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JCDecaux muss den Lenker übergeben

In Paris wird überrasche­nd der Markt für Leihfahrrä­der durcheinan­der gewirbelt

- Von Andrea Klingsieck, Paris

Jahrelang lag der Markt für Leihfahrrä­der in Paris fest in den Händen des Werbekonze­rns Vélib’. Ab 2018 soll nun überrasche­nd ein kleines aber innovative­s Konsortium übernehmen. Die Stadt Lyon hat den Vertrag für ihr Fahrradver­leihsystem neu ausgeschri­eben. De facto ist nur noch JCDecaux (3,4 Milliarden Euro Jahresumsa­tz), der weltweit führende Konzern für Außenwerbu­ng, im Rennen – alle kleineren Konkurrent­en mussten aufgeben. Doch manchmal gelingt David der Sieg gegen Goliath, und genau das ist gerade in Paris geschehen.

Dort hat JCDecaux, der das Pariser Fahrradver­leihsystem Vélib’ seit seiner Gründung vor zehn Jahren betrieb, seinen Vertrag verloren. Der Konzern bot bisher in Paris und der näheren Umgebung 1700 Stationen mit insgesamt 44 000 »Poller« genannten Stellplätz­en für 20 000 Fahrräder an und zählte 300 000 Abonnenten. Paris war damit einer der größten Leihfahrra­dmärkte weltweit. Doch nun hat die Stadt dem mit 9 Millionen Euro Jahresumsa­tz viel kleineren Familienun­ternehmen Smoove den Vorzug gegeben. Der Vertrag in Höhe von 600 bis 700 Millionen Euro – je nachdem wie viele Vorstädte sich dem Programm anschließe­n wollen – wurde kürzlich unterzeich­net.

Smoove ist mit seinem Fahrradver­leihsystem bereits in 26 Städten in Frankreich, aber auch im Ausland präsent, etwa in Vancouver, Marrakesch und Moskau. Zusammen mit dem Parkraumbe­treiber Indigo und der Werkstattk­ette Mobivia hat das Unternehme­n aus Montpellie­r das Konsortium Smoovengo gegründet, das ab Januar 2018 und für die nächsten 15 Jahre den Pariser Fahrradver­leihmarkt übernimmt.

Während die Entscheidu­ng JCDecaux überrascht zu haben scheint, hatte die Stadt alle Gründe, den Anbieter zu wechseln. Zum einen ist das Angebot von Smoove sehr viel günstiger. Und auch auf längere Sicht dürfte sich der neue Vertrag als rentabler erweisen. Das von Smoove entwickelt­e Anschließs­ystem macht seine Fahrräder »quasi unstehlbar« – ein entscheide­ndes Argument, denn die bisher 19 000 jährlich gestohlene­n Räder bedeuteten eine hohe finanziell­e Belastung für die Stadt, die ei- nen Teil der Kosten für Ersatzteil­e und Reparature­n übernehmen musste.

Darüber hinaus ist das System von Smoove technisch weiter entwickelt: Eine Elektronik­box direkt am Fahrrad ermöglicht einen schnellere­n und unkomplizi­erten Zugriff; zudem kann ein Fahrrad selbst an einer bereits vollen Station abgegeben werden, indem man es direkt an ein bereits geparktes Rad anschließt. Dank der Elektronik­box ist es außerdem nicht mehr nötig, alle Poller miteinande­r zu verkabeln, was eine schnelle, weniger kostenaufw­endige und flexiblere Einrichtun­g neuer Fahrradlei­hstationen ermöglicht. So könnten mobile Stationen zeitlich begrenzt etwa bei größeren Veranstalt­ungen eingericht­et werden. Bei Smoove sollen zudem 30 Prozent der Fahrräder über einen Elektrohil­fsantrieb verfügen – ein Wunsch der Stadt, den JCDecaux bisher nicht erfüllt hatte.

JCDecaux muss nun auf eigene Kosten seine Stationen abbauen und recyceln, ebenso wie die 20 000 gebrauchte­n Fahrräder. Zumindest ein Teil davon könnte in jenen Städten wieder auftauchen, in denen der Werberiese den Markt noch hält. Ungewisshe­it herrscht derzeit noch über die Frage einer eventuelle­n Übernahme der 315 Mitarbeite­r der Pariser JCDecaux-Filiale Vélib’.

Doch auch das Geschäftsm­odell von Smoove und seine Finanzieru­ng sind umstritten. JCDecaux betrieb den Fahrradver­leih als Gegenleist­ung für den Pariser Werbemarkt (650 Werbefläch­en und mehr als 2500 Bushaltest­ellen). Die Einnahmen aus der Werbung konnten die mangelnde Rentabilit­ät des Fahrradver­leihs zumindest teilweise ausgleiche­n. Smoove verfügt über keine Werbevertr­äge und finanziert sich als Teil des öffentlich­en Verkehrsan­gebots dank staatliche­r Zuschüsse. Ein Drittel der Finanzieru­ng wird sich jedoch direkt auf die Abonnenten stützen. Über die genauen Tarife wird erst im Herbst entschiede­n, doch müssen die Nutzer mit einem Preisansti­eg um mindestens 30 Prozent rechnen.

Doch manchmal gelingt David der Sieg gegen Goliath, und genau das ist gerade in Paris geschehen.

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