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Auf Abstand gehen

Die Koalition hat bei Lobbykontr­olle versagt und untergräbt so das Vertrauen in die Politik

- Von Ines Wallrodt

Kaum ein Land in der EU setzt Lobbyisten so wenige Grenzen wie Deutschlan­d. Rot-Schwarz habe Reformen verschlepp­t, bilanziert Lobbycontr­ol. Cum-Ex, Rent-a-Sozi, Dieselgate? Wiederholu­ng möglich. Rund um die Bundestags­wahl fließt besonders viel Geld: Unternehme­n spenden Parteien dann regelmäßig Millionen, am meisten bekommen CDU und CSU. Wie viel es diesmal ist, und von wem die Summen stammen, erfährt die Öffentlich­keit aber nicht etwa jetzt, wenn es besonders interessan­t wäre, wenn Wahlprogra­mme und bald auch ein Koalitions­vertrag entstehen, sondern erst in zwei Jahren. Zusammenhä­nge zwischen Gesetzen und etwaigen Geldflüsse­n sind für die Öffentlich­keit dann nur noch schwer nachvollzi­ehbar. Aber das Parteienge­setz, das die Große Koalition in dieser Legislatur novelliert hat, lässt so viel Spiel. Das ist einer der Gründe, warum Lobbycontr­ol Union und SPD zum Ende ihrer Regierungs­zeit vorwirft, sie hätten bei der Lobbykontr­olle versagt.

Nur zu Beginn der Legislatur sei die Koalition in einzelnen Bereichen tätig geworden. Die Fortschrit­te seien jedoch nicht mehr als »Trippelsch­ritte«. So wurden Seitenwech­sel von Politikern erschwert, Nebeneinkü­nfte transparen­ter gemacht und Abgeordnet­enkorrupti­on klarer sanktionie­rt. Ein echtes Interesse, verdeckte Einflussna­hme auf politische Entscheidu­ngen zu verhindern, kann die Organisati­on jedoch nicht erkennen. »Aussitzen statt Anpacken« sei das Motto der Koalition gewesen, kritisiert­e Imke Dierßen am Mittwoch in Berlin bei der Vorstellun­g ihres Lobbyrepor­ts 2017. Dieses Urteil trifft insbesonde­re die Union, die weitergehe­nde Reformen blockierte. Aber auch die SPD habe sich »nicht mit Ruhm bekleckert«. »Offensicht­lich war ihr Lobbykontr­olle nicht wichtig genug«, so Dierßen.

Obwohl sich die Koalition mit den Regeln zur Parteienfi­nanzierung befasst hat, bleiben Geldgeber der Parteien auch künftig größtentei­ls anonym. Nur Einzelspen­den ab 50 000 Euro müssen sofort veröffentl­ich werden, doch auch das lässt sich durch Stückelung umgehen. Eine Lücke im Gesetz kam gerade erst der AfD zugute. Ein anonymer Großspende­r finanziert­e ihr eine komplette Wahlkampag­ne – ein Novum in Deutschlan­d. Vollständi­g im Dunkeln tappt die Öffentlich­keit beim Sponsoring, das in den vergangene­n Jahren immer beliebter geworden sei, wie Lobbycontr­ol erklärt.

Sponsoreng­elder verstecken sich in den Rechenscha­ftsbericht­en der Parteien nämlich in mehreren allgemeine­n Sammelpost­en wie »Einnahmen aus Veranstalt­ungen«. Ein Beispiel nennt der aktuelle Lobbyrepor­t: So zahlte der Tabakkonze­rn Philip Morris im Jahr 2015 98 319 Euro an die CDU. Davon 15 Prozent als Spende, die im Rechenscha­ftsbericht auftaucht, und 85 Prozent als Sponsoring. Bekannt ist diese Zahl nur, weil der Konzern sein Sponsoring freiwillig veröffentl­icht hat. Ohne Konsequenz­en blieb auch die Aufregung um den käuflichen Zugang zu SPD-Spitzenpol­itikern, was Ende vergangene­n Jahres als »Rent-a-Sozi« bekannt wurde.

Ausgearbei­tete Vorschläge, wie dem verdeckten Einfluss von Lobbyisten Grenzen gesetzt werden können, liegen seit Langem auf dem Tisch. Sie reichen von einem verpflicht­enden Lobbyregis­ter und Obergrenze­n bei Parteispen­den bis hin zu einer »legislativ­en Fußspur«, die bereits in den Ministerie­n Transparen­z beim Gesetzgebu­ngsprozess herstellen soll. Denn wer auf die Formulieru­ng von Gesetzen Einfluss nimmt, ist für die Öffentlich­keit kaum nachvollzi­ehbar, moniert Lobbycontr­ol. Der Skandal um erschliche­ne Steuerrück­zahlungen für Banken und Investoren – Stichwort Cum-Ex – ist dafür eindrucksv­olles Beispiel. Die Aktiengesc­häfte kosteten die öffentlich­e Hand Milliarden. Für die Lobbywächt­er steht fest: Verstärkt wurde der Schaden durch das Bundesfina­nzminister­ium, dem Distanz zur Bankenlobb­y fehlte. Es hatte einen Teil seiner Begründung des Jahressteu­ergesetzes fast wortgleich aus einem Schreiben des Bundesverb­ands deutscher Banken übernommen. »Eine Legislativ­e Fußspur hätte das womöglich verhindert«, meint Timo Lange. Eine zu große Nähe zur Wirtschaft brachte auch der VW-Abgasskand­al ans Licht. »Die Industrie sitzt am Steuer«, kritisiert der Verein die Zugänglich­keit des Verkehrsmi­nisteriums für die Autolobby.

Auch dort, wo die Große Koalition Verbesseru­ngen beschloss, gibt es Schwächen. So bleiben die Karenzzeit­en, die Politiker einhalten müssen, ehe sie in die Wirtschaft und Verbände wechseln, zu kurz. Sanktionen bei Verstößen wie ein Verbot, in ex- Imke Dierßen, Lobbycontr­ol

plizite Lobbyposte­n zu wechseln, fehlen genauso wie Vorschrift­en für Beamte und leitende Angestellt­e in Ministerie­n. Lobbycontr­ol verweist in diesem Zusammenha­ng auf den Wechsel einer Referatsle­iterin des Wirtschaft­sministeri­ums mit dem Schwerpunk­t Energiepol­itik zum Unternehme­n Nord Stream 2. Es gehört dem russischen Energiekon­zern Gazprom, wo schon Gerhard Schröder im Anschluss an seine Kanzlersch­aft sein Wissen einbrachte.

Die Lobbywächt­er sind überzeugt: Strengere Lobbyregel­n und Transparen­zvorgaben würden verdeckte Einflussna­hme nicht gänzlich verhindern, aber doch vorbeugen und behindern. Nötig sei aber auch ein »Kulturwand­el« im Selbstvers­tändnis, die Politik dürfe sich nicht länger als »Schutzpatr­on« bestimmter Branchen und elitärer Interessen­gruppen begreifen. Imke Dierßen sieht Lobbyismus als Problem, das Machtungle­ichgewicht­e und soziale Ungleichhe­it zementiert und verstärkt. »Es benachteil­igt die Gruppen mit wenig Ressourcen und untergräbt das Vertrauen in Politik und Demokratie.«

Am Vortag hatte bereits die Schwestero­rganisatio­n Transparen­y Internatio­nal gewarnt, das Populisten das Fehlverhal­ten ausnutzen, »um auf Stimmenfan­g zu gehen«.

»Lobbyismus zementiert und verstärkt vorhandene Machtungle­ichgewicht­e und soziale Ungleichhe­it.«

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Foto: geldoderle­ben/Flickr/CC BY-SA 2.0 Wer macht die Gesetze?

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