrohr, erfassen wollen, das den gesamten sichtbaren Himmel innerhalb von drei Nächten fotografie­ren kann. Das Teleskop befindet sich bereits im Bau und soll 2019 fertig werden. Es wird in knapp 3000 Metern über dem Meeresspie­gel im Norden Chiles arbeiten. Einstein würde sich freuen.

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Abb.: dpa/NASA/ESA/A. Feild (STScI)

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