Oberkommandierender Sprengkopf
Donald Trumps politische Geisterfahrten kehren sich immer mehr gegen den Präsidenten selbst
Schon in der Wahlnacht im vorigen November kommt der Versuch, den künftigen Präsidenten zu beschreiben, nicht ohne medizinischen Wortschatz aus. Das Kulturmagazin »The New Yorker« schrieb damals, mit Donald Trump übernehme ein Mann die Führung des Landes, »dessen Narzissmus und Egoismus außerhalb von Psychiatrien äußerst selten zu beobachten« seien. Diese Art, sich dem von 60 Millionen Bürgern gewählten Präsidenten zu nähern, ist neu. Sie hat es davor nicht gegeben, obgleich die Ahnenreihe von Amerikas Präsidenten schräge Figuren aufweist. Auch im halben Jahr seit Dienstantritt animiert der Präsident oft zu pathologischen Anleihen. In einer Umfrage nannten die Teilnehmer auf die Frage, welche ersten Worte ihnen zu Donald Trump einfallen, mit Abstand »Idiot«, gefolgt von »inkompetent«.
Die stärksten Urteile fallen in Verbindung mit der anhaltenden Fassungslosigkeit, dass so ein Mann Präsident werden konnte. Vor Kurzem erklärte die kanadische Publizistin Naomi Klein: »Trump is an idiot, but don’t underestimate how good he is at that«. Trump sei ein Idiot, aber darin auf keinen Fall zu unterschätzen. Diese Kurzbeschreibung kommt der Diagnose vielleicht am nächsten, weil sie Trumps Unfähigkeit nicht gleichsetzt mit bloßer Dummheit und Harmlosigkeit. Beides würde ihm, seit letzter Woche 71, nicht gerecht. Die meisten Kritiker sehen seine Unzulänglichkeiten und stellen sie, Kopf schüttelnd, der Macht seines Amtes gegenüber.
Noam Chomsky (88), der US-amerikanische Kapitalismuskritiker und für manche bedeutendste lebende Intellektuelle des Landes, begegnete kurz vor der Wahl der Frage, was ein Präsident Trump bedeuten würde, mit Verweis auf zwei überlebensentscheidende Bereiche: »Beim Thema Klima marschiert Trump mit seinem Zurück zu fossilen Energieträgern vollständig in die falsche Richtung, obwohl wir nicht mehr viel Zeit zur Umkehr haben. Und was die Atomwaffen angeht: Sollten wir einem ignoranten, dünnhäutigen Größenwahnsinnigen die Möglichkeit eröffnen, die Welt in die Luft zu jagen?« Auch hier haben wir die Paarung falscher Ziele mit einem Präsidenten, der statt Oberbefehlshaber Oberkommandierender Sprengkopf zu werden droht.
Die Gefahr solcher Entgleisung ist nicht herbeigeredet, wenn wir uns mancher Selbstzeugnisse Trumps erinnern. Zu Beginn der Vorwahlen im Januar 2016 beschreibt der Wahlkämpfer in Iowa Glanz und Größe seiner Person: »Ich könnte mitten auf der 5th Avenue (in Manhattan) stehen und jemanden erschießen und würde keinen einzigen Wähler verlieren.« Zur Bekräftigung formt er an dieser Stelle mit den Fingern eine Pistole und zielt ins Publikum: »Unfassbar, Wahnsinn!«
Selbstverliebtheit und Schamlosigkeit gehen bei ihm Hand in Hand. Ob er seine Entschlossenheit, die USA aufzurüsten, mit der Klarstellung verbindet »Ich bin der größte Militarist, den es gibt«. Ob er seine Unwissenheit und Unbildung ausstellt und erklärt, Präsident Andrew Jackson sei »sehr wütend über den amerikanischen Bürgerkrieg« gewesen, obwohl der 16 Jahre vor Ausbruch des Krieges gestorben war. Oder ob er gesteht, dass er Lesen hasst, aber Bilder mag und deshalb froh sei, wenn ihm seine Leute im Weißen Haus Dinge aufmalen – solche Pannen würden die meisten Menschen beschämen. Trump ist mit unerschütterlichem Eigenlob bei der Hand und vermittelt so eine Ahnung, wie zutreffend der Befund sein könnte, dass Verlust von Scham das erste Anzeichen von Schwachsinn ist.
Blättern wir in der »Akte«, treffen wir auf Verhaltensweisen, von denen manche meinten, sie seien dem Wahlkampf geschuldet gewesen und würden sich im Amt legen. Trump hat diese Hoffnung enttäuscht. Symptome:
– Er ist ein Mann, von dem zu jeder Aussage eine Gegenaussage vorliegt; damit weist er sich als Dauerlügner aus.
– Er liebt das Chaos, genießt den Zank der Höflinge um seine Gunst und wird ungehalten, sobald andere Aufmerksamkeit erhalten. Ein Republikaner kolportiert soeben aus dem Weißen Haus: »Seine Aufmerksamkeitsspanne ist zu kurz, er liest nichts, was länger als eine Seite ist, und er muss ständig mit Schmeicheleien bestochen werden, halbwegs konzentriert zu bleiben.«
– Seine Eigenliebe wird allenfalls von seinem Fremdenhass übertroffen. Seine Äußerungen über Mexikaner, Muslime oder Menschen mit Behinderungen haben Stammtische in den Schatten gestellt und den öffentlichen Diskurs brutalisiert.
– Er ist Sexist mit Äußerungen über Frauen, die selten zitierfähig, aber konstant menschenverachtend sind. Biograf David Cay Johnston: Trump betrachtet Frauen »nicht als gleichwertig«. Als vor der Wahl ein Video auftaucht, in dem er sich brüstet, jeder wildfremden Frau in den Schritt greifen zu können, fragen sich die USA und die Welt: Ist das noch offener Wahlkampf oder schon offene Psychiatrie?
– Er ist Twitter-süchtig, feiert sich als »Hemingway der 140 Zeichen« und erweist sich für die US-Schriftstellerin Erica Jong damit als amtsuntauglich. »Twitter ist ein hoch nervöses Medium. Ein Medium des impulsiven unbedachten Reagierens. Man hat seine Reaktion längst verbreitet, bevor man Zeit findet, darüber nachzudenken.«
– Obwohl er bei Amtseinführung beklagt: »Zu lange hat eine kleine Gruppe in der Hauptstadt unseres Landes von der Regierung profitiert, und das Volk hat die Kosten getragen«, sitzt mit ihm erstmals ein Mann im Amt, der – so der »Stern« – »rund um die Welt Unternehmen besitzt, Schulden hat bei Feinden seiner Regierung, Verbindungen hält zu korrupten Partnern. Einer, der weiterhin und unbedingt Geld verdienen will: Das wichtigste Amt der westlichen Welt wird zum Marketinginstrument eines Familienclans.«
Eins hat Trump in kurzer Zeit geschafft. Er hat die USA tief verunsichert. Er hat bewiesen, dass eine Witzfigur Präsident des mächtigsten Staats der Welt sein kann. Damit hat er – Russland-Ermittlungen hin oder her – andere Machtzentren gestärkt. Wer sich im Wahlkampf noch fragte, warum Putin auf einen Sieg Trumps hofft, wird sich diese Frage heute sparen: Ein Irrlicht wie Trump ist ein unverhofftes Geschenk für die Konkurrenten der USA – aber auch ein auf Dauer wohl nicht hinnehmbares Risiko für das Land. Die Krankenakte vermehrt Verwirrung und Verärgerung im Westen. Doch sie wird die Entschlossenheit stärken, den Spuk zu beenden. So oder so.
Während der linke Michael Moore jetzt gerade die Whistleblower-Website »TrumpiLeaks« gründet und patriotische Amerikaner »zur Enthüllung von Verbrechen und Fehlverhalten durch Donald J. Trump« ermutigt, während er im August gar in einer Broadway Show über ein Land auftreten will, »das gerade einen Verrückten gewählt hat«, äußern sich auf der Seite der politischen Rechten Leute wie Eliot Cohen, Berater von George W. Bushs Außenministerin Condoleezza Rice. Weil das Problem Trumps Temperament und sein Charakter seien, »wird es nicht besser werden«. Dennoch werde er scheitern: Weil er die Gerichte nicht korrumpieren könne. Weil am Ende die meisten Amerikaner, auch jene, die ihn wählten, kein Verlangen verspürten, »in einer amerikanischen Version von Erdogans Türkei oder Putins Russland zu leben. Es ist nichts Großes an dem Amerika, das Trump zu schaffen glaubt. Aber am Ende wird es die Größe Amerikas sein, die ihn aufhält.«
»Trump is an idiot, but don’t underestimate how good he is at that«. – Trump ist ein Idiot, aber darin auf keinen Fall zu unterschätzen. Naomi Klein »Wenn jemand zu uns kommt und uns erzählt, auf dem Mond wachsen Erdbeeren, beginnen wir sofort, ihn davon zu überzeugen, daß dies doch nicht möglich sei, anstatt uns zu fragen, warum ihm solch absonderliches einfiele, unsere Aufmerksamkeit zu erlangen.«
Sigmund Freud