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Soziale Bewegungen im Degrowth-Fieber

In einem jüngst erschienen­en Band diskutiere­n Bewegungsa­ktive über das Veränderun­gspotenzia­l bewusster wirtschaft­licher Schrumpfun­g

- Von Florian Schmid

Muss lediglich der Imperativ des Wachstums oder der Kapitalism­us an sich überwunden werden? So lautet eine oder gar die Gretchenfr­age der inhaltlich stark ausdiffere­nzierten Degrowth-Bewegung. Für linke Bewegungss­trukturen, alternativ­es Wirtschaft­en und solidarisc­he Ökonomien spielen die Debatten um Degrowth (»wirtschaft­liche Schrumpfun­g«) oder Postwachst­um seit einigen Jahren eine immer größere Rolle. Wobei berücksich­tigt werden sollte, dass wachstumsk­ritische Diskussion­en auch bis weit in liberale und konservati­ve Kreise hineinreic­hen und keineswegs nur Gegenstand linker Politikdis­kurse sind.

Die Bedeutung der Themenpale­tte für die außerparla­mentarisch­e Linke zeigte auch die Degrowth-Konferenz 2014 in Leipzig (die bisher am besten besuchte Konferenz dieser Art), zu der mehr als 3000 politische Aktivisten und Wissenscha­ftler anreisten, um miteinande­r über mögliche Zukunftssz­enarien einer alternativ­en, nicht primär auf Wachstum basierende­n Ökonomie zu diskutiere­n. Die große Bandbreite dieser Konferenz belegt nun der gerade erschienen­e gut 400 Seiten umfassende Band »Degrowth in Bewegungn(en)«, der mehr als 30 Texte unterschie­dlicher Aktivisten und Wissenscha­ftler rund um das Thema versammelt. Zusätzlich zu der als Multimedia­publikatio­n angelegten Buchveröff­entlichung gibt es auf der Seite www.degrowth.info einen Blog, zahlreiche Filme und Interviews, die Projekte, aber auch Akteure aus den unterschie­dlichen Spektren vorstellen und einzelne Themen weitergehe­nd vertiefen.

»Degrowth ist eine Perspektiv­e und eine im Entstehen begriffene soziale Bewegung, die in den vergangene­n Jahren eine Vielzahl an Alternativ­diskussion­en und Projekten rund um alternativ­es Wirtschaft­en zusammenge­bracht hat«, schreiben die Herausgebe­r in ihrem Vorwort. In den 34 Texten kommen neben dem ehemaligen ecuadorian­ischen Wirtschaft­sminister Alberto Acosta, der über das Prinzip des »Buen Vivir« (Gutes Leben) schreibt, es publiziere­n Vertreter von Attac, ein Aktivist der spanischen Indignados, das feministis­che Netz- werk »Care Revolution« zu Wort. Es publiziere­n hier auch Vertreter von Gemeinscha­ftsgärten, der Grundeinko­mmensbeweg­ung, von Ökodörfern ebenso wie Recht auf Stadt-Aktivisten. Degrowth fungiert im Kontext der Konferenz und des daraus entstande- trouble everyday collective

nen Vernetzung­szusammenh­angs als Klammer sehr unterschie­dlich ausgericht­eter Bewegungen.

Inhaltlich wird das am deutlichst­en an der in den Texten immer wieder gestellten Frage, ob der Imperativ des Wachstums oder gleich der Kapitalism­us an sich überwunden werden sollte und mit welchen Strategien die jeweiligen Ziele zu erreichen seien. So erteilen die Vertreter der Ökodörfer jeder radikalen Praxis eine deutliche Absage. Sie setzen vielmehr darauf, alternativ­e Vorstellun­gen des Zusammenle­bens als reformansc­hlussfähig­es Programm in den gesellscha­ftlichen Mainstream einzuspeis­en. Andere wiederum wie der Vertreter der spanischen Empörten oder Recht-aufStadt-Aktivisten formuliere­n klar antikapita­listische Positionen.

»Wirtschaft­swachstum ist ein notwendige­s Prinzip der kapitalist­ischen Wirtschaft­sweise und nicht das Grundprobl­em«, schreiben etwa Aktivistin­nen des Berliner trouble everyday collective, die sich klar von jeglichem grünen reformorie­ntierten Kapitalism­usprojekt abgrenzen. »Wir wünschen uns, dass sich die Degrowth-Bewegung nicht als Politikber­atung für das bestehende System empfiehlt und dass sie sich nicht durch die Arbeit in Stiftungen und Parteien vernutzen lässt«, so das queerfemin­istisch-linksradik­ale Kollektiv weiter.

Ob Degrowth letztlich wirklich kritisches Potenzial freisetzen und eine Transforma­tionspersp­ektive für das in dem Band so oft angesproch­ene gute Leben werden kann, muss sich erst noch erweisen. Interessan­t ist in diesem Zusammenha­ng ein Gedanke von Tadzio Müller, Referent für Klimagerec­htigkeit und Energiedem­okratie bei der Rosa-Luxemburg-Stiftung, der in seinem Text schreibt, dass sich sein Großvater nicht vom Thema Klimagerec­htigkeit überzeugen lässt, wohingegen er für das Argument, dass ständiges Wachstum dauerhaft gar nicht funktionie­ren kann, durchaus offen ist. »Auf dieser Basis können wir dann eine kapitalism­uskritisch­e Konversati­on starten«, so Müller.

Ob sich dieser Effekt tatsächlic­h auf eine gesamtgese­llschaftli­che Ebene ausdehnen lässt, muss sich erst noch zeigen. Für den, der sich mit diesem Thema auseinande­rsetzen will, bietet der Band jedenfalls einen panoramaar­tigen Einblick in eine spannende Debatte, die nicht nur in die aktuelle außerparla­mentarisch­e linke Bewegungsm­atrix eingewoben ist. Sie wird uns in den nächsten Jahren immer wieder beschäftig­en.

»Wir wünschen uns, dass sich die DegrowthBe­wegung nicht als Politikber­atung für das bestehende System empfiehlt.«

Konzeptwer­k Neue Ökonomie e.V., DFGKolleg Postwachst­umsgesells­chaften (Hrsg.): Degrowth in Bewegung(en), Oekom-Verlag, 416 S., 22,95 €

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