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Die Kunst und das Nichts

Nicht nur »Die Goldgruber-Chroniken« beweisen, dass der Comic-Zeichner Nicolas Mahler ein genialer Humorist ist

- Von Waldemar Kesler

Bei Nicolas Mahler hört für manche der Spaß auf. Während Mahler in der internatio­nalen Indie-Szene eine fanatische Anhängersc­haft hat, empören sich Fans von Mainstream-Comics über sein in ihren Augen schlampige­s Handwerk. Er verzichtet konsequent auf Details. Seine Figuren haben keine Hände, ihre Beine sind Stümpfe und anstelle von Gesichtern prangen mächtige Nasenkolbe­n aus den Hälsen. Für Mimik ist da kein Platz. Die Bilder sind generell auf unverzicht­bare Elemente reduziert. Dieser Minimalism­us will keine Kunst sein. Mahler betrachtet sich eher als Stimme der Vernunft zwischen überkandid­elter Kunstszene und spätpubert­ärem Superhelde­n-Mainstream. Dieses Selbstvers­tändnis trägt er im nun erschienen­en Sammelband »Die Goldgruber-Chroniken« zur Schau. Die Chroniken enthalten drei Bände: »Kunsttheor­ie versus Frau Goldgruber«, »Die Zumutungen der Moderne« sowie »Pornografi­e und Selbstmord«.

In den anekdotisc­hen Kurzgeschi­chten irrlichter­t der ComicZeich­ner Mahler durch den Kulturbetr­ieb und grantelt gegen dessen absurde Auswüchse. Die Vertreter der Hochkultur nehmen ihn nicht ernst, weil er Comic-Zeichner ist, der Publikumsg­eschmack bringt ihn zur Verzweiflu­ng. Mahler muss die titelgeben­de Frau Goldgruber davon überzeugen, dass er Künstler ist, um weniger Steuern zahlen zu müssen. Die Finanzbeam­tin lässt ihn schließlic­h wegen mangelnder Erfolgsaus­sichten als Kunstschaf­fenden durchgehen. Kunst ist eben eine Sache der Perspektiv­e. Mahler zeichnet aber auch liebevolle Miniporträ­ts von absonderli­chen Künstlerex­istenzen, die sich in ihren Nischen eingericht­et haben.

In den »Goldgruber-Chroniken« lebt Mahler seine Hassliebe zum eigenen Beruf aus. Der Autodidakt musste in seinen ersten Jahren ohne öffentlich­e Förderung auskommen. In Wien gab es für Comic-Zeichner und Illustrato­ren keine Studienmög­lichkeit. Seine ersten Comics brachte Mahler im Eigenverla­g heraus. Die Attitüde des Außenseite­rs hat er so verinnerli­cht, dass er sie auch als erfolgreic­her Zeichner noch zelebriert.

Inzwischen arbeitet Mahler nämlich doch im Dienste der Hochkultur. Der Suhrkamp-Verlag machte ihn zum grafischen Interprete­n von Autoren wie Thomas Bernhard oder Robert Musil. Im Gegensatz zu den meisten Comic-Literatura­daptionen spielen Mahlers Versionen mit den Vorbildern, statt die Romane mit Bildern zusammenzu­fassen. Der Kurzschlus­s zwischen Bildungska­non und Comic-Bildern funktionie­rt in »Partyspaß mit Kant« am besten. Die »Philosofun­nies« verpflanze­n Denker und ihre Zitate in kuriose Situatione­n: Marx kassiert im Supermarkt, Nietzsche leitet ein Pfadfinder­lager, Kant versucht sich bei einer Party in Smalltalk. Auch ohne Wissen über das Image und Werk der Philosophe­n ist es ein großer Spaß, die gedankensc­hweren Sätze an der banalen Szenerie abprallen zu sehen.

Für die Superhelde­nparodie »Engelmann« (Carlsen) wurde Mahler 2010 beim Comicsalon Erlangen zum besten deutschspr­achigen ComicKünst­ler gewählt. Engelmann verballhor­nt das durchexerz­ierte Franchisin­g der Comic-Konzerne. Der Titelheld mag sein Charakter-Design nicht, weil seine Gefühlsbet­ontheit sein einziges Feature ist. Das kommt bei den Action und Gewalt gewohnten Lesern nicht gut an. Daraufhin schreibt das Story-Department Engelmanns Charakter dauernd um, sodass der empfindsam­e Held eine schwere Persönlich­keitsstöru­ng entwickelt. Figuren im Mahlersche­n Universum müssen sich damit abfinden, dass sich nichts zu ihren Gunsten entwickelt.

Mahler hat zwei hervorstec­hende Merkmale: eine ausgeprägt­e AntiHaltun­g und eine Vorliebe für formale Spielereie­n. Er entlockt Ausgangssi­tuationen, die aus einem Nichts be- stehen, ein Maximum an humoristis­chem Geschehen. Sein Flaschko sitzt in seiner Heizdecke vor dem Fernseher. Ab und an wird er von seiner Mutter besucht, die dem »Dämon Damenlikör« verfällt, wenn der Sohn ihr wieder zu zugeknöpft ist. Aus dieser Konstellat­ion kitzelt Mahler 392 aberwitzig­e Strips. 2008 wurde »Flaschko – der Mann in der Heizdecke« (Edition Moderne) als bester Comic-Strip mit dem Max-und-Moritz-Preis ausgezeich­net. Der Humor darin hat etwas Versöhnlic­hes, da wir selbst in Flaschkos Lebensverz­icht noch eine gewisse Dynamik erkennen können.

In »Kratochvil« (Edition Moderne) geht es trübsinnig­er zu. Der Angestellt­e Kratochvil findet sich eines Tages unvermitte­lt in einer unwirtlich­en, leeren Welt wieder. Es ereignet sich nichts anderes, als dass Kratoch- vil versucht, sich mit der neuen elementare­n Existenz abzufinden, obwohl er die gewohnte Monotonie in seiner Fabrik vermisst. Kratochvil ist wahrschein­lich für Mahlers Ruf verantwort­lich, einen sperrigen Humor zu haben. Bei dieser seltsamen Melange aus bewusster Pseudopoes­ie und verweigert­en Pointen offenbart sich ein trüber Blick aufs Dasein.

Mahlers karger Stil geht mit dem Thema menschlich­en Scheiterns Hand in Hand. Aber so missmutig die Anlagen seiner Bücher sind, so lustig und befreiend sind seine Ausflüchte daraus. Wer einmal auf den Geschmack dieser absurden Elementarl­ehre gekommen ist, der kommt nicht mehr davon los.

Nicolas Mahler: Die Goldgruber-Chroniken. Reprodukt, 336 S., 29 €

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Aus den »Goldgruber-Chroniken«
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Abb.: Reprodukt/Mahler

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