nd.DerTag

Die Nuba sind kriegsmüde

In den Bergen zwischen Sudan und Südsudan hält der bewaffnete Konflikt seit den 80er Jahren an

- Von Laura Wagenknech­t

Im Zuge der staatliche­n Neuordnung Sudans wurde Nuba dem Norden zugesproch­en. Seit Südsudans Sezession 2011 flammen die Kämpfe dort wieder auf. Humanitäre Helfer haben einen schweren Stand.

Früh am Morgen brechen Johannes Plate und Rene Hildebrand­t in ihren zwei Pick-ups auf. Obwohl die Sonne gerade erst über den Nuba-Bergen im Sudan aufgegange­n ist, ist es schon ziemlich warm. Plate fährt vor, Hildebrand­t fährt hinterher. Rene arbeitet erst seit zwei Monaten für das Hilfsproje­kt der Deutschen Organisati­on Cap Anamur in den Nuba-Bergen im Sudan. Es geht über Stock und Stein, Straßen gibt es hier nicht, nur Flussbette­n und Trampelpfa­de. Für Hildebrand­t ist das noch neu. Unsicher lenkt er sein Auto durch das erste Flussbett. Im zweiten passiert es, das Auto bleibt stecken.

»Das passiert schon mal, wenn man die Fahrerei hier nicht gewohnt ist«, sagt Plate, »in der Regenzeit brauche ich manchmal Tage, um in den Südsudan zu kommen. Dann steht hier alles unter Wasser.«

Hilfsorgan­isationen und Journalist­en sind seit 2011 von der sudanesisc­hen Regierung in Khartum aus diesem Gebiet verbannt worden. Cap Anamur arbeitet nur mit der Erlaubnis der Rebellen der Sudanesisc­hen Volksbefre­iungsarmee Nord (SPLAN), die die Nuba-Berge halten. Sie kämpfen hier gegen die Truppen des Präsidente­n Sudans Omar al-Baschir.

Plate und Hildebrand­t müssen Medikament­e in Südsudan abholen. Die werden bis an die Grenze geflogen. Von dort aus geht es in LKW weiter bis nach Kauda, wo Cap Anamur ein Krankenhau­s betreibt.

Immer wieder müssen sie an Kontrollpu­nkten der Rebellen halten und ihre Genehmigun­gen vorlegen, die sich jeder von der Rebellenre­gierung einholen muss. Immer wieder springen an Kontrollpu­nkten Leute auf die Ladefläche der Pick-ups. »Es gibt hier nicht nur keine Straßen, sondern auch nur etwa 40 bis 50 private Autos«, erklärt uns Plate, »solange kein Soldat aufspringt, ist das okay.«

40 bis 50 Autos für, je nach Schätzung, zwischen 800 000 und 1,2 Millionen Menschen. Und auch sonst gibt es nicht viel in den Nuba-Bergen. Kein Strom, keine Wasservers­orgung, kein Telekommun­ikationsne­tzwerk. Entwicklun­g und Investitio­nen sind ausgeblieb­en. Ein Grund für den Konflikt.

In dem Ort Heiban, nahe der Grenze zu den Truppen von Omar al-Baschir sitzt General Hamza in der gleißenden Mittagshit­ze. Er ist seit 32 Jahren bei der Armee, wie schon sein Vater und sein Großvater vor ihm. Sein Sohn, Kuku, wächst unter den Soldaten auf. Die Mutter ist bei Kukus Geburt gestorben. General Hamza lässt seine Männer aufmarschi­eren und einen Pick-up mit einem großkalibr­igen Maschineng­ewehr bestücken.

»Wir kämpfen für die Einigkeit, Gerechtigk­eit und Freiheit. Wir werden marginalis­iert von Khartum. Es gibt keine gleiche Entwicklun­g, keine Machtteilu­ng und keine Freizügigk­eit. Wir wollen einfach nur so sein wie jedes andere Land auf der Welt. (...) Wenn Khartum das erfüllt, möchten wir ein vereintes Sudan.«

Die SPLA-N ist aus der SPLA hervorgega­ngen, die für die Unabhängig­keit des Südsudan gekämpft hat. Damals wollten die Nuba auch zum neuen Sudan dazugehöre­n. Als 2005 die Grenze gezogen wurde, wurde Nuba jedoch dem Norden zugesproch­en. In einem Friedensab­kommen versprach die sudanesisc­he Regierung den Nuba damals viel und hielt wenig, sodass der Konflikt 2011 wieder aufflammte. Seitdem hat Machthaber Omar al-Baschir über 4000 Bomben auf zivile Ziele in den NubaBergen abgeworfen.

Der Motor des Pick-ups heult auf. General Hamzas Männer sitzen auf. Kuku bricht in Tränen aus und rennt zu seinem Vater. »Er hat Angst, dass ich wieder im Busch verschwind­e«, sagt Hamza und nimmt seinen Sohn auf den Arm.

Die Männer kämpfen fast alle an der Front. Die Frauen bleiben zurück. Sie sind die Stützen der Gesellscha­ft. Sie bauen Häuser, bestellen die Felder und kümmern sich um durchschni­ttlich sieben Kinder. Da ist es nicht verwunderl­ich, dass das Krankenhau­s von Cap Anamur in der Nähe von Kauda, der Rebellen Hauptstadt, voll von Frauen und Kindern ist. Cap Anamur betreibt ein Krankenhau­s und sechs Kleinklini­ken in dem Rebellenge­biet – immer noch viel zu wenig für die Bevölkerun­g. Teilweise laufen die Menschen tagelang, um medizinisc­h versorgt zu werden.

Kathrin Baumgartne­r ist eigentlich Kinderärzt­in, in Kauda ist sie für die Allgemeinm­edizin zuständig. Auch für die gebürtige Österreich­erin ist klar, vor allem die Gesundheit der Frauen und Kinder leidet stark unter den indirekten Folgen des Konflikts: »Viele Frauen entbinden ihre Kinder draußen im Dorf ohne jegliche Hilfe. Wenn ein Neugeboren­es krank ist, dann kommen sie damit nicht in die Klinik zur Behandlung, weil der Weg einfach zu weit ist. Ich glaube, dass immer noch ganz viele Kinder draußen in den Dörfern sterben.«

In einem von Human Rights Watch veröffentl­ichten Bericht wird das Ausmaß der Kriegsfolg­en deutlich. Die einzige nicht christlich­e Organisati­on in den Nuba-Bergen ist Cap

Anamur. Sie sind auch die Einzigen, die hier Verhütungs­mittel verteilen. Kondome können im Krankenhau­s umsonst mitgenomme­n werden. Auf den Märkten der Nuba-Berge sucht man sie vergebens. Außerdem gibt Cap Anamur auch die Dreimonats­spritze, die dürfen sie aber nur mit Einverstän­dnis des Ehemanns verabreich­en. Die Fälle von Syphilis, Gonorrhöe und Hepatitis B sind in den letzten Jahren stark angestiege­n.

In einem im Mai veröffentl­ichten Bericht von Human Rights Watch findet Sky Wheeler von der Abteilung Frauenrech­te klare Worte: »Für die sudanesisc­he Regierung und die bewaffnete Opposition müssen die Menschen jetzt an erster Stelle kommen. Sie müssen den Weg in das Ge- biet für unabhängig­e und unparteiis­che Hilfsorgan­isationen schnellstm­öglich ebnen.«

Eine halbe Stunde Fahrt von dem Krankenhau­s entfernt steht das Regierungs­gebäude der SPLM-N, des politische­n Arms der SPLA-N. Das Schild am Eingang ist rostig, die Farbe blättert ab. Im Empfangsra­um des einstöckig­en Hauses klafft ein Loch in der Decke. Der stellvertr­etende Gouverneur der Nuba-Berge, Suleiman Jabona, sitzt an seinem Schreibtis­ch. Alte Ordner stapeln sich in den Regalen, der Schreibtis­ch ist fast leer. Einen Computer gibt es nicht.

Die SPLM-N und die sudanesisc­he Regierung brachen im vergangene­n Jahr die Friedensve­rhandlunge­n und die damit verbundene­n Verhandlun­gen über Hilfsliefe­rungen ab. Beide Seiten beschuldig­en die jeweils andere, an dem Abbruch schuld zu sein. »Die sudanesisc­he Regierung setzt Hunger und den Entzug medizinisc­her Versorgung als Waffe gegen uns ein. Wir wollen Frieden, aber nicht als Sudanesen dritter Klasse. Wir haben Angst, dass wenn die Sendungen, wie von Khartum gewollt, über Khartum geliefert werden, die Gelder dort versickern, die Lieferunge­n als Druckmitte­l eingesetzt werden und die Organisati­onen hier in Schwierigk­eiten geraten. Die Projekte von Cap Anamur sind extrem wichtig für uns.«

Die Angst von Jabona ist wohl in gewisser Art berechtigt, doch Plate gibt an: »Die Nuba sind kriegsmüde, sie brauchen Frieden. Durch die Dürre in diesem Jahr sind die Lebensmitt­el knapp und die Kinder vielerorts mangelernä­hrt. Die SPLM-N muss eine Einigung suchen.«

Plate steht auf dem Rollfeld im Südsudan. Vor ihm das Transportf­lugzeug mit den Medikament­en für die nächsten fünf Monate. Er weist seine Truppe an, abzuladen. Als sie gerade anfangen wollen, kommt ein hochgewach­sener Südsudanes­e, unterbrich­t die Männer und weist sich selbst als zuständig für das Rollfeld aus. Lange diskutiert Plate mit ihm. Plates Gesicht wirkt angespannt, um ihn herum blicken alle betreten nach unten. Schließlic­h schickt Plate seine Männer fort. Südsudanes­en rücken an und laden die Medikament­e auf LKW.

»Wir sind den Südsudanes­en ausgeliefe­rt, weil wir ja offiziell gar nicht hier sind. Der Mann sagte, er arbeitet seit zwei Jahren hier. In meinen drei Jahren habe ich ihn aber noch nie gesehen. Das Abladen kostet mich jetzt über doppelt so viel, wie mit meinen eigenen Leuten. Aber ich kann da nichts machen. Das ist richtig ärgerlich, aber solange ich hier auf dem Rollfeld stehe, bin ich denen völlig ausgeliefe­rt.«

Es soll noch zwei Tage dauern, bis die Medikament­e endlich im Krankenhau­s von Cap Anamur angekommen sind. Drei Monate später setzt die Regenzeit ein. Zu früh und zu heftig. Zwei der Schlafsäle in dem Krankenhau­s werden beschädigt, eine Mauer zu einer im Bau befindlich­en Erweiterun­g der Geburtenst­ation eingerisse­n.

»Die sudanesisc­he Regierung setzt Hunger und den Entzug medizinisc­her Versorgung als Waffe gegen uns ein.« Suleiman Jabona, VizeGouver­neur der Nuba-Berge

 ??  ?? Krankenhäu­ser gehören zu den Angriffszi­elen der sudanesisc­hen Armee: Unzerstört­es Krankenhau­s von Cap Anamur in Lwere in den Nuba-Bergen, Sudan
Krankenhäu­ser gehören zu den Angriffszi­elen der sudanesisc­hen Armee: Unzerstört­es Krankenhau­s von Cap Anamur in Lwere in den Nuba-Bergen, Sudan
 ??  ?? Frauen im Warteberei­ch des Krankenhau­ses von Cap Anamur in Lwere in den Nuba-Bergen
Frauen im Warteberei­ch des Krankenhau­ses von Cap Anamur in Lwere in den Nuba-Bergen
 ?? Fotos: Laura Wagenknech­t ?? Gut munitionie­rt: Soldat der Sudanesisc­hen Volksbefre­iungsarmee Nord (SPLA-N)
Fotos: Laura Wagenknech­t Gut munitionie­rt: Soldat der Sudanesisc­hen Volksbefre­iungsarmee Nord (SPLA-N)

Newspapers in German

Newspapers from Germany