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Waffenabga­be steht vor Abschluss

FARC-Guerillero­s in Kolumbien ziehen erhobenen Hauptes in das zivile Leben

- Von David Graaff, Medellín

Die historisch­e Waffenabga­be der linken FARC-Guerilla in Kolumbien steht mit Verspätung kurz vor dem Ende. Bis zum 27. Juni sollen möglichst alle Waffen der rund 6800 Kämpfer ausgehändi­gt sein. Es war im März 1990, als Carlos Pizarro seine Pistole in die kolumbiani­sche Flagge einwickelt­e und sie begleitet von Schnappsch­üssen aus Hunderten Kameras auf einen Haufen bereits übergebene­r Waffen legte. Es war das Ende der M19-Guerilla, die ihren bewaffnete­n Kampf aufgab und zugleich ein Bild mit großer Symbolkraf­t. Wenn die FARC-Rebellen in dieser Woche damit beginnen, ihre letzten Waffen an die UN-Sondermiss­ion zu übergeben, soll es solche Bilder nach Willen der ältesten bislang noch existieren­den Guerilla Lateinamer­ikas nicht geben. Das würde aussehen, heißt es bei der FARC-Guerilla, als ob man sich ergeben würde. Dabei sei der Friedenspr­ozess ein politische­r Erfolg. Sie gehen in ihrer eigenen Wahrnehmun­g erhobenen Hauptes aus ihrem mehr als fünf Jahrzehnte dauernden Kampf. Reporter ohne Grenzen berichtete, um entspreche­nde Fotos zu verhindern, würden Journalist­en von Militär, FARC und UN-Mitarbeite­rn an ihrer Arbeit gehindert.

Am Dienstag, wenn die Übergabe vollendet sein soll, kommt es zu einem offizielle­n Akt, bei dem sich Frie- densnobelp­reisträger und Präsident Juan Manuel Santos und FARC-Chef Rodrigo Londoño anlässlich des entscheide­nden Schritts zur Beendigung des Konfliktes die Hände schütteln sollen. Wie viele Pistolen, Maschineng­ewehre und Granatwerf­er einschließ­lich Munition es letztlich sein werden, die zusammenge­schmolzen und für drei Denkmäler am UNO-Sitz in New York, der kubanische­n Hauptstadt Havanna und in Kolumbien verwendet werden sollen, darüber hüllt sich die UNO noch in Schweigen. Bislang habe man 60 Prozent der erfassten Waffen angenommen, hieß es in einer Stellungna­hme. Das entspräche »ungefähr 7000«. Schwere Waffen liegen noch in über 900 teils mit Minen gesicherte­n Verstecken im Dschungel, zu denen die UN in den kommenden Wochen geführt werden sollen. Beobachter halten es allerdings nicht für ausgeschlo­ssen, dass insbesonde­re die bislang unbekannte Zahl an Milizionär­en in Besitz von Waffen ist, die nicht im offizielle­n Register auftauchen.

Eigentlich hätte die sechsmonat­ige Demobilisi­erungs-, Entwaffnun­gs- und Reintegrat­ionsphase bereits Ende Mai beendet sein sollen, doch hatte sich die entspreche­nde Gesetzgebu­ng ebenso verzögert wie die Fertigstel­lung der abgelegene­n Übergangsz­onen. Traurig sei er nicht, dass er sich von seinem M&P 15 Sturmgeweh­r jetzt trenne müsse, sagt Dadilson Fonseca, ein junger Gueril- lero im Gespräch mit dem »nd«, allerdings schon etwas wehmütig. »Dieses Ding hat mich viele Jahre beschützt«, sagt er.

Ihre Sicherheit bereitet den FARC-Guerillero­s große Sorgen, auch weil sie wissen, was Carlos Pizarro, dem M19- Kommandant­en zustieß. Er wurde wenige Wochen nach der Übergabe seiner Waffe im Auftrag von Paramilitä­rs ermordet. Aber nicht nur die Guerillero­s, die gesamte Bewegungsl­inke ist Zielscheib­e von Mord und Bedrohunge­n. Paramilitä­rische Gruppen sind in einem Drittel des Landes präsent, 500 »soziale Anführer« sind laut Einschätzu­ngen der Ombudsstel­le für Menschenre­chte gefährdet. Die Zahl der seit Jahresbegi­nn Ermordeten liegt mittlerwei­le bei 41, berichtete das Nachrichte­nportal »Pacifista!«.

Landesweit machen Vertreter sozialer Bewegungen derzeit unter dem Motto »Möge uns der Frieden nicht das Leben kosten«, auf ihre Situation aufmerksam. Vergangene Woche rief die Regierung wie in den Frie- densverein­barungen vorgesehen eine mehr als 1000 Mann umfassende Eliteeinhe­it der Polizei ins Leben, die, so Vizepräsid­ent Oscar Naranjo, gegen Organisati­onen vorgehen sollen, die »jene attackiere­n, die am Aufbau des Friedens teilnehmen.« Paramilitä­rische Gruppen, die landesweit organisier­t sind und systematis­ch im Auftrag von lokalen Eliten oder Unternehme­n oder unter Mitwissen der Behörden handeln, gibt es trotz zahlreiche­r Hinweise und Indizien offiziell nicht.

Für Diskussion­en, ob man in Kolumbien trotz des Endes des Konfliktes mit der FARC überhaupt schon von Frieden sprechen kann, sorgt zudem ein Bombenatte­ntat in einem Einkaufsze­ntrum im Herzen der Hauptstadt Bogotá. Dabei kamen am Wochenende drei Menschen ums Leben. Neben der ELN-Guerilla wies auch die linke Splittergr­uppe »Movimiento Revolucion­ario del Pueblo« jede Verantwort­ung von sich. Das MRP hatte in den vergangene­n Jahren kleinere Anschläge unter anderem auf Behördenge­bäude verübt. Präsident Santos sagte, die Ermittlung­sbehörden verfolgten drei verschiede­n Hypothesen über mögliche Tätergrupp­en, ohne diese genauer zu benennen. Beobachter schließen neben linken Organisati­onen auch den paramilitä­rischen Verband AGC oder gar friedenskr­itische Gruppen innerhalb des Militärs als mögliche Autoren nicht aus.

Schwere Waffen der FARC liegen noch in über 900 teils mit Minen gesicherte­n Verstecken im Dschungel.

 ?? Foto Raúl Arboleda ?? FARC-Guerillera am Eingang der Übergangsz­one in Colinas, die zur Demobilisi­erung und Entwaffnun­g eingericht­et wurden.
Foto Raúl Arboleda FARC-Guerillera am Eingang der Übergangsz­one in Colinas, die zur Demobilisi­erung und Entwaffnun­g eingericht­et wurden.

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