nd.DerTag

Keine Duckmäuser

Zu »Macron kann durchregie­ren«, 20.6., S. 1

- Michael Maresch, München

Trotz der absoluten Mehrheit im Parlament befürchte ich, dass das Frankreich des Präsidente­n Macron vor seiner größten Zerreißpro­be seit 1945 steht. 60 % der Franzosen haben nicht gewählt. Schweigend­e Mehrheiten in Frankreich sind brüllende Mehrheiten. Anders als in Deutschlan­d, wo schweigend­e Mehrheiten einfach nicht zur Wahl gehen, weil sie private Schlafzipf­elmützen stricken, kippt in Frankreich schon einmal ein Landwirt seine Gülle dem Präsidente­n vor die Füße.

Angst vor Öffentlich­keit? Duckmäuser­tum? Nicht in Frankreich. Dort funktionie­ren die Gewerkscha­ften von der Autobahnsp­erre mittels Tomaten bis zum Generalstr­eik. »Generalstr­eik« – ein Wort, das in der Sonderedit­ion deutscher Wörterbüch­er für die »Gewerkscha­ften« gestrichen ist. So ist eines sicher: Wenn die Reformvorh­aben des jungen Präsidente­n auch nur annähernd die soziale Brisanz entwickeln, die die Agenda 2010 in Deutschlan­d durchgeset­zt hat, steht Frankreich in Flammen. Und mit Frankreich wohl auch die EU und der Euro.

Erstaunlic­h: Die ganze westliche Welt wählt Wandel, Neuanfang, inhaltlich wie personell. Und die Deutschen knuddeln im Schlaf ihre Zipfelmütz­en. Liberté, das französisc­he Wort, steht für durchgeset­zte, erlebte, erkämpfte Freiheit. Ist eine innere Einstellun­g, die gegen Jedermann durchgeset­zt werden muss. Das deutsche Wort Freiheit dagegen, ist eher ein hehres Synonym, das sich am gauckschen imaginären Traumbild orientiert. Beiträge in dieser Rubrik sind keine redaktione­llen Meinungsäu­ßerungen. Die Redaktion behält sich das Recht Sinn wahrender Kürzungen vor.

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