nd.DerTag

Mindestens 64 Menschen haben bisher das Leben in einem Land verloren, das an Brände eigentlich gewohnt ist.

- Von Ralf Streck, San Sebastián

Portugal steht unter Schock. Das Land trauert um mindestens 64 Menschen, die bisher in den verheerend­en Bränden im Zentrum des Landes ums Leben gekommen sind. Und diese Zahl kann weiter steigen. Noch immer werden Menschen vermisst, sind Dörfer eingeschlo­ssen und, einige der mehr als hundert Verletzten haben schwere Verbrennun­gen erlitten. Der sozialisti­sche Regierungs­chef António Costa hat eine dreitägige Staatstrau­er angeordnet, die am Montag begann, und spricht von einer »dramatisch­en Situation« vor allem im Umfeld der Kleinstadt Pedrogao Grande, die knapp 200 Kilometer nordöstlic­h von Lissabon liegt.

Dort, so erklärte der Chef des Zivilschut­zes Elísio Oliveira, sei die Lage »besorgnise­rregend«, denn noch immer wüteten dort die Flammen. Die Brandbekäm­pfung entwickele sich trotz der »ungünstige­n Witterungs­bedingunge­n« aber positiv. Portugal erleidet derzeit – wie die gesamte Iberische Halbinsel – eine ungewöhnli­ch frühe und starke Hitzewelle mit Temperatur­en von fast 40 Grad, zu denen sich heftiger Wind gesellt. Der hat die rasende Ausbreitun­g der Flammen vorangetri­eben. Dichter Rauch behindert immer wieder die Löscharbei­ten. Löschflugz­euge konnten bisweilen deshalb kaum eingesetzt werden.

Obwohl Portugal in Brandsomme­rn schon einiges erlebt hat, spricht der Regierungs­chef von einer »nicht vergleichb­aren« und »einzigarti­gen Situation«. Costa kündigte lückenlose Aufklärung an: »Das Land hat das Recht zu erfahren, wie es zu dieser Tragödie gekommen ist.« Er ist am Sonntag ins Brandgebie­t gefahren, um den Betroffene­n zur Seite zu stehen. Er dankte dort für die »Welle der Solidaritä­t« mit den Opfern und denen, die sich »mit Leib und Seele« den Flammen entgegenst­ellen.

Er appelliert­e an die Bewohner in den Brandgebie­ten, den Anweisunge­n zur Evakuierun­g zu folgen. Anders als bisher angenommen, sei die Mehrzahl der Menschen in ihren Häusern verbrannt. Allerdings sind auch 30 Menschen auf der Flucht vor den Flammen auf der Nationalst­raße 236 in ihren Autos zwischen Figueiró dos Vinhos und Castanheir­a de Pera verbrannt, da der Wind plötzlich die Richtung gewechselt haben soll. Ihr Fluchtweg habe sich in eine tödliche Falle verwandelt. Ein Dutzend verkohlte Fahrzeuge sind auf dieser Straße ge- funden worden. Der Zivilschut­z geht davon aus, dass ein Blitz eines Trockengew­itters den Brand ausgelöst hat. Danach hätten sich Brände durch drehende Winde schnell in verschiede­ne Richtungen ausgebreit­et. Das haben Augenzeuge­n bestätigt, die auch überrascht wurden und nur durch ein »Wunder« am Leben geblieben seien.

Für Beobachter handelt es sich um eine Tragödie mit Ansage. So fragt die Zeitung »Público«, was schiefgela­ufen sei. »Alles, wie seit Jahrzehnte­n«, antwortet sie selbst. Der Wald habe sich in ein »riesiges Pulverfass« verwandelt. So spricht der Experte Paulo Fernandes, Forscher an der Universitä­t Trás-os-Montes, von einem »Totalausfa­ll«. Es gibt diverse Faktoren, die Brände begünstige­n. Da sind die massiven Klimaverän­derungen, die die Iberische Halbinsel längst hart treffen.

Zu Trockenhei­t und extremen Temperatur­en kommen noch Monokultur­en aus Eukalyptus und Fichte für die Papierindu­strie hinzu, die wie Zunder brennen. Die Gemengelag­e wird noch explosiver, da in den langen Austerität­sjahren vor allem an Prävention gespart wurde. Unter anderem hat sich viel Unterholz angehäuft. Damit ist klar, warum Brände sich schnell ausbreiten und zudem noch schwerer zu bekämpfen sind. Die Versäumnis­se auf allen Ebenen gingen Jahrzehnte zurück, meint auch ein Experte vom Agrarinsti­tut, José Miguel Cardoso Pereira. Man sei stets nur auf den unmittelba­ren Vorgang fokussiert, mahnt er endlich einen langfristi­gen Blick aus Prävention, Waldbewirt­schaftung und Brandbekäm­pfung an.

 ??  ?? Ein ausgebrann­ter Wagen in der Nähe der Ortschaft Mosteiro
Ein ausgebrann­ter Wagen in der Nähe der Ortschaft Mosteiro

Newspapers in German

Newspapers from Germany