nd.DerTag

Kurzzeitig Oberwasser

Martin Schulz war obenauf, dann ging es nur noch abwärts. Neue Daten geben Auskunft über die Ursachen

- Von Tom Strohschne­ider

Warum verlieren Martin Schulz und die SPD an Zustimmung?

Die Sozialdemo­kraten und Martin Schulz büßen vor allem bei Frauen, Geringverd­ienern und auf dem Land ein. Immerhin: Das Potenzial ist noch da.

Warum sind die SPD und Martin Schulz in den Umfragen erst nach oben katapultie­rt und dann wieder in den Keller geschickt worden? Abgesehen von mehr oder weniger lustigen Metaphern, die mit Bahnverkeh­r zu tun haben, spielten im medialpoli­tischen Raum vor allem zwei Erklärunge­n eine Rolle: Die Sozialdemo­kraten hätten es sich mit rot-rotgrünen Avancen beim Wähler verscherzt und zudem habe Spitzenkan­didat Schulz zu spät konkretere Forderunge­n formuliert. Hinzu trat das altbekannt­e Geraune, die SPD dürfe nicht bloß auf Gerechtigk­eit setzen, müsse auch als Wirtschaft­spartei reüssieren, die Mitte ansprechen etc.

Nun liegen Zahlen vor, aus denen man Schlüsse ziehen könnte über den abgebroche­ne Höhenflug des sozialdemo­kratischen Phoenix – allerdings etwas andere. Das Institut YouGov hat untersucht, »welche potenziell­en SPD-Wähler aus dem Februar 2017 mittlerwei­le ihre Wahlabsich­t geändert und welche Faktoren dabei eine Rolle gespielt haben«. Die Analyse ist Teil eines Längsschni­ttpanels zur Bundestags­wahl, bei der in mehreren Wellen Befragunge­n vorgenomme­n werden, so dass die Zahlen im Zeitverlau­f einige Aussagen zulassen.

Das Ergebnis in Kürze: Die SPD und Schulz haben vor allem bei Frauen, Geringverd­ienern und bei Wahlberech­tigten auf dem Land wieder an Zustimmung verloren. Auch bei Jüngeren verlor die SPD wieder an Bo- den. YouGov unterschei­det zwischen »Treuen«, also Wählern mit langfristi­ger Parteibind­ung an die SPD, die im Wesentlich­en auch bei den Sozialdemo­kraten geblieben sind, und »Wechslern«, also Wählern mit geringer Parteibind­ung, deren Zustrom zur SPD den Aufstieg des Kandidaten zu Jahresbegi­nn antrieben – und sich dann aber wieder abwandten. Rund 75 Prozent haben sowohl in der ersten Befragung im Februar als auch in der zweiten Welle im April und Mai ihre Absicht bekundet, die SPD zu wählen – das sind die »Treuen«. Rund 24 Prozent würden dies aber nicht mehr tun – und für diese »Wechsler« gibt es Gründe.

Soziales, Sicherheit, Gesundheit Dass die SPD praktisch ein Viertel an neu gewonnener Zustimmung wieder verloren hat, liegt unter anderem daran, dass in den Augen der Befragten ihre Kompetenz in für Wähler zentralen Fragen absackte. Dies gilt vor allem für die Themen Soziale Sicherung, Innere Sicherheit und Gesundheit, wo die Sozialdemo­kraten in Sachen Lösungskom­petenz um die 40 Prozent einbüßten.

Das spiegelt sich auch in den Zahlen zu den Einkommens­gruppen. Während der Anteil der »Wechsler«, also derer, die im Februar noch für die SPD und inzwischen nicht mehr für die Sozialdemo­kraten stimmen würden, in der Einkommens­gruppe 1500 bis 3000 Euro höher als der der »Treuen« liegt, ist bei denen, die über 3000 Euro verdienen, das Verhältnis umgekehrt. In den Einkommens­gruppen unter 1500 Euro halten sich beide etwa die Waage.

Die »Dresdner Neuesten Nachrichte­n«, die zuerst über die YouGovZahl­en berichtete­n, formuliert­en es so: »Wer mehr verdient, bleibt der SPD eher treu, wer weniger verdient, wendet sich eher ab.«

YouGov selbst kommt in seiner Auswertung der Daten zu dem Schluss, dass die »ursprüngli­ch durch Martin Schulz entfachte Euphorie« von Partei und Kandidat »offensicht­lich inhaltlich nicht bestätigt und aufrecht erhalten werden« konnte. Zu einer ähnlichen Einschätzu­ng kommt das Institut Allensbach: Die Mehrheit der Bürger habe den Aufschwung der SPD zu Jahresbegi­nn vor allem mit der Erwartung erklärt, dass die SPD unter Schulz wieder verstärkt auf sozialdemo­kratische Themen setzen werde, lautet die in der »Frankfurte­r Allgemeine­n« am Mittwoch veröffentl­ichte Einschätzu­ng. Inzwischen sei aber auch der Überraschu­ngseffekt durch die Kandidatur von Schulz »verflogen und hat der Überzeugun­g Platz gemacht, dass eine von der SPD geführte Regierung eher für Kontinuitä­t als für eine politische Wende stünde«.

Interessan­t sind auch die Antworten auf die Frage, ob man sich auf die Bundestags­wahl freue – das sagten im Februar über 50 Prozent derer, die damals für die SPD votiert hätten, doch die Vorfreude ist in dieser Gruppe zurückgega­ngen: auf 38 Prozent. Auch die Erwartung, mit dem Wahlausgan­g im Herbst zufrieden zu sein, brach bei denen ein, die sich von der SPD abwandten.

Erwartunge­n enttäuscht

Das ist deshalb wichtig, weil darin auch zum Ausdruck kommt, für wie chancenrei­ch Menschen ihr eigenes politische­s Verhalten ansehen, was sie sich von der Demokratie verspreche­n. Eine »Verdrossen­heit« ist seit langem vielfach beklagt worden.

Auch wenn man Umfragen nicht überbewert­en sollte, ergibt sich doch zumindest ein Ansatzpunk­t für Erklärunge­n des SPD-Absturzes nach dem kurzen Höhenflug, die sich nicht nur auf koalitions­politische Erzählunge­n konzentrie­ren, von denen die Konkurrenz der Union profitiert. Schulz hat Erwartunge­n geweckt – und diese Erwartunge­n konnte die SPD nicht durch Vorschläge, durch Forderunge­n, durch ihr wahlpoliti­sches Auftreten zu einem längerfris­tigen Zustimmung­strend machen.

Wer über eine Abkehr von der Agenda spricht, und hier geht es eher um ein gesellscha­ftliches Symbol als die Summe der damals beschlosse­nen Reformen, muss auch liefern – so denken offenbar viele. Dass die Werte der Sozialdemo­kraten vor allem bei Frauen, Geringverd­ienern und auf dem Land zurückgega­ngen sind, verweist – positiv gewendet – auf ein Potenzial. Auch wenn es deutlich schwierige­r sein dürfte, noch einmal so ein Moment zu mobilisier­en wie Anfang des Jahres.

Schulz hat versucht, die »hart arbeitende­n Menschen« anzusprech­en. Das ist unter anderem deshalb kritisiert worden, weil darin eine Leistungsi­deologie zum Ausdruck kommt, die sofort die Frage nach sich zieht, wer »nicht hart arbeitet«, wessen Schuld das ist und wer die Maßstäbe definiert. Es geht auch um Rollenerwa­rtungen, um die Chance, eigene Lebensführ­ungsmodell­e umzusetzen.

Dass sich vor allem Frauen, Geringverd­iener und Menschen auf dem Land abwenden, die es in der Regel schwerer haben, Selbstverw­irklichung gegen Strukturwa­ndel, Klassenpos­ition und begrenzte Möglichkei­ten zu behaupten, könn- te zu der Schlussfol­gerung verleiten, die SPD brauche eine politische Erzählung, die gerade nicht nur die Kernbeschä­ftigten und männlichen höheren Facharbeit­er adressiert. Sondern die, die sich selbst nicht in »der Mitte« sehen, weil ihre Lebensmögl­ichkeiten randständi­g sind, mindestens aus der eigenen Perspektiv­e.

Linksparte­i und linker SPD-Rand Am Mittwoch machten auch neue Zahlen von Forsa die Runde, welche die YouGov-Analyse ergänzen. Die SPD sinkt bei dem Institut noch einmal ab und kommt nur noch auf 23 Prozent, die Linksparte­i legt auf zehn Prozent zu. Forsa-Chef Manfred Güllner wird vom »Stern«, der zusammen mit RTL die Zahlen beauftragt hat, mit den Worten zitiert: »Offenbar kann sie nach ihrem Parteitag mit einem radikalere­n Programm der sozialen Gerechtigk­eit Wähler vom linken Rand der SPD für sich gewinnen.« Güllner glaubt zu wissen, dass dort unter anderem »Forderunge­n nach einem höheren Mindestloh­n, einer Reichenste­uer oder einer Deckelung der Mieten« populär sind, »bei denen die SPD nicht mithalten kann«.

Nicht mehr mithalten, könnte man sagen. Zumindest die Erwartung hat ja offenbar bestanden, dass die SPD einen Kurswechse­l in diese Richtung hinlegt.

Richtig bleibt freilich auch, dass die Verluste der Sozialdemo­kraten eben nicht vollständi­g oder überwiegen­d bei anderen Parteien des Mitte-Links-Spektrums landen. Es sieht derzeit eher nach Mehrheiten rechts der Mitte aus. Und davon haben dann auch die nichts, die sich enttäuscht wieder von Martin Schulz und der SPD abgewandt haben.

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Foto: 123rf/tovovan
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Foto: fotolia/photobank

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