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Notgedrung­en im Paradies

In Sanary-sur-Mer an der Côte d’Azur fanden nach der Machtübern­ahme Hitlers viele deutsche Künstler und Autoren Zuflucht.

- Von Wolfgang Stelljes

Sanary-sur-Mer ist ein schmuckes französisc­hes Hafenstädt­chen an der Côte d’Azur und bei Kreuzfahrt­en durch das westliche Mittelmeer häufig auch Ziel von Landausflü­gen. Was viele Reisende nicht wissen: Es ist ein Ort mit besonderer Geschichte. Denn nach der Machtübern­ahme Hitlers fanden hier zahlreiche Künstler und Autoren Zuflucht.

Nein, viel erinnert nicht mehr an die »heimliche Hauptstadt der deutschen Literatur«, wie der Philosoph und Schriftste­ller Ludwig Marcuse den kleinen Fischerort Sanary-surMer einst nannte. Immerhin, neben der Touristeni­nformation steht eine große Tafel mit Namen. Sie liest sich wie ein Who's who der deutschen Exillitera­tur. Heinrich und Thomas Mann, Stefan Zweig, Lion Feuchtwang­er, Joseph Roth, Franz Werfel, Alma Mahler-Werfel und viele andere weilten hier Monate oder auch Jahre, anfangs gern gesehene Gäste, später dann, nach Kriegsbegi­nn, argwöhnisc­h beäugt. Sie lebten »notgedrung­en im Paradies«, wie Marcuse es formuliert­e. Kleine Gedenktafe­ln erinnern noch an ihre Wohnorte, die aber nicht besichtigt werden können. Warum gerade Sanary-sur-Mer? Es war im Grunde wie so oft: Da war einer, der einen kannte, der einen kannte. Genauer: Der britische Autor Aldous Huxley (»Schöne neue Welt«), der diese Sommerfris­che für sich entdeckt hatte, kannte den Kunsthisto­riker Julius Meyer-Gräfe, der wiederum den Tipp streute. Sanary-sur-Mer hatte einen großen Vorteil: Der idyllische Hafenort zwischen Marseille und Toulon war ruhig und preiswert. So erzählt es Ina Bérato. Die gebürtige Hessin lebt seit fast einem halben Jahrhunder­t im nahen La Seyne und arbeitet als Gästeführe­rin. Dabei wandelt die 70-Jährige auch immer wieder auf den Spuren der Exillitera­ten.

Es war ein buntes Häuflein, das hier zwischen 1933 und 1940 Zuflucht fand: Juden und Homosexuel­le, Konservati­ve und Kommuniste­n, gut Betuchte und bitter Verarmte. Auf Fotos aus jenen Tagen sieht man Lion und Marta Feuchtwang­er vor einer großen Bücherwand. Im Hause Mann gab es »Vorlesezer­emonien« für sechs bis acht Zuhörer, erzählt Bérato. Man pflegte, »typisch deutsch, ein gewisses Niveau auch im Exil«. Erich Klossowski dagegen war nahezu mittellos. Aber der Maler, Kunsthisto­riker und Bühnenbild­ner sprach französisc­h und war im Ort integriert. Klossowski, genannt »Monsieur Klo«, weil stets in einen dunklen Anzug ge- wandet, erhielt 1939 sogar die französisc­he Staatsbürg­erschaft.

Die Exilanten mochten noch so unterschie­dlich sein, »was sie einte, war der Hass auf Hitler«, sagt Ina Bérato. Hafencafés wie das von »Witwe »Schwob« oder das »Le Marine«, das auch heute noch existiert, wurden ihnen zu einer zweiten Heimat. Hier spielten sie Schach oder feilten an ihren Texten. Auch Bertolt Brecht schaute herein und sang Spottliede­r über Nazigrößen.

Kurzzeitig­e Gäste wie Brecht oder Arnold Zweig bezogen ein Zimmer im »Hotel de la Tour« direkt am Hafen. Das Haus ist bis heute eines der markantest­en Gebäude am Hafen. Den kürzesten Weg zu den Treffen im Café hatte der Arzt und Schriftste­ller Friedrich Wolf. Sein Zimmer mit Balkon und Meerblick war direkt über dem »Schwob«. Heute wird hier hochpreisi­ges Speiseeis verkauft. Und auf großen Bildschirm­en laufen Musikclips oder Fußballspi­ele.

Mit dem näher rückenden Krieg verdüstert­e sich die Stimmung gegenüber den Emigranten. Sie standen unter einem Generalver­dacht: Spionage.

Franz Werfel, der gemeinsam mit seiner Frau Alma eine mückenreic­he Mühle oberhalb des Ortes bewohnte, wurde einmal mitten auf dem Markt verhaftet, erzählt Ina Bérato. Nach dem Einmarsch der deutschen Wehrmacht in Frankreich mussten die Geflüchtet­en dann auch noch befürchten, in die Hände der Nazis zu fallen. Mit Hilfe eines Netzwerkes, das von dem amerikanis­chen Journalist­en Varian Fry geleitet wurde, gelang es vielen, über Spanien und Portugal in die USA flüchten. Andere, wie Friedrich Wolf, konnten sich nach Moskau absetzen. Wieder andere blieben, wie Franz Hessel. Er hatte sich unter anderem mit der Übersetzun­g von französisc­hen Klassikern von Marcel Proust und Honoré de Balzac einen Namen gemacht. Zweimal wurde er im Lager »Les Milles« interniert, zweimal wieder freigelass­en. Hessel »ist an Gram gestorben«, sagt Ina Bérato. »Er konnte es nicht verkraften, dass er in seinem geliebten Frankreich angefeinde­t wurde«. Nur einer blieb für immer: Erich Klossowski. Er fand seine letzte Ruhestätte auf dem Friedhof von Sanary-sur-Mer.

 ?? Fotos: Wolfgang Stelljes ?? Stefan Zweig, 1939 Heute ist die Küstenregi­on ein beliebtes Ziel für Kreuzfahrt­touristen, vor Jahrzehnte­n war sie Zufluchtso­rt für viele Künstler, die aus Deutschlan­d fliehen mussten. »Am Tage, da ich meinen Pass verlor, entdeckte ich mit...
Fotos: Wolfgang Stelljes Stefan Zweig, 1939 Heute ist die Küstenregi­on ein beliebtes Ziel für Kreuzfahrt­touristen, vor Jahrzehnte­n war sie Zufluchtso­rt für viele Künstler, die aus Deutschlan­d fliehen mussten. »Am Tage, da ich meinen Pass verlor, entdeckte ich mit...
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Ina Bérato an der Tafel mit den Namen der Geflüchtet­en

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