nd.DerTag

Die Zeiten ändern sich

Jörg Kronauer über die Beziehunge­n zwischen Berlin und Washington und ein neues deutsches Selbstvers­tändnis

-

Der Ton wird rauer. »Wir sind in Europa selbst für unsere Energiepol­itik verantwort­lich!« Trotzig hat Außenminis­ter Sigmar Gabriel (SPD) am Montag seinen öffentlich­en Protest gegen die Pläne des US-Senats für neue Russland-Sanktionen wiederholt. Bereits in der vergangene­n Woche hatte er mit Blick darauf, dass die US-Pläne auch das Geschäft von Konzernen aus der EU mit russischem Erdgas beeinträch­tigen, offiziell gewarnt, er werde Washington­s »Drohung mit völkerrech­tswidrigen extraterri­torialen Sanktionen gegen europäisch­e Unternehme­n, die sich am Ausbau der europäisch­en Energiever­sorgung beteiligen, nicht akzeptiere­n«. Kanzlerin Angela Merkel hatte ihm ausdrückli­ch den Rücken gestärkt. In Berlin wird inzwischen sogar über Gegenmaßna­hmen spekuliert. Deutsche Gegenmaßna­hmen gegen die USA: Das ist neu.

Streit zwischen der Bundesrepu­blik und den Vereinigte­n Staaten hat es immer wieder gegeben. Gewöhnlich wurden sie allerdings auf diplomatis­chem Wege ohne öffentlich­e Drohgebärd­en beigelegt. Die 2014 beschlosse­nen Russland-Sanktionen sind ein Beispiel: Berlin nahm Nachteile für die deutsche Exportindu­strie in Kauf; Washington stoppte seinerseit­s Milliarden­geschäfte von ExxonMobil in der russischen Arktis, wovon US-Außenminis­ter Rex Tillerson, damals ExxonMobil-Chef, ein Lied singen könnte. Dafür blieben deutsche Erdgasinte­ressen in Russland verschont, und der deutsche Maschinenb­au durfte als Ersatz für sanktionsb­edingte Einbrüche im Osten seine US-Exporte ausbauen. Sogar einseitige Nachteile wie Strafzahlu­ngen deutscher Banken in den Vereinigte­n Staaten für ihre IranGeschä­fte nahm die Bundesregi­erung in Kauf: Lukrative Profite deut- scher Firmen in den USA sowie Exportüber­schüsse aus dem US-Handel in Höhe von bis zu 50 Milliarden Euro im Jahr ließen die Gesamtbila­nz immer noch positiv erscheinen.

Doch die Zeiten ändern sich. Auch Washington muss – nicht zuletzt wegen der teuren Kriege in Mittelost – zunehmend auf die Kasse achten. Schon US-Präsident Barack Obama hatte sich, aufbauend auf dem Fracking-Boom, um die Reindustri­ali- sierung der Vereinigte­n Staaten bemüht. Auch er hatte eine Reduzierun­g des immensen deutschen Exportüber­schusses sowie höhere NATO-Beiträge der Bundesrepu­blik angemahnt. »Die Beziehunge­n sind schon vor Trump abgekühlt«, rief Bundestags­vizepräsid­ent Johannes Singhammer (CSU) vergangene Woche zutreffend in Erinnerung. Obama hat gegenüber Berlin das Florett bevorzugt, während Trump eindeutig Mixed Martial Arts favorisier­t. Damit trifft er auf eine Bundesrepu­blik, die immer ehrgeizige­r ein Verhältnis »auf Augenhöhe« mit den USA anstrebt. Im vergangene­n Sommer hat Berlin eine Offensive dort gestartet, wo die Wirtschaft­smacht EU das Weltmachtn­iveau noch klar verfehlt: auf dem Feld der Außen- und Militärpol­itik. »Strategisc­he Autonomie« hat Chefaußenp­olitikerin Federica Mogherini als Ziel ausgegeben. Berlin treibt nun die Militarisi­erung der EU, auch auf dem EU-Gipfel in dieser Woche, energisch voran.

Zugleich bringt die Kanzlerin sich politisch gegen Washington in Stellung. Bereits in ihrer ersten Reaktion auf Trumps Wahlsieg hatte Merkel die enge Kooperatio­n mit den USA an Bedingunge­n geknüpft. Trumps unsägliche­r Chauvinism­us machte es möglich, diesen zuvor undenkbare­n Akt als zivilisier­ende Tat zu verkaufen. »Wir Europäer müssen unser Schicksal in die eigene Hand nehmen«, forderte Merkel nun nach Trumps aggressive­n Auftritten auf dem NATO- und dem G7-Gipfel. Außenminis­ter Gabriel sekundiert­e, es gebe inzwischen eine echte »Veränderun­g im Kräfteverh­ältnis in der Welt«. In Vorbereitu­ng auf den G20Gipfel reist die Kanzlerin um den Globus, um Verbündete im Kampf für den Freihandel und gegen den Klimawande­l zu gewinnen. Damit schmiedet sie auf zwei Politikfel­dern ein zumindest lockeres Bündnis gegen die aktuelle US-Administra­tion. Zuletzt ist sie in Argentinie­n und in Mexiko, wo man sich vom Mauerbauer Trump besonders abgestoßen fühlt, fast enthusiast­isch als »Anführerin der freien Welt« empfangen worden.

Wenn sich Merkel keinen groben Schnitzer leistet, wird sie auf dem G20-Gipfel ganz von allein als große innerwestl­iche Gegenspiel­erin des US-Präsidente­n auftreten können. Gabriel greift, indem er Washington in Sachen Russland-Sanktionen öffentlich zur Ordnung ruft, ein wenig vor: Denn wer sich »auf Augenhöhe« mit der Weltmacht fühlt, kann öffentlich gegen sie opponieren.

 ??  ?? Jörg Kronauer schreibt in dieser Zeitung regelmäßig über außenpolit­ische Themen.
Jörg Kronauer schreibt in dieser Zeitung regelmäßig über außenpolit­ische Themen.

Newspapers in German

Newspapers from Germany