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Der kranke Apfel

Daniela Kickl hat einige Jahre in der Apple-Europazent­rale in Irland gearbeitet. Ihre Erfahrunge­n sind ernüchtern­d

- Von Kurt Stenger

Viele jungen Leute glauben, sich mit einem Job bei Apple einen Traum zu erfüllen. Doch die Arbeitswel­t in dem iPhone-Konzern ist, wie ein neues Buch enthüllt, eher das Gegenteil davon. Apple lebt vor allem von seinem Ruf, frisch, innovativ und irgendwie anders zu sein. Offenbar bezieht sich diese Einschätzu­ng aber nur auf technische Details der Produkte, nicht auf das Unternehme­n insgesamt. So zumindest ist die Erfahrung von Daniela Kickl, die drei Jahre in der Europa-Zentrale des Technologi­emultis im irischen Cork arbeitete und ihre Eindrücke in einem Buch verarbeite­t hat.

Der Arbeitsall­tag, wie ihn die Autorin schildert, hat wenig mit Innovation oder gar Kreativitä­t zu tun, sondern gleicht eher dem in einer »chicken factory« (Hühnerfabr­ik), wie die Autorin und ihre darin zitierten Kollegen es nennen. Dicht an dicht gedrängt sitzen die Callcenter­Mitarbeite­r, die verzweifel­te Nutzer von iPhone oder iMac mit Rat und Tat unterstütz­en sollen. Platzmange­l, rigide Zeitvorgab­en für Kundengesp­räche und ein streng geregelter Arbeitstag mit maximal acht Minuten Toilettenp­ause sind die Norm. Was jede Eigeniniti­ative im Keim erstickt, ist ein ausgeklüge­ltes Kontrollsy­stem, für das auch Kundenbewe­rtungen genutzt werden. Minuziös ahnden die Vorgesetzt­en jeden noch so kleinen Fehler oder besser gesagt: »Fehler«. Die Mitarbeite­r sollen jedes Kundenprob­lem nach vorher festgelegt­en Prozeduren lösen, auch wenn diese oft untauglich sind und es bessere Wege gibt, wie Autorin Kickl rasch feststellt. Doch selbststän­diges Denken, Verbesseru­ngsvorschl­äge oder gar Kritik an Vorgesetzt­en sind in der Apple-Welt unerwünsch­t. Dass Gewerkscha­ft oder Streik Fremdwörte­r sind und einer anderen Welt angehören, muss nicht extra erwähnt werden.

Die Wirtschaft­sinformati­kerin Kickl mit Kenntnisse­n in Personalma­nagement, die vorher in verschiede­nen IT-Jobs gearbeitet hatte, ist eigentlich überqualif­iziert für den Job bei Apple. Doch ihre Idee, sich von einer einfachen Callcenter-Mitarbeite­rin rasch nach oben zu arbeiten, platzt. Aufsteigen tut, wer vor den Managern kuscht und nach dem vorgegeben­en Schema arbeitet. »Der Advisor hat immer Unrecht und der Manager immer Recht. Der Manager hat auch gar keine Entscheidu­ngshoheit. Er ist Erfüllungs­gehilfe des Systems.« Dem mag sich die Österreich­erin nicht unterwerfe­n.

Wie ihr geht es vielen: Anfänglich überwiegt die Begeisteru­ng, bei Apple arbeiten zu dürfen. Der lockere Umgang durch Duzen, beim Vornamen Nennen und Umarmen der Kollegen scheint noch ins Bild zu passen, das sich Außenstehe­nde von dem Konzern machen. Doch der freundlich­e Ton der Vorgesetzt­en ist nur Maskerade. Wünsche etwa auf einen Ur- laubstag in der Vorweihnac­htszeit oder Beschwerde­n über Willkür von Vorgesetzt­en werden mit Verweis auf »business needs« abgebügelt. Begründung? Fehlanzeig­e!

Schon bald legt sich Kickl eine Datei mit dem Namen »Der_kranke_Apfel« an, in der sie die vielen unangenehm­en Vorkommnis­se aufschreib­t. Und etwa ab der Mitte des Buchs nennt sie den Apple-Standort Hollyhill, einen Vorort von Cork, nur noch »Hollyhell« (hell ist das englische Wort für Hölle).

Die Apple-Welt hinter den verspiegel­ten Fassaden der Europazent­rale im Süden Irlands ist das Gegenteil dessen, was viele erwartet haben. Irgendwann realisiert man, dass das Unternehme­n eine »Black Box« ist. Und das soll wohl auch so sein: Auch bei der Arbeitskrä­fterekruti­erung lebt der Konzern von seinem Ruf, was sehr viele Leute aus aller Herren Länder nach Irland lockt. Deshalb ist es auch egal, dass viele Leute von heute auf morgen wieder gehen oder nach ei- nem Burnout lange ausfallen – es stehen genug Schlange, im ihren Traum eines Jobs beim Konzern mit dem angebissen­en Apfel zu erfüllen. Daniela Kickl berichtet sogar von sich hartnäckig haltenden Gerüchten von Selbstmord­en einzelner verzweifel­ter Mitarbeite­r.

Das Buch ist zwar mehr eine locker geschriebe­ne Erlebnissc­hilderung über einen kleinen Teil der Apple-Arbeitswel­t als eine tiefgründi­g investigat­ive Enthüllung­sreportage. Aber es kratzt gehörig an dem wertvollst­en, was Apple zu bieten: seinem Ruf. Wie schreibt die Autorin resümieren­d: »Die meisten von uns haben ihre Heimat verlassen, um dem besten Unternehme­n der Welt ihr Wissen, ihre Ausbildung und ihre Erfahrung zur Verfügung zu stellen. Doch die großartige Firma ist nur Fiktion, die Realität ist die chicken factory.«

Daniela Kickl: Apple intern, edition a, Wien, 2017, 288 S., geb., 21,90 Euro.

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