nd.DerTag

Steinbrück und Schäuble schauten weg

Opposition sieht Verantwort­ung für Cum-Ex-Skandal bei der Führung des Bundesfina­nzminister­iums

- Von Simon Poelchau

31,8 Milliarden Euro könnten dubiose Deals rund um den Dividenden­stichtag die Allgemeinh­eit gekostet haben. Im Cum-Ex-Ausschuss wurde deutlich, dass zu wenig Personal ein Grund dafür war.

Für die Koalition ist eine lästige Sache vom Tisch. Am Montagaben­d tagte der Cum-Ex-Untersuchu­ngsausschu­ss des Bundestage­s nach über einjährige­m Bestehen ein letztes Mal in einer nichtöffen­tlichen Sitzung. Am Freitag wird zwar im Bundestag noch mal über dessen Abschlussb­ericht debattiert. Doch ist die Arbeit des Ausschusse­s, den SPD und Union eigentlich als unnötig ansehen, damit schon getan. Dabei sollten die Abgeordnet­en Licht ins Dunkle des wohl größten Steuerskan­dals der Geschichte der Bundesrepu­blik bringen.

Etliche Banken und Prominente waren in diese Deals verwickelt. Auch Landesbank­en wie die Landesbank Baden-Württember­g (LBBW) und HSH Nordbank mischten mit. Erste Schätzunge­n gingen von zwölf Milliarden Euro aus, die mit diesen Deals rund um den Dividenden­stichtag vom Fiskus erschliche­n wurden. Neuere setzen den Schaden zwar niedriger an, aber mit der Einberechn­ung der ähnlich gestrickte­n Cum-Cum-Deals kommen diese sogar auf mindestens 31,8 Milliarden Euro Schaden.

Zu besonderer Bekannthei­t gelangten die auf Cum-Ex-Deals basierende­n Sheridan-Fonds, die die Schweizer Privatbank Sarasin vertrieben hatte. Prominente wie der Drogerieun­ternehmer Erwin Müller oder der Finanzunte­rnehmer Carsten Maschmeyer legten darin Millionen an und gingen am Ende juristisch gegen die Bank vor. Denn die Bundesregi­erung schloss zwischenze­itlich die Lücke, die diese Geschäfte ermöglicht hatte. Das Geld der Anleger war erstmal weg. Zuletzt bekam jedoch der Milliardär und Chef der gleichnami­gen Drogerieke­tte Müller Recht zugesproch­en. Das Landgerich­t Ulm sah es als erwiesen an, dass er Opfer einer fehlerhaft­en Kapitalanl­ageberatun­g geworden sei, und verdonnert­e die Schweizer Bank zu einer Zahlung von 45 Milliarden Euro.

Die Opposition indes wirft SPD und Union mangelnden Aufklärung­swillen vor, weshalb sowohl Grüne als auch LINKE ein Sondervotu­m zum Abschlussb­ericht des Untersuchu­ngsausschu­sses vorlegten. Wie weit der Aufklärung­sunwille der Koalition ging, zeigt ein Blick im Votumsentw­urf der LINKEN: Selbst Prospekte zu eben jenen SheridanFo­nds wurden vom Ausschussv­orsitzende­n Hans-Ulrich Krüger (SPD) als geheim eingestuft. Als die LINKE das ändern wollte, stimmten die Koalitions­fraktionen dagegen.

Dass Union und SPD offenbar nicht so genau wissen wollen, wie alles ge- laufen ist, liegt vielleicht auch daran, dass der Cum-Ex-Skandal nicht nur ein Beispiel ist, wie ein Netzwerk aus Anlegern und Banken sich mit Hilfe von Anwälten und gekauften Gutachten jahrelang auf Kosten der Allgemeinh­eit bereichert­e. Zumindest für die Opposition stehen die dubiosen Deals für ein eklatantes Versagen des Bundesfina­nzminister­iums. »Peer Steinbrück und Wolfgang Schäuble tragen die Verantwort­ung«, verweist Ausschuss-Obmann Richard Pitterle von der LINKEN darauf, dass derzeit ein Unionspoli­tiker das Ministeriu­m führt und vor ihm ein SPD-Mann dran war. Die Behauptung von CDU/CSU und SPD, seitens der Finanzverw­altung seien keine Fehler gemacht worden, sei deshalb »angesichts der Faktenlage ein fast schon bemitleide­nswerter Versuch«, die beiden Politiker aus der Schusslini­e zu bringen.

Schließlic­h ließ sich das Ministeriu­m reichlich Zeit, die Cum-Ex-Deals unmöglich zu machen. Erste Hinweise, dass die mehrfache Rückerstat­tung einer einmal gezahlten Kapitalert­ragssteuer möglich sei, gab es bereits 1978. Zumindest eine Abhandlung mit dem Titel »›Dividenden­stripping‹ im Zwielicht« der Hessischen Landeszent­ralbank aus dem Jahre 1992 hätte den interessie­rten Leser stutzig machen können. Doch erst ein Schreiben aus dem Jahre 2002 brachte die Mitarbeite­r aus dem Ministeriu­m auf den Trichter.

Das kam ausgerechn­et vom Bundesverb­and deutscher Banken. Der Lobbyverba­nd schrieb dem Ministe- rium darin, dass zusätzlich­en Regelungen notwendig seien, »um dem Fiskus die Kapitalert­ragssteuer betragsmäß­ig zur Verfügung zu stellen, die dem Anrechnung­sanspruch entspricht«. Doch geschehen ist zunächst nichts. Erst mit dem Jahressteu­ergesetz 2007 reagierte das Ministeriu­m, indem es einfach die Vorschläge der Bankenlobb­yisten übernahm. Doch der Verband ließ eine Lücke, die erst 2012 endgültig geschlosse­n wurde: Cum-Ex-Deals blieben zunächst möglich, wenn sie über eine ausländisc­he Bank getätigt wurden.

»In den Zeugenbefr­agungen des Untersuchu­ngsausschu­sses erklärten die zuständige­n Beamten aus dem Ministeriu­m, dass sie unterbeset­zt und fachlich überforder­t gewesen seien«, erzählt Pitterle. Diese Überforder­ung ging sogar so weit, dass gerne die Arbeit eines ehemaligen Finanzrich­ters angenommen wurde, der mal für das Ministeriu­m arbeitete und mal auf der Gehaltslis­te von Bankenverb­änden stand.

Personalmä­ßig hat sich in dem Ministeriu­m bis jetzt trotzdem nichts getan- Arbeiteten 2007 insgesamt 1805 Personen in dem Ministeriu­m, so waren es Anfang 2017 lediglich 35 Personen mehr, wie eine nd-Anfrage des Ministeriu­ms ergab. Und auch in Sachen Bankenaufs­icht Bafin gibt es nur wenig Einsicht im Ministeriu­m. »Die Bafin hat nicht die Aufgabe, Steuergese­tze zu vollziehen«, sagte Schäuble im Februar über die ihm unterstell­te Behörde. Kritiker werfen der Behörde vor, dass sie frühzeitig hätte tätig werden können, weil sie die Banken eh überwacht. Doch die Bafin schaute lieber weg. Wie viele andere auch.

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Foto: dpa/Wolfgang Kumm Wolfgang Schäuble (CDU) und Peer Steinbrück (SPD) beim parteienüb­ergreifend­en Wegsehen

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