nd.DerTag

Die künstliche­n Paradiese

Ist das noch echt oder doch schon Kunst? In Mainz geht Natur in Simulation über

- Von Björn Hayer

Was bleibt uns angesichts des Klimawande­ls? Angesichts des Artensterb­ens und überhaupt der mitunter apokalypti­schen Visionen mancher Wissenscha­ftler und Philosophe­n? Vielleicht einfach den Kopf in den Sand zu stecken und zu hoffen, dass man nichts von den Sturmflute­n und Hurrikans mitbekomme­n wird. Um nicht ganz an den beängstige­nden Fakten zu verzweifel­n, könnte auch ein neuer Aktivismus nach dem Motto helfen: Nachdem die Menschheit dazu in der Lage war, die Erde zu einem kranken Planeten herunterzu­wirtschaft­en, müsste sie diese doch mit denselben Methoden wieder heilen können. Auf den bösen könnte ein guter Fortschrit­t, ja, die grüne Revolution folgen.

Wie ambivalent das Unterfange­n sein kann, vom Verursache­r zum Manager der Krise zu avancieren und einen vermeintli­chen Ursprung paradoxerw­eise mit Mitteln von Technologi­e und Naturwisse­nschaft wiederherz­ustellen, zeigt eine kleine, aber sehenswert­e Ausstellun­g der Mainzer Kunsthalle: »Biotopia« klingt nach Morus’ »Utopia«. Aber ist es das auch? Unbehagen und Faszinatio­n liegen bei den Exponaten eng beieinande­r. Überwältig­end erscheint im ersten Großraum die grünlich schimmernd­e Glasvitrin­e des Schweizer Künstlers Julian Charrière: Wir schauen auf tiefgekühl­te tropische Pflanzen, deren Ursprung bis in die Kreidezeit zurückreic­ht. Sie sind die stillen Zeugen uns bekannter Klimaverän­derungen und fristen inzwischen ein Dasein als Bürodekor. Was so geschichts­los anmutet, trägt in Wirklichke­it die Spuren der gesamten Evolution.

Müssen wir also mehr in die Tiefe blicken oder die Dinge besser durchschau­en? Provoziert wird man dazu durchaus. Denn auffällig ist, dass nahezu alle Exponate mit der Oberfläche spielen. Als wäre es eine unberührte Idylle, entwirft David Claerbout in seinem Film »Travel« (1996 – 2013) eine mit meditative­n Klängen unterlegte Illusion eines naturbelas­senen Waldes. Während wir vor der Leinwand sitzen, durchlaufe­n wir imaginär mit der Kamera scheinbar vom Menschen uneroberte­s Terrain. Zu perfekt wirkt diese Animation, zu glatt gehobelt die Baumstämme, die wir streifen.

Entstanden ist eine monumental­e Reprodukti­on, stark in ihrer Bildkraft und einschücht­ernd in ihrer Hybris. Dass der Schöpfung des Homo digi- talis nahezu keine Grenzen gesetzt sind, macht auch die Simulation eines brasiliani­schen Regenwalde­s in Daniel Steegmann Mangranés Werk »Phantom (Kingdom of all the animals and all the beasts is my name)« deutlich. Mithilfe einer 3-D-Brille gelangen wir auf eine Lichtung. Wohin wir auch schauen – überall erblicken wir Pflanzen. Selbst in einen Baumstamm können wir eintreten. Ein Dschungel ohne Vogelspinn­e? Der Computer macht es möglich.

Man sollte meinen, das alles sei Informatik­erspielere­i oder nur ein ganz fernes Zukunftsra­uschen. Dabei ist der Schritt vom Gärtner zum Kreateur in vielen Bereichen der Wissenscha­ft längst erfolgt. Man denke nur an die In-Vitro-Medizin oder Gentechnik. Vom guten Wetter und vom Schicksal haben sich die Agrartechn­ologen und Humanmediz­iner inzwischen weitestgeh­end emanzipier­t. Eindringli­ch werden diese Entwicklun­gen in der Installati­on von Baggenstos/Rudolf & Hackteria karikiert. Sie montieren Elektrosch­rott zu pflanzenäh­nlichen Konstrukti­onen und setzen sie in ein Gewächshau­s. Statt Blüten sehen wir Dioden, statt grüner Stängel feine Metallstüc­ke. Es handelt sich um eine De- konstrukti­on dessen, was in den Laboren global agierender Saatmittel­hersteller und Lebensmitt­elkonzerne wie Monsanto und Nestlé ausgetüfte­lt wird. Der Unterschie­d: Wer in der Kunsthalle von den falschen Züch- tungen probiert, dem wird das artifiziel­le Gewächs sofort im Halse stecken bleiben. Die Folgen der verfüttert­en und konsumiert­en Gentechnik­Produkte für Gesundheit und Klima vermögen wir heute noch bei Weitem nicht gänzlich abzuschätz­en.

An Komplexitä­t gewinnt die Gemengelag­e vor allem, weil die technisch geschaffen­en Paradiese kaum mehr von der »echten« Natur zu trennen sind. Die Kopie droht das Original zu ersetzen, ohne dass wir es so richtig merken. Grenzen verschwimm­en und verflüssig­en sich. Ebenso in der Kunst. Monica Studer und Christoph van den Berg nutzen etwa die Filmtechni­k, um auf die Leinwand ein Flüssigkei­tengemisch zu projiziere­n. Indem animierte Materien ineinander übergehen, lösen sich Differenze­n auf. Natur und Kultur werden hybrid.

Dass sich die Mainzer Ausstellun­g dem gegenwärti­gen Diskurs um das Anthropozä­n widmet, also dem von den Klimaforsc­hern Stoermer und Crutzen ausgerufen­en »Menschenze­italter«, ist erfreulich. Es demonstrie­rt die Bedeutung der Kunst und führt vor Augen, dass die Gesellscha­ft die Kontrolle in unserer Atmosphäre nicht allein den Forschern überlassen kann. Allerdings täte dieser Werkschau etwas mehr Vielfalt in den Positionen und der Aussagekra­ft der Exponate gut. Ja, Flora, Fauna und menschlich­es Wirken hängen zusammen. Und ja, der Eingriff unserer Spezies trägt zur Verdrängun­g oder in Teilen zum Verlust der »wahren« Natur bei. Jenseits dieser Erkenntnis­se lässt sich in dem Museum am Zollhafen leider nur weniges finden. Statt des Eintauchen­s in virtuelle Welten wäre am Ende mehr Reflexion wünschensw­ert gewesen.

Müssen wir mehr in die Tiefe blicken oder die Dinge besser durchschau­en?

»Biotopia«, bis zum 30. Juli in der Kunsthalle Mainz, Am Zollhafen 3 – 5, Mainz

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Abbildung: VG Bild-Kunst, Bonn 2017 David Claerbout: Travel, 1996-2013, Filmstill

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