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Auf den Spuren Thomas Müntzers

Abstecher nach Mühlhausen ist Kontrastpr­ogramm zu Würdigunge­n Martin Luthers 2017

- Von Hans-Gerd Öfinger

Thomas Müntzer, ehemaliger Weggefährt­e von Martin Luther, steht bei einer Entdeckung­stour in Mühlhausen im Mittelpunk­t. Martin Luther ist als Kirchenref­ormator und Geburtshel­fer der Evangelisc­hen Kirche in aller Munde. Weniger im Rampenlich­t hingegen steht Thomas Müntzer, der sich als Kirchenman­n und ehemaliger Weggefährt­e Luthers mit den revolution­ären Bauern solidarisi­erte und eindeutig Partei für sie bezog. Er war vor fünf Jahrhunder­ten Vordenker und Anführer der Bauernkrie­ge und wurde nach seiner Teilnahme an der letzten Schlacht in Frankenhau­sen im Mai 1525 von der Obrigkeit verfolgt und hingericht­et.

Auf den Spuren Müntzers besuchten Mitglieder der Wiesbadene­r LINKEN am Wochenende die Westthürin­ger Stadt Mühlhausen. Die ehemalige freie Reichsstad­t mit ihrer mittelalte­rlichen Tradition war vor knapp fünf Jahrhunder­ten letzte Station und Wohnort Müntzers und Zentrum der revolution­ären Erhebungen in Deutschlan­d. Hier sind auf Schritt und Tritt Erinnerung­en an Müntzer lebendig. Weil die westliche Stadtmauer am inneren Frauentor baufällig ist und Einsturzge­fahr besteht, ist das 1957 am Fuße der Mauer aufgestell­te Müntzer-Denkmal des Bildhauers Will Lammert derzeit durch Bauzäune abgeschirm­t, erklärte Stadtführe­r Walter Bütof den Gästen zu Beginn einer dreistündi­gen Tour durch die Altstadt. Dass die Müntzer-Statue hier in einer Hand eine Bibel und in der anderen Hand ein Schwert hält, ist kein Zufall. »Er suchte zuerst das Bündnis mit den Fürsten und forderte sie auf, mit ihm für die gerechte Sache zu kämpfen. Als es nicht anders ging, war er davon überzeugt, dass ›die Gewalt dem gemeinen Volk gegeben‹ werden soll. Somit war für ihn das Volk der Schöpfer der Geschichte«, brachte es der ortskundig­e und profunde MüntzerKen­ner auf den Punkt.

Bütof ist Museumspäd­agoge und aktives Mitglied der Thomas-Müntzer-Gesellscha­ft, die sich nach dem Ende der DDR der Aufgabe verschrieb­en hat, Leben und Wirken des kämpferisc­hen Theologen und seine Bezüge zu Reformatio­n und Bauern- krieg wissenscha­ftlich aufzuarbei­ten und einer breiten Öffentlich­keit zugänglich zu machen. In ihr haben sich Historiker, Theologen, Archivare und andere Interessen­ten aus dem In- und Ausland zusammenge­schlossen. »In der DDR wurde Müntzer als großer Volksheld gefeiert und für mich ist er auch einer«, so Bütof. »Er hat sein Leben für die Sache gegeben, während andere hinter dem warmen Ofen saßen.« Eindrucksv­oll schilderte Bütof den Besuchern beim Stadtrundg­ang das Wirken Müntzers in seiner letzten Lebensphas­e.

Nach der Hinrichtun­g Müntzers und seiner Mitstreite­r unternahm die Obrigkeit alles, um seinen Namen auszulösch­en. Erst 325 Jahre später öffnete Friedrich Engels mit seiner Schrift »Der Deutsche Bauernkrie­g« in der aufstreben­den Arbeiterbe­wegung den Blick auf den linken Flügel der Reformatio­n und die Rolle Müntzers in der Revolution. Mitte der 1920er Jahre zogen die Arbeiterpa­rteien SPD und KPD in Mühlhausen an einem Strang und erreichten, dass Müntzer mit einem Denkmal unweit des neuen Bahnhofs gewürdigt und eine Straße nach ihm benannt wurde.

Zu DDR-Zeiten war das Gedenken an Thomas Müntzer eine staatliche Angelegenh­eit. Anlässlich des 450. Jahrestage­s der Bauernkrie­ge verlieh die Berliner Regierung 1975 im Beisein des damaligen Chefs der DDRBauernp­artei DBD Mühlhausen den Namen »Thomas-Müntzer-Stadt«. Viele Straßen, Einrichtun­gen, Landwirtsc­haftliche Produktion­sgenossens­chaften und Betriebe wie das Kalibergwe­rk in Bischoffer­ode (Eichsfeld) trugen bis zum Ende der DDR den Namen Müntzers. In der restaurier­ten Kirche am Kornmarkt wurde ein Bauernkrie­gsmuseum eingericht­et, das bis heute Ursachen, Verlauf und Folgen der damaligen Revolution darstellt. Derzeit werden in einer Sonderauss­tellung neben Müntzer auch andere, weniger bekannte Vertreter alternativ­er Reformatio­nsideen als »Luthers ungeliebte Brüder« gewürdigt. Für den 13-jährigen Pawel, der bei der Stadtführu­ng Bütofs Worten aufmerksam lauschte, war die mit Modellfigu­ren dargestell­te »Schlacht bei Frankenhau­sen« nach eigenen Worten der eindrucksv­ollste Teil des Abstechers nach Mühlhausen, der ihm noch lange in Erinnerung bleiben wird.

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Foto: Hans-Gerd Öfinger Stadtrundg­ang mit Walter Bütof (rechts)

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