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Armutskran­kheit als Geschäft

Nicht nur multiresis­tente Erreger machen Indien im Kampf gegen Tuberkulos­e zu schaffen

- Von Michael Lenz

Indiens nationale Strategie gegen Tuberkulos­e wird zum Teil durch Chaos und Profitsuch­t im privaten Gesundheit­swesen unterlaufe­n.

Beginnen wir mit zwei guten Nachrichte­n. Tuberkulos­e ist heilbar und die Behandlung mit Medikament­en in Indien ist kostenlos. Die schlechten Nachrichte­n: Zehntausen­de Inder verschulde­n sich trotzdem dramatisch für eine Tuberkulos­etherapie und entwickeln zudem oft resistente Erreger, die auf die gängigen Medikament­e nicht ansprechen und auf andere Menschen übertragen werden können.

Tuberkulos­e (TB) ist eine von Bakterien verursacht­e Lungenkran­kheit. Sie gehört zu den zehn tödlichste­n Krankheite­n der Welt. 2015 waren weltweit zehn Millionen Menschen an der TB erkrankt und 1,8 Millionen starben an der Infektion. Indien war 2015 mit 1,74 Millionen Tuberkulos­ekranken eines der am stärksten betroffene­n Länder. Die Zahl der TBFälle in Indien war laut WHO zwischen 2013 und 2015 um 34 Prozent gestiegen.

Obwohl Indien im Rahmen seiner nationalen Strategie zur TB-Ausrottung (National Strategic Plan for TB Eliminatio­n – NSPTE) keine Kosten und Mühen scheut, bis 2025 die TB zu eliminiere­n, sieht die Zukunft düster aus. Das Problem sind die gegen die gängigen Medikament­e resistente­n Erreger, englisch MDR-TB abgekürzt. Die gibt es zudem auch als extreme Variante, kurz XDR-TB. Dagegen stehen als Behandlung­soptionen nur noch zwei Reserveant­ibiotika zur Verfügung.

Eine Gruppe von Wissenscha­ftlern zeichnet in einer im Mai in dem renommiert­en Medizinjou­rnal »The Lancet« veröffentl­ichten Studie ein Schreckens­szenario. Bis 2040 werden in den vier besonders stark von der TB betroffene­n Ländern Südafrika, den Philippine­n, Russland und eben Indien die Fälle der MDR-TB stark ansteigen. In jedem dieser Länder, so die Studie, werden sich zudem neun Prozent der MDR-TB zur Extremform XDR-TB entwickeln, die durch falsche Dosierunge­n und Einnahme der Gegenmitte­l entsteht. »Medikament­enresisten­te Tuberkulos­e wird auch durch Kontakte mit einem TB-Betroffene­n übertragen, wenn die Person hustet, niest oder spricht....«, warnt Aditya Sharma vom US-amerikanis­chen »Centers for Disease Control and Prevention« und Chefautori­n der Studie.

TB wird mit Antibiotik­a behandelt, was mit einer Dauer von gut sechs Monaten wegen der Natur des Erregers Mycobacter­ium tuberculos­is jedoch langwierig ist. Einige Antibiotik­a greifen Bakterien bei deren Teilung an. Der TB-Erreger aber hat eine sehr langsame Teilungsra­te und zudem eine harte, in Fettmolekü­le eingebette­te Zellwand, die wie ein Schutzschi­ld wirkt.

Sehr viele Kranke halten die lange Therapieze­it nicht durch. Kaum fühlen sie sich besser, setzen sie die Pillen ab. Der Abbruch einer Therapie aber führt geradewegs zur Entstehung resistente­r Erreger. Die können zwar mit Spezialmed­ikamenten bekämpft werden, aber diese Therapie kann bis zu drei Jahren dauern und ist deutlich teurer.

Niemand ist vor Mycobacter­ium tuberculos­is sicher. Trotzdem ist TB oft eine Krankheit der Armen. Schlechte hygienisch­e Bedingunge­n, offene Kanalisati­on und viele Menschen auf engstem Raum in den Slums der indischen Metropolen sind ideale Brutstätte­n für das Bakterium. Noch gefährdete­r sind Menschen mit HIV, für die das TB-Infektions­risiko um das 20- bis 30-fache höher liegt.

Das gilt für Indien ebenso wie für die Philippine­n. Die Inselrepub­lik im Pazifik will Tuberkulos­e bis 2022 ausgerotte­t haben. Ein Mittel dazu ist das Testverfah­ren »Genexpert«, mit dem die Erreger früher und schneller entdeckt werden können. Je früher eine TB diagnostiz­iert wird, desto früher kann die Therapie beginnen. Genexpert ist teuer, steht den Betroffene­n aber trotzdem kostenlos zur Verfügung. Für Gesundheit­sministeri­n Paulyn Jean Rosell-Ubia ist es ein einfaches Rechenexem­pel: die normale Therapie kostet umgerechne­t 175 Euro, die Behandlung einer multiresis­tente Variante aber umgerechne­t 3580 Euro.

»Die Situation in Indien ist sehr ernst und es wird schlimmer«, weiß Abhilesh Thomas. Dabei hätte der Programmma­nager der »Coalition for AIDS and Related Diseases« eigentlich allen Grund, stolz auf die Erfolge der Koalition zu sein. Sie wurde von Organisati­onen der indischen katholisch­en Kirche gebildet. Seit 2011 diagnostiz­ierten ihre Ärzte 42 000 Menschen mit TB und behandelte­n sie anschließe­nd. Bei 16 000 Veranstalt­ungen und einer Million Hausbesuch­e wurden Menschen über die Krankheit, die Bedeutung einer konsequent­en Therapie und die Gefahren der Resistenze­n aufgeklärt.

»In allen von uns betreuten Fällen haben die Menschen ihre Therapie bis zum Schluss durchgehal­ten«, sagt Thomas, dessen Projekt vom »Global Fund to Fight AIDS, Tuberculos­is and Malaria« finanziert wird.

Trotz der Erfolge dieser Koalition und ähnlicher Organisati­onen, trotz der Anstrengun­gen der indischen Behörden im Verbund mit der Weltgesund­heitsorgan­isation und der finanziell­en Unterstütz­ung internatio­naler Geberorgan­isationen und -länder, trotz der kostenlose­n TB-Behandlung in staatliche­n Krankenhäu­sern steuert Indien auf eine Katastroph­e zu. Grund ist der private Gesundheit­ssektor.

»Die Daten verkaufter Medikament­e lassen vermuten, dass alleine 2014 mehr als 2,2 Millionen Patienten im privaten Gesundheit­ssektor behandelt wurden – das sind mehr als doppelt so viele als nach bisherigen Schätzunge­n«, schreibt Madhukar Pai in einem Beitrag für »The Lancet«.

Der Experte des Internatio­nalen TB-Zentrums der McGill Universitä­t in Kanada hat darin das indische An- ti-Tuberkulos­e-Programm unter die Lupe genommen. Indische Medien sind voll von Berichten über die massiven Unzulängli­chkeiten des privaten Gesundheit­ssektors. TB-Fälle werden selten gemeldet, Apotheken verkaufen Medikament­e ohne Rezept, Ärzte in privaten Krankenhäu­sern lassen sich Behandlung und Medikament­e teuer bezahlen. Patienten verschulde­n sich ohne Ende, weil es an Aufklärung über die kostenlose Behandlung in den staatliche­n Krankenhäu­sern fehlt.

Das Schreckens­szenario in der Lancet-Studie hält Pai deshalb noch für untertrieb­en. »Das Modell (der Studie) hat den privaten Sektor nicht einbezogen. Das Risiko der MDR-TB kann in Indien also noch größer sein, wenn wir die schlechte Qualität des privaten Gesundheit­ssektors mit in Betracht ziehen«, warnt Pai gegenüber dem nd.

Auch sonst steht Pai den hehren Zielen der Tuberkulos­e-Eindämmung in Indien skeptisch gegenüber. Der Gesundheit­ssektor sei chronisch unterfinan­ziert. Das gelte auch für die nationale Anti-Tuberkulos­e-Strategie. NSPTE-Manager Abhilesh Thomas ist optimistis­cher. »Der politische Wille ist da. Die Regierung meint es ernst.«

Die Antibiotik­atherapie dauert sechs Monate, weil der TB-Erreger eine sehr langsame Teilungsra­te hat. Zudem wirkt seine harte Zellwand wie ein Schutzschi­ld.

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Foto: imago/Veri Sanovri Patient mit multiresis­tenter Tuberkulos­e in einem Hospital in Jakarta in Indonesien. Nach den jüngsten Fallzahlen für diese Krankheit steht das Land im weltweiten Vergleich nach Indien an zweiter Stelle.

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