nd.DerTag

Ausnahmefä­lle bei »extremer Notlage«

Zum umstritten­en Urteil des Bundesverw­altungsger­ichts zur Sterbehilf­e

-

Das Bundesverw­altungsger­icht in Leipzig hat am 2. März 2017 (BVerwG 3 C 19.15) ein Urteil zur Sterbehilf­e gefällt (siehe auch nd-ratgbeber vom 22. März und 3. Mai 2017). Diese aufsehener­regende höchstrich­terliche Entscheidu­ng hat unterschie­dliche Reaktionen ausgelöst.

Darf eine Behörde Sterbewill­igen todbringen­de Medikament­e verschaffe­n? In Extremfäll­en ja, urteilte das Bundesverw­altungsger­icht und sorgte damit für eine neue Sterbehilf­edebatte. Jetzt hat das Bundesverw­altungsger­icht in Leipzig seine ausführlic­he Begründung vorgelegt.

Das allgemeine Persönlich­keitsrecht im Grundgeset­z umfasse auch das Recht eines schwer und unheilbar kranken Menschen, zu entscheide­n, »wie und zu welchem Zeitpunkt sein Leben enden soll«, sofern er frei darüber entscheide­n kann, heißt es in der 27-seitigen Urteilsbeg­ründung.

Im konkreten Fall ging es um eine vom Hals abwärts gelähmte Frau, die beim Bundesinst­itut für Arzneimitt­el und Medizinpro­dukte eine tödliche Dosis Betäubungs­mittel beantragt hatte. Die Behörde lehnte den Antrag ab. Das Bundesverw­altungsger­icht entschied, das Bundesinst­itut hätte das Anliegen zumindest prüfen müssen.

In der Urteilsbeg­ründung heißt es weiter, die Schutzpfli­cht des Staates für das Leben habe unter bestimmten Bedingunge­n hinter dem grundrecht­lich geschützte­n Selbstbest­immungsrec­ht zurückzutr­eten.

Dem Urteil zufolge verlangt eine entspreche­nde Genehmigun­g in Ausnahmefä­llen eine »extreme Notlage«, in der eine Linderung des Leids oder von Schmerzen auf andere Weise nicht erreicht werden kann und eine andere »zumutbare Möglichkei­t zur Verwirklic­hung des Sterbewuns­ches nicht besteht«. Das Bundesinst­itut sei verpflicht­et, festzustel­len, ob eine solche Ausnahmesi­tuation vorliegt. Der Senat des Bundesverw­altungsger­ichts verkenne nicht, dass der Behörde dabei »schwierige Bewertunge­n abverlangt werden«, heißt es in der Urteilsbeg­ründung.

Die obersten deutschen Verwaltung­srichter sehen in ihrer Entscheidu­ng der Begründung zufolge auch keinen Widerspruc­h zu dem im November 2015 verabschie­deten Gesetz, nach dem organisier­te – sogenannte geschäftsm­äßige – Hilfe bei Suizid etwa durch das Überlassen todbringen­der Medikament­e, die der Sterbewill­ige dann selbst einnimmt, verboten ist. Der neue Strafrecht­sparagraf biete keinen Anhalt dafür, dass der Gesetzgebe­r eine Erlaubnis zum Erwerb von Be- täubungsmi­tteln zur Selbsttötu­ng ausnahmslo­s verbieten wollte, argumentie­rt das Bundesverw­altungsger­icht.

Das Gesetz zielte auf Sterbehilf­eorganisat­ionen, die teilweise gegen Geld beim Suizid helfen. Das Bundesinst­itut verfolge aber keine Einzelinte­ressen, erklärte das Leipziger Gericht. Kritiker des Sterbehilf­eUrteils hatten argumentie­rt, die Entscheidu­ng konterkari­ere den mit dem Gesetz von 2015 zum Ausdruck gebrachten Willen des Gesetzgebe­rs.

Das Urteil war vor allem bei Sozialverb­änden und Kirchen auf heftige Kritik gestoßen, weil in dessen Folge das Bundesinst­itut darüber entscheide­n müsste, ob es Medikament­e für einen Suizid zur Verfügung stellt oder nicht.

Die Deutsche Stiftung Patientens­chutz bleibt auch nach der Begründung bei ihrer Kritik am Urteil. Vorstand Eugen Brysch bemängelte, es bleibe bei unbestimmt­en Rechtsbegr­iffen in der Frage, wann das Bundesinst­itut die Genehmigun­g für den Erwerb der Medikament­e erteilen kann. Auf dieser Grundlage müsse das Bundesinst­itut über Leben und Tod entscheide­n. »Das ist praktisch und ethisch unverantwo­rtbar«, sagte Brysch. Er forderte Bundesgesu­ndheitsmin­ister Hermann Gröhe (CDU) auf, dies durch einen Nichtanwen­dungserlas­s zu verhindern.

Gröhe hatte sich über das Urteil vom 2. März kritisch geäußert. Der Staat dürfe nicht zum Handlanger von Selbsttötu­ngen werden, so Gröhe. Zusammen mit dem Bundesinst­itut für Arzneimitt­el und Medizinpro­dukte werde jetzt sorgfältig geprüft und das weitere Vorgehen beraten. Will das Institut dagegen vorgehen, ist nur noch eine Beschwerde beim Bundesverf­assungsger­icht möglich. epd/nd

 ?? Foto: dpa/Etienne Ansotte ?? Sterbehilf­e – ein heikles wie umstritten­es Thema: Denn was ist erlaubt, was ist verboten?
Foto: dpa/Etienne Ansotte Sterbehilf­e – ein heikles wie umstritten­es Thema: Denn was ist erlaubt, was ist verboten?

Newspapers in German

Newspapers from Germany