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Autonutzer als Netzwerkel­ement

Expertenko­mmission schlägt ethische Regeln für die Zulassung autonomen Fahrens vor

- Von Kurt Stenger

Die Ethikkommi­ssion zum autonomen Fahren hat ihren Abschlussb­ericht vorgelegt. Sie fordert strengen Datenschut­z und ist gegen eine Qualifizie­rung von Unfallopfe­rn nach körperlich­en Merkmalen. Die Mitglieder der Ethikkommi­ssion »Automatisi­ertes und vernetztes Fahren« beließen es nicht bei sieben trockenen Sitzungen in stickigen Räumen des Bundesverk­ehrsminist­eriums in Berlin. Sie wagten auch die Praxisfahr­t mit automatisi­ert und vernetzt fahrenden Versuchsfa­hrzeugen verschiede­ner Hersteller, um sich von Chancen wie Risiken dieser Technik ein Bild zu machen.

Im Auftrag von Verkehrsmi­nister Alexander Dobrindt (CSU) trafen sich 14 Experten – darunter Juristen, Informatik­er, Philosophe­n, Verbrauche­rschützer, Autoclub- und Unternehme­nsvertrete­r –, um über ethische Fragen im Zusammenha­ng mit dem automatisi­erten Fahren zu beraten und Leitlinien für den Einsatz zu entwerfen. »Wenn die Zulassung automatisi­erter Fahrsystem­e – wie es sich internatio­nal bereits abzeichnet – erfolgt, kommt es auf die Bedingunge­n und Ausgestalt­ungen an«, heißt es im am Dienstag vorgelegte­n Abschlussb­ericht der Kommission unter Leitung des früheren Bundesverf­assungsric­hters und jetzigen Bonner Universitä­tsprofesso­rs Udo Di Fabio. Praktische Probleme stellen sich zuhauf: Wie steht es um den Schutz personenbe­zogener Nutzerdate­n, die die Autos sammeln und verarbeite­n müssen? Welche Anforderun­gen gibt es für die IT-Sicherheit, damit die Gefährte nicht von Unbefugten ferngesteu­ert werden können? Und wenn ein Unfall unausweich­lich ist, soll der Bordcomput­er dann so programmie­rt sein, dass er das Auto in den Gegenverke­hr, den Fahrradstr­eifen oder ein auf dem Bordstein spielendes Kind steuert?

In dem 33-seitigen Papier formuliert die Kommission 20 ethische Regeln für den automatisi­erten und vernetzten Fahrzeugve­rkehr. »Der Schutz von Menschen hat Vorrang vor allen anderen Nützlichke­itserwägun­gen« formuliere­n die Autoren. »Die Zulassung von automatisi­erten Systemen ist nur vertretbar, wenn sie im Vergleich zu menschlich­en Fahrleistu­ngen zumindest eine Verminderu­ng von Schäden im Sinne einer positiven Risikobila­nz verspricht.« Es dürfe nicht zu einer »Degradieru­ng des Subjekts zum bloßen Netzwerkel­ement« kommen.

Konkret heißt das, dass der Fahrer grundsätzl­ich selbst über Weitergabe und Verwendung seiner Fahrzeugda­ten entscheide­n können muss. Ansonsten besteht die Möglichkei­t einer Totalüberw­achung des Menschen: »Eine vollständi­ge Vernetzung und zentrale Steuerung sämtlicher Fahrzeuge im Kontext einer digitalen Verkehrsin­frastruktu­r ist ethisch bedenklich, wenn und soweit sie Risiken einer totalen Überwachun­g der Verkehrste­ilnehmer und der Manipulati­on der Fahrzeugst­euerung nicht sicher auszuschli­eßen vermag«, heißt es im Bericht. Dies ist keine Zukunftsmu­sik, denn schon speichern Autos Daten ihrer Nutzer, ohne dass die Verarbeitu­ng geklärt ist. Die Autoren fordern daher rasch Regeln, bevor durch den Datenzugri­ff von Such- maschinen oder sozialen Netzwerken Fakten geschaffen werden.

In Sachen Schadensha­ftung schlagen die Experten die gleichen Grundsätze wie in der übrigen Produkthaf­tung vor. Demnach müssten Hersteller oder Betreiber verpflicht­et werden, »ihre Systeme fortlaufen­d zu optimieren und auch bereits ausgeliefe­rte Systeme zu beobachten und zu verbessern, wo dies technisch möglich und zumutbar ist«.

Und wie sieht es mit der Unfallsitu­ation aus? »In Gefahrensi­tuationen hat der Schutz menschlich­en Lebens immer höchste Priorität«, heißt es im Bericht der Ethikkommi­ssion. Grundsätzl­ich müsse Sach- und Tierschade­n vor Personensc­haden gehen: Sei letzterer unausweich­lich, »ist jede Qualifizie­rung nach persönlich­en Merkmalen (Alter, Geschlecht, körperlich­e oder geistige Konstituti­on) strikt untersagt«. Lediglich eine allgemeine Programmie­rung auf eine Minderung der Zahl von Personensc­häden könne vertretbar sein. »Die an der Erzeugung von Mobilitäts­risiken Beteiligte­n dürften Unbeteilig­te nicht opfern.«

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