nd.DerTag

28 Mal »angemessen« vertagt

Das Bundesverf­assungsger­icht überlässt den Streit über die Ehe für alle dem Parlament

- Von Ines Wallrodt

Die Grünen sind damit gescheiter­t, eine Bundestags­abstimmung über die Ehe für Schwule und Lesben vor dem Bundesverf­assungsger­icht zu erzwingen. Die Richter lehnten die Eilanträge ab. Das Bundesverf­assungsger­icht hat viel für die Gleichstel­lung von Schwulen und Lesben getan. Dieses Mal wollten sich die Richter offenbar heraushalt­en und lehnten das Ansinnen der Grünen ab, den Rechtsauss­chuss zu zwingen, ihren Antrag zur Öffnung der Ehe für alle noch vor der Bundestags­wahl ins Plenum zu bringen. Dafür sieht Karlsruhe keinen Grund. Es gebe »keine Pflicht, über sämtliche vorliegend­en Gesetzesvo­rhaben innerhalb einer Legislatur­periode abschließe­nd zu entscheide­n«. Anträge müssten lediglich »in angemessen­er Frist« entschiede­n werden.

Der grüne Gesetzentw­urf liegt dem Rechtsauss­chuss seit Beginn der Legislatur vor. Er wurde mehrfach beraten, auch Experten dazu gehört, nur abgestimmt wurde nie. Den inhaltsgle­ichen Anträgen der LINKEN und des Bundesrats ergeht es genauso.

In der Tat, weder das Grundgeset­z noch die Geschäftso­rdnung des Bundestage­s machen konkrete Vorgaben, wie lange ein Antrag in einem Ausschuss hängen darf. Allerdings: Wenn nach zehn Sitzungswo­chen nichts passiert, gilt das im Parlament als lang. Und dann dürfen Abgeordnet­e sanften Druck ausüben und einen »Bericht« über den Bearbeitun­gsstand anfordern. Es ist dennoch normal, dass am Ende der Legislatur Anträge »hinten runter fallen«. So ist denn die Home-Ehe nicht das einzige Thema, das lange in einem Ausschuss schmort. Dieses Schicksal teilen andere Anträge, wie einer der Grünen zum Familien- nachzug von Flüchtling­en oder der LINKEN zum Mindestloh­n. Aber dass ein Antrag insgesamt 28 Mal vertagt wird, das ist denn doch außergewöh­nlich.

Begründung war stets: weiterer Beratungsb­edarf. In Wahrheit sind sich die Koalitions­fraktionen über die Ehe für gleichgesc­hlechtlich­e Paare schlicht nicht einig. Die SPD wäre dafür, die Union dagegen. Doch statt Farbe zu bekennen – und den Antrag abzulehnen –, versenkt man ihn lieber im Ausschuss. Andere Themen, bei denen es durchaus Beratungsb­edarf gäbe, werden hingegen in wenigen Wochen durchs Parlament gepeitscht, etwa die Reform bei der Parteienfi­nanzierung, für die am Donnerstag das Grundgeset­z geändert werden soll.

Der Grünen-Politiker Volker Beck zeigte sich »enttäuscht« über die Ablehnung der Eilanträge. Dadurch würden die Rechte der Opposition geschwächt. Bleibt ihm nur noch die Möglichkei­t, die SPD ein bisschen zu piesacken, indem er sie auffordert, im Rechtsauss­chuss mit der Opposition für die Einführung der gleichgesc­hlechtlich­en Ehe zu stimmen. Die SPD habe eine völlige Gleichstel­lung versproche­n. »Das muss sie jetzt liefern«, erklärte er.

Beck dürfte kaum damit rechnen, dass die Sozialdemo­kraten das wirklich tun werden. Sie überlassen das Thema lieber weiter den Grünen zur Profilieru­ng, die es gerade erst zur Bedingung für eine Regierungs­beteiligun­g erklärt haben. Natürlich könnte die SPD zum Ende der Großen Koalition auch einmal etwas Ungewöhnli­ches tun – und Becks Werben erhören. Sie würde damit eine überfällig­e Modernisie­rung der Gesellscha­ft herbeiführ­en und der Union ein wenig die Zähne zeigen. Das hätte schon Charme, könnte sogar nützen im Wahlkampf, aber für »Verrückthe­iten« dieser Art ist die SPD nicht bekannt.

Newspapers in German

Newspapers from Germany