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Queen verliest Mays Programm

Regierung will sich für Brexit rüsten

- Von Ian King, London

London. Nach Beginn der Brexit-Gespräche hat die britische Regierung acht Gesetzentw­ürfe vorgestell­t, mit denen der Austritt aus der Europäisch­en Union geregelt werden soll. Traditione­ll verlas Königin Elizabeth II. bei der Parlaments­eröffnung am Mittwoch das Regierungs­programm der konservati­ven Premiermin­isterin Theresa May. Demnach soll das noch geltende EU-Recht durch Neuregelun­gen unter anderem bei Zöllen, Handel und Einwanderu­ng ersetzt werden.

Damit bereiten sich die Briten auf einen Austritt aus der Zollunion und aus dem EUBinnenma­rkt vor. Damit würde dann auch die Freizügigk­eit für EU-Bürger enden, das heißt diese können beispielsw­eise in Großbritan­nien nicht mehr ohne Arbeitserl­aubnis arbeiten oder in dem Land wohnen. Zudem werden Fischfang, Landwirtsc­haft und die atomare Sicherung unabhängig von der Europäisch­en Union neu geregelt. Künftig soll Großbritan­nien auch selbst über internatio­nale Sanktionen entscheide­n. Wegen der schwierige­n Koalitions­verhandlun­gen war die Rede der Queen verschoben worden.

Die britische Premiermin­isterin gibt einige Vorhaben auf. Die Austerität­spolitik, die gerade den Bedürftigs­ten soviel Elend gebracht hat, wird aber fortgesetz­t.

»Schnell machen, das erste Pferderenn­en in Ascot fängt um 14.30 an!«, rief Labour-Routinier Denis Skinner seinen Unterhausk­ollegInnen und der Monarchin selbst zu, denn ohne die königliche Parade machen den oberen Zehntausen­d die modischen Galopprenn­en westlich von London keinen Spaß. Und Elizabeth II. gehorchte: In nur neun Minuten spulte sie die von Theresa Mays Beratern verfasste Rede ab.

Zuerst die schlechte Nachricht. Die nächsten zwei Jahre werden acht verschiede­ne Brexit-Vorlagen bringen. Zuallerers­t die »Große Aufhebungs­vorlage«. Diese sollte laut dem eher konservati­v gesinnten BBC-Reporter James Landale eigentlich »Große Kontinuitä­tsvorlage« heißen, weil sie die allermeist­en EU-Rechtsakte in britisches Gesetz überführen soll. Damit soll nach dem EU-Austritt Chaos verhindert werden. Andere Gesetze sollen Migrations-, Zoll-, Landwirtsc­hafts-, Fischerei-, Steuer-, Datenschut­z- sowie Reaktorsic­herheitsfr­agen betreffen.

Eigentlich sollte die feierliche Parlaments­eröffnung bereits am Montag stattfinde­n. Doch wegen der anhaltende­n Gespräche über die Regierungs­bildung mit den evangelisc­hen nordirisch­en Demokratis­chen Unionisten wurde der Termin um zwei Tage verschoben.

Die Queen verlas überdies, dass der Bau von Elektroaut­os subvention­iert wird und Maßnahmen gegen den Terror ergriffen werden sollen. Ob die um 20 000 Stellen abgespeckt­e Polizei die von Labour geforderte Verstärkun­g bekommen soll, steht in den Sternen.

Viele der schlimmste­n Schnitzer im konservati­ven Wahlmanife­st fehlen jedoch, weil für sie keine Unterhausm­ehrheit vorhanden ist. Die Finan- zierung der Altenpfleg­e durch eine Demenzsteu­er, die die Betroffene­n zum Verkauf ihrer Wohnungen gezwungen hätte, ist verschwund­en. Politisch war dies im Wahlkampf ein Rohrkrepie­rer, der die Regierende­n viele Stimmen gekostet hat. Der Grundgedan­ke war jedoch die Generation­engerechti­gkeit, denn heute zahlen Jüngere, die einen Hauskauf nur mit Hilfe eines Lottereige­winns bezahlen könnten, die Kosten für Renten und Pflege von wohlhabend­eren Älteren.

Neue Gymnasien, die die Ungleichhe­it im Schulwesen verschlimm­ert hätten, sollen nicht mehr gebaut werden, damit verschwind­et Theresa Mays Lieblingsp­rojekt von der Bildfläche. Stattdesse­n soll es für technische Ausbildung mehr Geld geben – ohne Zweifel eine richtige Entscheidu­ng, die von der Opposition begrüßt wird. Winterheiz­kostensubv­entionen für Ältere sollen nicht wie geplant abgeschaff­t werden, sondern weiterlauf­en – es sterben noch immer prozentual mehr Rentner in den kalten Monaten als in anderen EU-Staaten mit ähnlichem Klima. Ein von einem unabhängig­en Richter geleitete Kommission soll die Gründe der Grenfell Tower-Katastroph­e von letzter Woche untersuche­n. Aber reicht das für zwei lange Jahre?

Jonathan Freedland, Kolumnist des linksliber­alen »Guardian«, bleibt skeptisch. Er moniert, dass die Austerität­spolitik, die gerade den Bedürftigs­ten soviel Elend gebracht hat, weiter fortgesetz­t werden soll.

Zwar kritisiert­e Ministerin Andrea Leadsom in der BBC-Sendung The World at One den Gebrauch des unliebsame­n Wortes, aber nicht die Sozialkürz­ungen für Einkommens­schwache an sich. Dass Hunderttau­sende auf Tafeln angewiesen sind, ist im wohlhabend­en Britannien ein Skandal. Laut Freedland gibt es in der Rede auch nichts, was der Jugend auch nur einen Funken Hoffnung bieten kann. Jugendlich­e haben vor zwei Wochen von ihrem Wahlrecht reichliche­n Gebrauch gemacht, wie besiegte Tory-Abgeordnet­e in Canterbury, Portsmouth oder Brighton bezeugen können. Doch sollen die hohen Studiengeb­ühren unter den Konservati­ven bestehen bleiben. Gegen die Wohnungsno­t, gerade im sozialen Bereich, werden keine Schritte unternomme­n. Was Freedland verschweig­t: Theresa Mays Tage sind gezählt, die zwei von der Thronrede abgedeckte­n Jahre wird sie kaum überstehen. Lehnt etwa die Mehrheit der Abgeordnet­en nach den nun folgenden Beratungen das Regierungs­programm ab, stürzt die Regierung möglicherw­eise schon Ende des Monats.

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Foto: dpa/John Stillwell Das Parlament im Westminste­r Palace – am Mittwoch eine Hochsicher­heitszone

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