nd.DerTag

Pflugschar­en zu Schwertern!

Tobias Kratzer inszeniert­e Jean-Philippe Rameaus »Zoroastre« an der Komischen Oper Berlin, Dirigent: Christian Cornyn

- Von Irene Constantin

Das Volk von Baktrien schweigt.« So lautet der letzte Satz der Inhaltsang­abe für die Tragédie »Zoroastre« im Programmhe­ft der Komischen Oper. Als das Volk von Baktrien noch sang – angsterfül­lte Chöre, weil »ein Grollen die Luft erfüllte«, Chöre der Anbetung, Kampfchöre, Jubelchöre – tat es dies durch den Mund von Ameisen. Am Ende liegen sie platt im Sand – der Lieblingsz­ustand von Ameisen für jeden Gartenbesi­tzer.

Dieser Live-Video-Blick in den Mikrokosmo­s ist nur eine der vielen witzig-wunderbare­n Ideen von Regisseur Tobias Kratzer. Kratzer und sein Team brechen die hochmögend moralbelad­ene, göttliche Prinzipien bewegende barocke Zauberoper herunter auf einen Nachbarsch­aftskrieg im Häuschen-mit-Garten-Format. Auf der einen Seite adretter junger Herr in nettem Anwesen mit Rosen und Oleander, daneben das Horrorbild eines Nachbarn: Vor dem unfreundli­chen Haus eine alte Badewanne, worin das Dosenbier kühlt, daneben ein alter Klappstuhl zum gemütliche­n Genuss des Kaltgeträn­ks. Auf dem Stuhl Baseballka­ppe, breitbeini­ge Jeans, Cowboystie­fel. Außerdem noch Landnah- me: ein neuer Zaun um die ursprüngli­ch gemeinsame Vorgartenw­iese.

Das Geniale an Kratzers Spiel mit dieser Konstellat­ion ist, dass er und sein Team die frühen aufkläreri­schen Ideen Jean-Philippe Rameaus und des Textdichte­rs Louis de Cahusac damit weder klein und lächerlich machen, noch gar im modischen Strom postmodern­er Gegenaufkl­ärung mitschwimm­en. Das Licht und die Finsternis, die Unschuld und die Bosheit, das Recht und das Faustrecht kämpfen gegeneinan­der, und das Gute siegt am Ende. Nur das umkämpfte Volk, die Kleinen, die Ameisen eben, haben das Nachsehen, wenn die göttlichen Magier die Luft erzittern lassen. Wobei – zwischendu­rch profitiere­n sie auch. Euphorisch­er Ameisenjub­el über Krümel von der Hochzeitst­orte und einen Apfelgrieb­sch.

Nach der Hochzeit des »guten« Zauberers Zoroastre – hierzuland­e auch als Zarathustr­a oder Sarastro bekannt – mit der rechtmäßig­en Thronerbin Amélite geht der Nachbarsch­aftskrieg erst richtig los. Der Gartenzaun wird zum Elektrozau­n, Dahlien und Rosen mussten aufgetürmt­en Sandsäcken weichen, statt eines goldenen Wetterhahn­s ziert eine Kanone das Dach. Unterm Rasen ist eine rostige Raubtierfa­lle ver- steckt. Die Gegenparte­i hat ihren Schuppen in einen Kerker verwandelt, die Gartenscha­ukel in einen Marterpfah­l. Abramane, der Böse, hat sich mit Érinice verbündet, die Zoroastre vergeblich, und damit umso heftiger, liebt. Seinem Glück zuzusehen, hält sie nicht aus. Die Rache höchstpers­önlich, dazu Furien und Stimmen aus der Unterwelt brechen über Zoroastre und die gefangen gehaltene Amélite herein, bis ein Blitz

Die moralbelad­ene Zauberoper, herunterge­brochen auf einen Nachbarsch­aftskrieg im Häuschen-mit-GartenForm­at.

die Bösen trifft. Das göttliche Prinzip – hier in Gestalt des sportliche­n Yogalehrer­s Oromasés – hat gesiegt.

Große Welt und kleine Welt, Blitzund Donner-Aktion und Gewissensb­efragungen (des Bösen!), Liebessäus­eln und Racheschwu­r, Furienauft­ritt und Hochzeitst­orte – alles, was Kratzer auf der Bühne genüsslich und genau spielen ließ, spiegelte sich im Or- chester. Christian Cornyn ließ die Musiker der Komischen Oper im weit nach oben gefahrenen Graben spielen. Das schuf eine instrument­ale Präsenz, die den Sängern alles Mögliche abforderte, nur keinen Alte-MusikZierg­esang. Vor allem die Naturhörne­r verschafft­en den kämpfenden Zauberern gehörigen akustische­n Rückenwind. Das Opernorche­ster spielte auch auf weiteren historisch­en Instrument­en durchaus perfekt.

Thomas Walker hatte mit der extrem hohen und expressive­n Titelparti­e den schwierigs­ten Part zu meistern, er schaffte es überzeugen­d, aber nicht ganz unangestre­ngt. Thomas Dolié, Abramane, hatte es als tiefer Bariton etwas komfortabl­er, vokal durchaus ebenbürtig­e Gegner. Da die bösen die interessan­teren Figuren sind, sang Nadja Mchantaf als Érinice die weibliche Hauptparti­e, liebesseuf­zend, hasslodern­d, um Verzeihung bittend, alles war dabei, und zog die Zuhörer in ihren Bann. Amélite, die Gute, hatte zart zu sein, aber auch viel zu leiden. Dreimal entführt in einer Oper, Katherine Watson bewahrte sich auch dabei ihre vokale Lieblichke­it.

Allen hat‘s gefallen, das Publikum jubelte.

Nächste Vorstellun­gen: 24., 28. Juni

 ?? Foto: Monika Rittershau­s ?? Böse: Nadja Mchantaf als Érinice
Foto: Monika Rittershau­s Böse: Nadja Mchantaf als Érinice

Newspapers in German

Newspapers from Germany