Leipziger Lernfabriken meutern
Am Mittwoch gehen Studierende, SchülerInnen und DozentInnen für eine andere Bildungspolitik auf die Straße
Studiengebühren, mangelnde Finanzierung, permanenter Leistungsdruck. Die Studis protestieren wieder, doch diesmal meutern – wie das Beispiel Leipzig zeigt – auch die verarmenden UnidozentInnen mit. Eben jährte sich die Unterzeichnung der Erklärung von Bologna. Mit ihr begann vor 18 Jahren in den 29 beteiligten europäischen Ländern ein breit angelegter Prozess zur Zweckrationalisierung des Bildungssystems. Heute, fast zwei Jahrzehnte und hundertausendfach absolvierte Bachelor- und Masterstudiengänge später gibt es immer noch Proteste gegen die Folgen der damals beschlossenen Maßnahmen.
Unter dem Motto »Lernfabriken ... meutern!« finden am Mittwoch, den 21. Juni, wieder einmal Demonstrationen in verschiedenen deutschen Städten statt. Das Besondere diesmal: Nicht nur die Studentenschaft geht auf die Straße, sondern mit ihr machen SchülerInnen, Auszubildende und an den Universitäten Beschäftigte gemeinsame Sache. Lautstarke Bildungskritik kommt derzeit aus Leipzig. Das »nd« sprach mit vier aktiv an den Protesten Beteiligten, sie stehen für die Spannbreite der aktuellen »Leipziger Meuterei«. Zusammen kritisieren sie die mangelnde Finanzierung des Bildungssektors, prekäre Arbeitsverhältnisse an den Universitäten und einen permanenten Leistungsdruck, durch den sie StudentInnen, SchülerInnen und das Hochschulpersonal gleichermaßen belastet sehen.
Seit Wochen hetzt Carl Bauer von einem Treffen zum nächsten. Er ist Mitglied im SDS, dem Sozialistischen Deutschen Studierendenverband, der an die Partei die LINKE angegliedert ist, und organisiert zusammen mit anderen die Demonstration am kommenden Mittwoch in Leipzig. »Wir wollen vor allem auf die Situation hier bei uns in Sachsen aufmerksam machen«, begründet er die Teilnahme an den Mobilisierungen im Zuge der bundesweiten Kampagne.
2013 wurde im Hochschulgesetz die Möglichkeit verankert, Studiengebühren für ausländische Studierende, Studierende im Zweitstudium und sogenannte Langzeitstudenten zu erheben. »Damit wird versucht, uns schneller fit für den Arbeitsmarkt zu machen. Wir wollen aber selbstbestimmt lernen«. Dabei käme es aber nicht nur auf die Hochschulgesetzgebung an. »Letztlich sind es gesellschaftliche Fragen um die Organisation von Bildung, die uns antreiben«, erläutert Bauer. Deshalb sei es seiner Gruppe wichtig, einen Zusammenhang zu anderen Bildungsinstitutio- nen herzustellen und auch dort den Finger in die Wunden zu legen. So sei zum Beispiel der Lehrermangel in Sachsen ein verbindendes Thema der Protestallianz.
Davon können Lucie Rudolph und Clara Ebler ein Lied singen. Sie sind aktiv in der Gruppe Kritische Lehrer_innen Leipzig. In Vorbereitung auf die Proteste waren sie an verschiedenen Leipziger Schulen, um dort über Probleme im Bildungssystem zu diskutieren. Dabei hatten sie SchülerInnen animiert, ihre Veränderungswünsche aufschreiben.
Die Antwort eines Zehntklässlers habe sie besonders bewegt, erzählt Lucie Rudolph. Er habe geschrieben, seine Schule würde ihm besser gefallen, wenn mehr auf Stress und psychische Gesundheit achtgegeben würde. Außerdem hatte sich der Schüler mehr Selbstbestimmung gewünscht. »Wir sollen uns entscheiden, welchen Beruf wir einmal ausüben wollen, eine der größten Entscheidungen im Leben überhaupt. Und gleichzeitig müssen wir immer noch nachfragen, wenn wir auf Toilette wollen«, so der Schüler.
Über fehlende Mitbestimmung, Leistungsdruck und Lehrermangel klagen viele Schüler und Schülerinnen, so die Erfahrung von Rudolph und Ebler. »Wir sprechen auch von Lernfabriken, weil es nur noch um die schnellstmögliche Abfertigung der Schüler geht«, erläutert Rudolph. Für Lehrende und SchülerInnen ist die Demonstration am Mittwoch gleichzeitig ein Bildungsstreik, da sie parallel zum Schulbetrieb stattfindet. Vorbild für Clara Ebler ist der Schulstreik von 2009, bei dem mehr als 200 000 Schülerinnen und Schüler an Aktionen in ganz Deutschland teilnahmen.
Zu jener Zeit, 2009, war Katharina schon keine Schülerin mehr. Sie ist Lehrbeauftragte an der Universität Leipzig. Ihren vollständigen Namen möchte sie nicht in der Zeitung lesen. Zu groß ist die Angst vor beruflichen Nachteilen. Nichtsdestotrotz wird auch sie kommenden Mittwoch auf die Straße gehen.
Während des Gespräches pinselt Katharina Parolen auf ein weißes Transparent. Ihr Berufsalltag sei geprägt von Beschäftigungsunsicherheit, geringer Bezahlung und wenig Wertschätzung. »Seit Jahren hangele ich mich von einem befristeten Vertrag zum anderen«, berichtet sie. In ihrem kollegialen Umfeld habe sich seit Langem der Begriff »Betteldozent« etabliert. Sie gibt drei Seminare pro Woche. Mit der Vorbereitung der Seminare, den Korrekturen der Klausuren und den Sprechstunden kommt sie nach eigener Schätzung auf mehr als 35 Stunden Arbeit in der Woche. Ihr monatliches Honorar hierfür liegt bei knapp über 600 Euro. Die verschiedenen Probleme im Bildungssektor sind für Katharina miteinander verwoben: »Die Bologna-Reform hat das Bildungssystem verschult, so haben meine Studenten weniger Freiheiten und mehr Prüfungen. Dies verdichtet nun auch meine Arbeit enorm.«
Albert Einstein soll einmal gesagt haben: »Wissenschaft ist eine wunderbare Sache, wenn man nicht davon leben muss.« Dem schließt sich Katharina vollem Herzens an.