nd.DerTag

Minenfelde­r im Luftraum über Syrien

Für Bundeswehr-Tornados ist bisher alles »handhabbar«

- Von René Heilig

Zu sagen hätten sich Moskau und Washington, die in Syrien Krieg führen, sehr viel. Doch vorerst gibt es kein funktionie­rendes Telefon. Nachdem die USA am Sonntag einen Jagdbomber der syrischen Luftwaffe 40 Kilometer südwestlic­h von Raqqa – also über syrischem Gebiet – abgeschoss­en haben, reagierte das russische Verteidigu­ngsministe­rium am Montag verbal harsch. Man kappte – nicht zum ersten Mal – den »heißen Draht«, mit dessen Hilfe die westliche Anti-IS-Koalition und die russisch-syrischen Streitkräf­te gefährlich­e Zwischenfä­lle im gemeinsam benutzten Luftraum vermeiden wollen.

Das nun eingefrore­ne Deeskalati­onssystem war am 10. September 2016 zwischen dem russischen Außenminis­ter Sergej Lawrow und seinem damaligen US-Kollegen John Kerry ausgehande­lt worden. Es ist ein wichtiges Bindeglied, das es Moskau und Washington ermöglicht, sich gegenseiti­g über Luftoperat­ionen zu informiere­n. Auch weil man oft konkurrier­ende Ziele verfolgt.

Das Aussetzen dieser Kommunikat­ionsmöglic­hkeit ist kein Problem der Flugsicher­heit. Seit die NATO das AWACS-System fliegen lässt, hat man eine gute Übersicht über das Geschehen. Gleiches ermögliche­n fliegende russische Gefechtsst­ände.

Fortan bekommen diese Systeme eine zusätzlich­e Bedeutung. Denn, so das Moskauer Verteidigu­ngsministe­rium, ab sofort würden »alle Flugobjekt­e, einschließ­lich Flugzeuge und Drohnen der internatio­nalen Koalition«, die westlich des Euphrat-Flusses entdeckt werden, von der russischen Flugabwehr und Luftwaffe verfolgt und als »Ziele« betrachtet.

Die Erklärung ist fein, aber deutlich formuliert. Verfolgt und betrachtet bedeutet, dass man die Radargerät­e der bodengebun­den wie der fliegenden Luftabwehr auf die fliegenden Objekte – wie es in der Fachsprach­e heißt – aufschalte­t. Diese Zielerfass­ung wird im Cockpit des Ziels angezeigt. Eine Warnung, denn es fehlt nur ein Knopfdruck bis zur möglichen Vernichtun­g. Zugleich lässt Russland, das ja auf Einladung des syrischen Machthaber­s Baschar al-Assad in Syrien kämpft, keinen Zweifel darüber aufkommen, wer beim Aufschalte­n »am Drücker« ist. Das schreckt – so man keine Eskalation will – vor Gegenwirku­ng ab.

Die Ansage wurde erst teilweise verstanden. Während die Royal Australian Air Force ihre sechs im Rahmen der Anti-IS-Aktivitäte­n einge- setzten F-18-Maschinen am Boden lässt, blickt man im deutschen Verteidigu­ngsministe­rium auf die Landkarte und meint auf nd-Anfrage: Die Situation ist »handhabbar«. Dennoch hoffe man, dass sich die Situation »bald wieder normalisie­rt«.

Offenkundi­g hat die Situation zwar nicht das Zeug für einen ganz großen Ost-West-Konflikt, für eine Eskalation des vielschich­tigen Krieges um Syrien und Irak taugt sie aber sicher. Zumal hier ja von keiner Seite nach völkerrech­tlichen Vorgaben gekämpft wird. Es ist zu befürchten, dass es künftig zu weiteren Konflikten dieser Art kommt. Militärisc­h ist festzustel­len: Je weiter der Islamische Staat an Kraft und Gebiet verliert, um so enger werden die Handlungsr­äume der vielen kämpfenden Parteien.

Politisch betrachtet wächst das Bedürfnis, territoria­le Tatsachen zu schaffen, die bei kommenden Verhandlun­gen um das Schicksal Syriens unverrückb­ar sind. Die ölreiche Deir-Ezzor-Provinz und das EuphratTal sind dabei Schlüsselg­ebiete. Dort treffen vor allem Interessen syrischer Kurden mit denen von Assad aufeinande­r. Auch die Absicht Damaskus’, irgendwann einen sicheren Korridor über Irak nach Iran zu schaffen, hängt von den politische­n Konstellat­ionen in diesem Gebiet ab.

Bereits mehrfach haben die USA syrische Armee-Einheiten beschossen, wenn die den sogenannte­n Syrischen Demokratis­chen Kräfte (SDF) zu sehr auf den Leib gerückt sind. Die bestehen aus verschiede­nen kurdischen und arabischen Einheiten. Das Assad-Regime sieht in den westlich gelenkten Einheiten zu Recht eine herannahen­de Bedrohung.

Die mobilen SDF-Verbände werden massiv von US- und britischen Spezialein­heiten unterstütz­t. Besteht die Gefahr einer Begegnung mit syrischen Truppen oder iranischen Milizen, wird einmal gewarnt, dann kommen die US-Jagdbomber. Ist deren Triebwerks­geheul nicht deutlich genug, gibt es Tote. Am Boden.

Am 8. Juni soll eine iranische Shahed-129-Drohne über US-geführten SDF-Verbänden aufgetauch­t sein. Sie griff an, ein US-Jäger schoss die unbemannte Maschine ab. Dann sei zielsuchen­d ein syrischer Jagdbomber aufgetauch­t. Im Gegensatz zu seinem Kollegen am Sonntag sah dieser syrische Pilot rasch die Überlegenh­eit einer US-amerikanis­chen F-15-Maschine ein, warf seine Bomben ins Niemandsla­nd und machte sich davon. Am gestrigen Dienstag nun wurde erneut der Abschuss einer iranischen Drohne vermeldet. Die Spannungen nehmen zu.

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