»Sie behandeln dich wie Dreck«
Die Haftbedingungen für illegale Migranten unter Trump sind gleichbleibend schlecht, die Haftdauer länger denn je
Mit dem Präsidenten Donald Trump ist in Mexiko die Angst vor Abschiebungen aus den USA gewachsen. Die unfreiwillige Rückkehr verläuft vermehrt über die Zwillingsstädte Ciudad Juárez und El Paso. Antonio Ortiz* sieht müde aus. Er wählt die einzige Handynummer, die er auswendig weiß: die seines Ältesten. »Alles in Ordnung, mein Sohn«, spricht Antonio in den Hörer. »Sie haben mich abgeschoben. Ich nehme den nächsten Bus nach Hause. Sag deiner Mutter und deinen Schwestern Bescheid.« Das erste Lebenszeichen nach eineinhalb Monaten. So lange saß er in Abschiebehaft. »Sie behandeln dich dort wie Dreck, schlimmer als einen Kriminellen.« In jeder Geste des Wachpersonals liege Verachtung. Nicht einmal die Tiefkühlkost, die sie als Essen an die Festgenommenen austeilen, würde warm gemacht. Oft sei das Mindesthaltbarkeitsdatum überschritten. »Du sollst ja nicht auf die Idee kommen, noch mal zurückzukommen.«
Antonio Ortiz hatte schon einmal versucht, in die USA zu gelangen. Im Januar über die Grenze zwischen Mexicali und Calexico. Aber sie hatten ihn sofort aufgegriffen und wieder abgeschoben. Anfang April wagte es der 48-jährige Bauarbeiter aus Aguascalientes erneut. Und kam nicht viel weiter. Fünf Tage und Nächte schleppte er sich durch die Wüste, irgendwo zwischen Chihuahua und New Mexiko, bevor er sich der mig- ra, wie die US Border Patrol in Mexiko genannt wird, auslieferte. »Ich konnte nicht mehr. Ich hatte zwei Tage weder gegessen noch getrunken.«
Die Gruppe, mit der er unterwegs war, hatte ihn zurückgelassen, nachdem er sich den Fuß verstaucht hatte. Seinem Schleuser hatte er 1500 US-Dollar angezahlt. Hätte er es geschafft, wären 3000 US-Dollar mehr fällig gewesen.
Antonios Haare sind lang geworden, sein dünner Pulli ist abgetragen. Er guckt niedergeschlagen auf die geringen Habschaften, die ihm in einer Plastiktüte mit Aufschrift »Homeland Security« zurückgegeben wurden. Sein Handy war nicht darunter; die Peso-Scheine, die er dabei hatte, haben die Beamten spöttisch vor seinen Augen zerrissen. »Ich bin gegangen, um ein besseres Leben für meine Familie zu garantieren«, sagt er. »In meinem Alter stellen mich nicht mehr viele auf dem Bau an.« Und in Mexiko reichten die Löhne zum Überleben, aber für mehr auch nicht. Antonios ältere Kinder stehen schon im Berufsleben, aber seine jüngste Tochter will Medizin studieren. »Ich wollte sie unterstützen.« Jetzt wird er sie morgen wieder in die Arme schließen.
Auf der Grenzbrücke Santa Fe, die das Zentrum von Ciudad Juárez mit dem von El Paso verbindet, flattern die Fahnen im Wind. Zwei mexikanische und zwei US-amerikanische sind es. Blanca Navarrete von der Nichtregierungsorganisation Integrale Menschenrechte in Aktion befragt Abgeschobene, die aus den USA zurückkehren. Auf der Grenzbrücke ist ein kleines Gebäude eingerichtet worden mit allen möglichen Dienstleistungen für Migranten. Die junge Frau mit den glatten schwarzen Haaren interessiert vor allem eins: Anzeigen wegen unmenschlicher Behandlung und der Nichtherausgabe von Besitztümern durch die US-Behörden entgegenzunehmen.
»Unter Trump sind die Bedingungen in Haft gleichbleibend schlecht. Der Unterschied ist, dass die Menschen nun weitaus länger eingesperrt bleiben.« Sechs bis 60 Monate Gefängnis drohen bei der unerlaubten Wiedereinreise, wenn Personen schon einmal ohne Papiere in den USA aufgegriffen wurden. »Menschen in Abschiebehaft erfahren vor allem ›unsichtbare‹ Gewalt«, so Blanca Navarrete. In den US Border-Patrol-Stationen gebe es keine angemessene Unterbringung, keine Matratzen und keine Duschen. Stattdessen würden mit der Klimaanlage die Zellen systematisch unterkühlt; angeblich um Schädlinge aus der Wüste abzutöten. »Frauen bekommen keine oder nicht ausreichend Binden zur Verfügung gestellt, wenn sie menstruieren. Ohne die Möglichkeit, sich zu waschen und umzuziehen, ist das höchst demütigend.«
Viele würden – ohne dies zu wissen – ihre »freiwillige Ausreise« unterschreiben, da die Unterlagen auf Englisch sind. Handys, Bankkarten und andere Besitztümer würden bei der Abschiebung nicht zurückgegeben. Es gibt eine offizielle Frist von nur 30 Tagen, um diese einzuklagen. Danach werden sie laut Angaben der USBehörden von einer privaten Firma vernichtet. »Eine Antwortfrist auf unsere Nachfragen und Einklagungen gibt es hingegen nicht. Eine Abgeschobene aus Veracruz wartet seit Monaten auf ihre Sparbuchkarte, ohne die sie nicht an ihre verbliebenen Ersparnisse kommt.« Auch die Unterbringung in Haft sei privatisiert und an Unternehmen ausgelagert, berichtet Blanca Navarrete. Die Abschiebungen seien »ein großes Geschäft«.
Nur einen Katzensprung von der Grenzbrücke Santa Fe entfernt liegt die Stadtverwaltung von Ciudad Juárez. Gleich dahinter fließt der Río Bravo durch einen Betonkanal. Wagen der US Border Patrol patrouillieren über Staubpisten zwischen Maschendrahtzäunen, die sich Richtung Westen und Süden in gigantische rostbraune Stelen verwandeln. Rogelio Pinal kann sie von seinem Büro aus beobachten. Als Menschenrechtsbeauftragter der Stadtregierung Juárez stellt er seinen aus den USA abgeschobenen Landsleuten Transportgutscheine aus. Im vergangenen Jahr waren es knapp 4000. Gelder für die Rückkehr in die Herkunftsstadt kommen aus einem mexikanischen Bundestopf. Wer jedoch von weiter südlich als MexikoStadt kommt, aus Chiapas oder Oaxaca, muss sich von seiner Familie Geld schicken lassen.
»Diejenigen, die abgeschoben werden, kommen mit Depressionen hier an«, berichtet Rogelio Pinal. Viele wurden von ihren Familien getrennt, von ihren Kindern, die in den USA geboren wurden. Andere haben ihre Familie in Mexiko von den USA aus finanziell unterstützt und wissen nun nicht, wie diese zurecht kommen soll. Nicht wenige blieben in Ciudad Juárez, erzählt der Beamte im akkurat sitzenden Anzug. »Denn hier finden sie Arbeit.« In den Montagebetrieben der Weltmarktunternehmen direkt an der Grenze zeige man sich verständnisvoll, lasse zu, dass Unterlagen nachgereicht werden. Die Stadtverwaltung vermittelt. Und wer kurz- oder langfristig in der Wirtschaftsmetropole Juárez bleiben will, kommt zunächst in der örtlichen Migrantenherberge unter.
Das Casa del Migrante liegt im Süden der Stadt, genau zwischen zwei Firmengeländen, vor denen riesige Kabeltrommeln und Eisenträger lagern. Im Aufenthaltsraum des Gebäudekomplexes aus roten Backsteinen flimmern Seifenopern über den Fernseher. Die meisten der Abgeschobenen, die hier untergekommen sind, arbeiten und kommen erst abends zurück. Nur Diana, Berenice und Emilio* haben es sich auf der Couch bequem gemacht. »Tagsüber findet sich immer Unterhaltung«, sagt Berenice aus Oaxaca, nur nachts, da kämen die düsteren Gedanken. Emilio, ein junger Mann aus Mexiko-Stadt mit Tattoos auf dem Hals nickt wortlos.
Diana streicht über ihren Babybauch. Die kleine Kimberley hätte wie ihre Geschwister im US-amerikanischen Albuquerque zur Welt kommen sollen. Dort wohnte Diana 17 Jahre lang; länger als sie auf einem Dorf im mexikanischen Durango gelebt hat. Ihr Mann sagt, geh nicht zurück, da tobt der Krieg um die Drogen und du kennst dort niemanden. Jetzt sitzt sie in der Migrantenherberge, hier, direkt hinter der Grenze, und die Familie berät via Messenger, wie es weiter gehen soll. Vielleicht werden sie einen Schleuser für Diana suchen und eine Möglichkeit, mit falschen Papieren über die Grenze zu kommen, um ihr die Gefahren und Strapazen der Wüste zu ersparen. Korruption ist an der Grenze allgegenwärtig – und dass an dieser auch US-Beamte beteiligt sind, ist im Grenzraum ein offenes Geheimnis.
Pater Ricardo Reyna vom Casa del Migrante weiß, dass er niemanden aufhalten kann. Die Herberge der Diözese Juárez unterstützt bei der Zimmer- und Arbeitssuche, bei Asylanträgen oder der Legalisierung des Aufenthaltsstatus für Menschen aus Mittelamerika, Sierra Leone oder Russland. Nur Schlimmeres würde er gerne verhindern. »Hier in der Gegend ist der Grenzübertritt mit Schleusern sehr gefährlich.« Denn sie arbeiteten eng mit dem Juárezkartell zusammen. Es gibt Entführungen, oder sie lassen die Leute irgendwo in der Wüste zurück. Neben Armut und Arbeitslosigkeit wird die Gewalt in vielen Landesteilen Mexikos aber auch ein immer wichtigerer Faktor für die Ausreise in die USA. »In Michoacán, Jalisco und Chihuahua kommen die Narcos in die Dörfer, schießen in die Luft und fordern die Leute auf, ihre Sachen zu packen.« Vielen bleibe keine andere Wahl, als alles zurückzulassen, bilanziert Pater Reyna.
Dianas Mann sagt, geh nicht zurück, da tobt der Krieg um Drogen. Jetzt sitzt sie direkt hinter der Grenze und die Familie berät via Messenger, wie es weiter gehen soll.