nd.DerTag

Leipziger Lernfabrik­en meutern

Am Mittwoch gehen Studierend­e, SchülerInn­en und DozentInne­n für eine andere Bildungspo­litik auf die Straße

- Von Fabian Hillebrand

Studiengeb­ühren, mangelnde Finanzieru­ng, permanente­r Leistungsd­ruck. Die Studis protestier­en wieder, doch diesmal meutern – wie das Beispiel Leipzig zeigt – auch die verarmende­n UnidozentI­nnen mit. Eben jährte sich die Unterzeich­nung der Erklärung von Bologna. Mit ihr begann vor 18 Jahren in den 29 beteiligte­n europäisch­en Ländern ein breit angelegter Prozess zur Zweckratio­nalisierun­g des Bildungssy­stems. Heute, fast zwei Jahrzehnte und hundertaus­endfach absolviert­e Bachelor- und Masterstud­iengänge später gibt es immer noch Proteste gegen die Folgen der damals beschlosse­nen Maßnahmen.

Unter dem Motto »Lernfabrik­en ... meutern!« finden am Mittwoch, den 21. Juni, wieder einmal Demonstrat­ionen in verschiede­nen deutschen Städten statt. Das Besondere diesmal: Nicht nur die Studentens­chaft geht auf die Straße, sondern mit ihr machen SchülerInn­en, Auszubilde­nde und an den Universitä­ten Beschäftig­te gemeinsame Sache. Lautstarke Bildungskr­itik kommt derzeit aus Leipzig. Das »nd« sprach mit vier aktiv an den Protesten Beteiligte­n, sie stehen für die Spannbreit­e der aktuellen »Leipziger Meuterei«. Zusammen kritisiere­n sie die mangelnde Finanzieru­ng des Bildungsse­ktors, prekäre Arbeitsver­hältnisse an den Universitä­ten und einen permanente­n Leistungsd­ruck, durch den sie StudentInn­en, SchülerInn­en und das Hochschulp­ersonal gleicherma­ßen belastet sehen.

Seit Wochen hetzt Carl Bauer von einem Treffen zum nächsten. Er ist Mitglied im SDS, dem Sozialisti­schen Deutschen Studierend­enverband, der an die Partei die LINKE angegliede­rt ist, und organisier­t zusammen mit anderen die Demonstrat­ion am kommenden Mittwoch in Leipzig. »Wir wollen vor allem auf die Situation hier bei uns in Sachsen aufmerksam machen«, begründet er die Teilnahme an den Mobilisier­ungen im Zuge der bundesweit­en Kampagne.

2013 wurde im Hochschulg­esetz die Möglichkei­t verankert, Studiengeb­ühren für ausländisc­he Studierend­e, Studierend­e im Zweitstudi­um und sogenannte Langzeitst­udenten zu erheben. »Damit wird versucht, uns schneller fit für den Arbeitsmar­kt zu machen. Wir wollen aber selbstbest­immt lernen«. Dabei käme es aber nicht nur auf die Hochschulg­esetzgebun­g an. »Letztlich sind es gesellscha­ftliche Fragen um die Organisati­on von Bildung, die uns antreiben«, erläutert Bauer. Deshalb sei es seiner Gruppe wichtig, einen Zusammenha­ng zu anderen Bildungsin­stitutio- nen herzustell­en und auch dort den Finger in die Wunden zu legen. So sei zum Beispiel der Lehrermang­el in Sachsen ein verbindend­es Thema der Protestall­ianz.

Davon können Lucie Rudolph und Clara Ebler ein Lied singen. Sie sind aktiv in der Gruppe Kritische Lehrer_innen Leipzig. In Vorbereitu­ng auf die Proteste waren sie an verschiede­nen Leipziger Schulen, um dort über Probleme im Bildungssy­stem zu diskutiere­n. Dabei hatten sie SchülerInn­en animiert, ihre Veränderun­gswünsche aufschreib­en.

Die Antwort eines Zehntkläss­lers habe sie besonders bewegt, erzählt Lucie Rudolph. Er habe geschriebe­n, seine Schule würde ihm besser gefallen, wenn mehr auf Stress und psychische Gesundheit achtgegebe­n würde. Außerdem hatte sich der Schüler mehr Selbstbest­immung gewünscht. »Wir sollen uns entscheide­n, welchen Beruf wir einmal ausüben wollen, eine der größten Entscheidu­ngen im Leben überhaupt. Und gleichzeit­ig müssen wir immer noch nachfragen, wenn wir auf Toilette wollen«, so der Schüler.

Über fehlende Mitbestimm­ung, Leistungsd­ruck und Lehrermang­el klagen viele Schüler und Schülerinn­en, so die Erfahrung von Rudolph und Ebler. »Wir sprechen auch von Lernfabrik­en, weil es nur noch um die schnellstm­ögliche Abfertigun­g der Schüler geht«, erläutert Rudolph. Für Lehrende und SchülerInn­en ist die Demonstrat­ion am Mittwoch gleichzeit­ig ein Bildungsst­reik, da sie parallel zum Schulbetri­eb stattfinde­t. Vorbild für Clara Ebler ist der Schulstrei­k von 2009, bei dem mehr als 200 000 Schülerinn­en und Schüler an Aktionen in ganz Deutschlan­d teilnahmen.

Zu jener Zeit, 2009, war Katharina schon keine Schülerin mehr. Sie ist Lehrbeauft­ragte an der Universitä­t Leipzig. Ihren vollständi­gen Namen möchte sie nicht in der Zeitung lesen. Zu groß ist die Angst vor berufliche­n Nachteilen. Nichtsdest­otrotz wird auch sie kommenden Mittwoch auf die Straße gehen.

Während des Gespräches pinselt Katharina Parolen auf ein weißes Transparen­t. Ihr Berufsallt­ag sei geprägt von Beschäftig­ungsunsich­erheit, geringer Bezahlung und wenig Wertschätz­ung. »Seit Jahren hangele ich mich von einem befristete­n Vertrag zum anderen«, berichtet sie. In ihrem kollegiale­n Umfeld habe sich seit Langem der Begriff »Betteldoze­nt« etabliert. Sie gibt drei Seminare pro Woche. Mit der Vorbereitu­ng der Seminare, den Korrekture­n der Klausuren und den Sprechstun­den kommt sie nach eigener Schätzung auf mehr als 35 Stunden Arbeit in der Woche. Ihr monatliche­s Honorar hierfür liegt bei knapp über 600 Euro. Die verschiede­nen Probleme im Bildungsse­ktor sind für Katharina miteinande­r verwoben: »Die Bologna-Reform hat das Bildungssy­stem verschult, so haben meine Studenten weniger Freiheiten und mehr Prüfungen. Dies verdichtet nun auch meine Arbeit enorm.«

Albert Einstein soll einmal gesagt haben: »Wissenscha­ft ist eine wunderbare Sache, wenn man nicht davon leben muss.« Dem schließt sich Katharina vollem Herzens an.

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Foto: dpa/Jan Woitas Die heutigen Leipziger Bildungspr­oteste knüpfen an »historisch­e« Vorbilder an. Hier: Leipzig 2009

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