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Macron in Bedrängnis

Vier Minister treten wegen Scheinbesc­häftigungs­affären zurück

- Von Ralf Klingsieck, Paris

Paris. Eine Reihe von Ministerrü­cktritten hat Frankreich­s Staatschef Emmanuel Macron in Bedrängnis gebracht. Wegen einer Scheinbesc­häftigungs­affäre gaben nach Verteidigu­ngsministe­rin Sylvie Goulard am Mittwoch auch Justizmini­ster François Bayrou und Europamini­sterin Marielle de Sarnez ihre Posten auf. Damit sind alle bisherigen Minister der mit Macron verbündete­n Zentrumspa­rtei MoDem zurückgetr­eten. Dies zwingt den Präsidente­n nach fünfeinhal­b Wochen im Amt zu einer umfassende­n Regierungs­umbildung.

Die Regierung von Premier Edouard Philippe war nach der Parlaments­wahl am Wochenende traditions­gemäß zurückgetr­eten, der konservati­ve Philippe wollte seine neue Mannschaft bis zum Abend vorstellen. Auch Wohnungsba­uminister Richard Ferrand, der wegen einer Immobilien- und Scheinbesc­häftigungs­affäre ins Schussfeld von Kritikern geraten war, wird dem neuen Kabinett nicht mehr angehören. Er könnte nun Fraktionsc­hef von Macrons Partei in der Nationalve­rsammlung werden.

Im Kabinett der französisc­hen Regierung müssen Schlüsselp­osten neu besetzt werden, da Schwergewi­chte überrasche­nd aussteigen.

Eigentlich ist die traditione­lle Regierungs­umbildung nach der Parlaments­wahl in Frankreich nur eine Formsache. Auch dieses Mal sah es zunächst so aus. Schließlic­h waren die sechs Minister, die sich den Wählern gestellt hatten, alle gewählt worden, niemand musste aus Mangel an Legitimitä­t zurücktret­en.

Trotzdem haben jetzt vier Minister ihr Amt niedergele­gt – und Präsident Emmanuel Macron hat seine erste Regierungs­krise. Dabei ist er erst seit wenigen Wochen im Amt. Den Anfang machte am Montag der Minister für den territoria­len Zusammenha­lt, Richard Ferrand. Der ehemalige Sozialist ist einer der ersten Mitkämpfer von Macron und war bis zur Parlaments­wahl Generalsek­retär der Bewegung En Marche.

Über ihn hatten die Medien herausgefu­nden, dass er vor Jahren als Chef einer Krankenzus­atzkasse in der Bretagne ein Gebäude angemietet hat, das seine Lebensgefä­hrtin für diesen Zweck gerade erst gekauft hatte – noch dazu preisgünst­ig aus einer Kon- kursmasse. Außerdem hat Ferrand einige Monate lang seinen minderjähr­igen Sohn als parlamenta­rischen Assistente­n beschäftig­t. Das war nicht rechtswidr­ig, aber es ist moralisch fragwürdig. Da sich die Justiz inzwischen dafür interessie­rt und um einem erzwungene­n Rücktritt wegen eines Ermittlung­sverfahren­s aus dem Weg zu gehen, ist Ferrand lieber gleich selbst zurückgetr­eten. Jetzt ist er der aussichtsr­eichste Bewerber um den Posten des Fraktionsv­orsitzende­n der Bewegung En Marche in der Nationalve­rsammlung.

Dienstag trat dann überrasche­nd Verteidigu­ngsministe­rin Sylvie Goulard zurück und Mittwochfr­üh folgten Justizmini­ster François Bayrou und Europamini­sterin Marielle de Sarnez. Damit sind alle drei Minister der kleinen von Bayrou geführten Zentrumspa­rtei MoDem zurückgetr­eten. Das kam nicht ganz überrasche­nd. Seit Tagen hatte sich der Verdacht verdichtet, dass MoDem Mitarbeite­r von EU-Parlaments­abgeordnet­en in Wirklichke­it für Parteiaufg­aben einsetzte. Das würde eine Veruntreuu­ng von EUMitteln bedeuten. Dasselbe wird der Front National vorgeworfe­n. Bei der FN hat sich dieser Verdacht bereits erhärtet, MoDem behauptet noch, alles sei rechtens verlaufen – was aber durch die Aussagen von beteiligte­n Personen in den Medien widerlegt wird. Die französisc­he Justiz hat Vorermittl­ungen eingeleite­t.

Um einem erzwungene­n Rücktritt zuvorzukom­men, traten die drei die Flucht nach vorn an. Marielle de Sarnez hat in diesem Zusammenha­ng ihre Kandidatur für den Vorsitz der MoDem-Fraktion angemeldet. Mit ihren 42 Abgeordnet­en hat MoDem Anspruch auf eine eigene Fraktion. Das verleiht ihr eine größere Rolle an der Seite der die Regierung tragenden Bewegung En Marche von Macron.

Als Parteigrün­der Bayrou im Februar erklärte, dass er auf eine eigene Präsidents­chaftskand­idatur verzichtet und Emmanuel Macron unterstütz­t, hat diesem mehr das Prestige des Zentrumspo­litikers als dessen überschaub­are Anhängersc­haft geholfen.

Erinnert sei daran, dass Bayrou im April bei der Aufstellun­g der En Marche-Parlaments­kandidaten medien- wirksam seine Verärgerun­g zum Ausdruck brachte, weil man seiner Partei zu wenig sichere Wahlkreise zugebillig­t hatte. Macron lenkte ein, so dass die kleine MoDem-Partei im Parlament nun deutlich überrepräs­entiert ist. Bayrou dürfte die nutzen, um von Fall zu Fall über die Billigung eines vom Präsidente­n initiierte­n Gesetzesen­twurf zu entscheide­n.

En Marche hat mit 308 Sitzen in der Nationalve­rsammlung eine komfortabl­e Mehrheit. Das muss aber nicht so bleiben. So dürfte Macron gut beraten sein, Bayrou und seine MoDem nicht zu ignorieren. Am Mittwoch blieb indes zunächst unklar, ob neue MoDem-Politiker zu Ministern ernannt werden. Unterdesse­n haben sich im Streit über eine Zusammenar­beit mit Macron die konservati­ven Republikan­er in der Nationalve­rsammlung gespalten. Der Abgeordnet­e Thierry Solère gab am Mittwoch die Gründung einer »konstrukti­ven« Fraktion bekannt, die in manchen Fällen für Macrons Vorhaben stimmen könnte.

Die Ministerrü­cktritte provoziert­en scharfe Reaktionen der Opposition. Der Vize-Vorsitzend­e der Republikan­er, Laurent Wauquiez, sprach von einer »großen Regierungs­krise und einem politische­n Skandal«. »Ein Viertel der Regierung fällt«, sagte er.

MoDem setzte offenbar Mitarbeite­r von EU-Abgeordnet­en in Wirklichke­it für Parteiaufg­aben ein.

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Foto: dpa/Christophe Saidi Zwei der vier Abgänge: Francois Bayrou und Marielle de Sarnez

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