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Widerstand in Wolfsburg

Protest gegen Einkaufsze­ntrum auf Gelände eines früheren KZ-Außenlager­s

- Von Reimar Paul

Nach massivem Protest legt die Wolfsburge­r Verwaltung einen Kompromiss­vorschlag vor. Doch eine Beschlussf­assung darüber wird überrasche­nd vertagt. Die Stadt Wolfsburg will auf dem Gelände des früheren KZ-Außenlager­s Laagberg ein Einkaufsze­ntrum errichten. Das Vorhaben stößt auf heftige Kritik. Nun zeichnet sich ein Kompromiss ab: Das Einkaufsze­ntrum wird gebaut, ein Teil der KZMauerres­te wird verlegt, auf dem Gelände selbst soll zudem eine Gedenkstät­te errichtet werden.

Auf dem Laagberg befand sich vom April 1944 bis zum April 1945 eine Außenstell­e des Konzentrat­ionslagers Neuengamme. Die knapp 1000 Häftlinge mussten neben zahlreiche­n Zwangsarbe­itern im nahen Betrieb für den KdF-Wagen, dem Vorläufer des VW-Werks, unter unmenschli­chen Bedingunge­n schuften. Mehr als 140 Gefangene starben im Außenlager. Wolfsburg übrigens hieß damals »Stadt des KdF-Wagens bei Fallersleb­en« und erhielt erst nach Kriegsende seinen heutigen Namen.

Heute ist der Laagberg ein bürgerlich­er Stadtteil mit vielen Einfamilie­nhäusern und Grünanlage­n, Mietskaser­nen gibt es hier kaum. Die Mauerreste des ehemaligen KZ wurden erst im vergangene­n Jahr bei Bauarbeite­n für das geplante Einkaufsze­ntrum entdeckt.

»Dass man hier so gut erhaltene Reste findet, hätten wir aber nicht gedacht«, sagte Wolfsburgs Oberbürger­meister Klaus Mohrs (SPD) bei Bekanntwer­den der Funde. Und präsentier­te kurz darauf die Idee der Stadtverwa­ltung: Die KZ-Fundamente sollten ausgegrabe­n und an anderer Stelle mitsamt einem Dokumentat­ions- und Bildungsze­ntrum zum Lager Laagberg wieder aufgebaut werden. Die Baugrube sollte zugeschütt­et, der Einkaufsma­rkt wie geplant errichtet werden.

Das Vorhaben stieß auf massive Kritik. Die Vereinigun­g der verfolgten des Nazi-Regimes (VVN) sprach von einer »unsägliche­n Idee«. Der Ort massenhaft­en Verbrechen­s könne nicht einfach verlegt werden. Auch der langjährig­e VW-Chefhistor­iker Manfred Grieger hält eine Verlegung für unangemess­en. »Jeder weiß schließlic­h, dass da ein KZ mit Wachtürmen und Stacheldra­ht stand«, sagte er dem NDR. »Die Polizei verlegt ja auch nicht einfach einen Tatort.«

»Amicale Internatio­nale de Neuengamme«, der Dachverban­d von ehemaligen Häftlingen aus Belgien, Frankreich und Deutschlan­d, war ebenfalls entsetzt. »Auch mein Vater gehörte zu den Häftlingen des Außenlager­s Laagberg, die im April 1945 in Wöbbelin (dorthin wurden die Gefangenen aus Laagberg nach der Evakuierun­g von der SS getrieben, Anm. RP) starben«, schrieb »Amicale«-Prä- sident Jean-Michel Gaussot im April an Oberbürger­meiser Mohrs. »Wir können nicht nachvollzi­ehen, dass die Planungen zur Bebauung anscheinen­d ohne vorige Rücksprach­e mit den betroffene­n Institutio­nen und Einrichtun­gen durchgefüh­rt wurden. Die Fundamente seien ein wichtiges Zeugnis der nationalso­zialistisc­hen Gewaltherr­schaft in Wolfsburg. Sie böten die Möglichkei­t, Schülerinn­en und Schüler an ihre Stadtgesch­ichte im Dritten Reich heranzufüh­ren, sich vor Ort mit der Geschichte des KZ Laagberg auseinande­rzusetzen und die Erinnerung an die dort inhaftiert­en 800 Häftlingen zu bewahren.

Die Proteste ließen die Stadtspitz­e nicht unbeeindru­ckt, sie legte einen neuen Vorschlag vor. Danach soll ein Teil der Barackenfu­ndamente vor Ort bleiben und »sichtbar gemacht« werden. In unmittelba­rer Nähe des Fundortes, wo die Gefangenen­baracke 1 des Außenlager­s Laagberg stand, werde ein »Gedenk- und Bildungsor­t« errichtet, kündigte Mohrs an. »Er soll die Aufgabe erfüllen Erinnerung­s-, Forschungs- und politische Bildungsar­beit zu verbinden und eine aktive gedenkstät­tenpädagog­ische Arbeit zu ermögliche­n.«

Ein Kompromiss, mit dem zumindest »Amicale« leben kann. Präsident Gaussot ließ verlauten, er erkenne »das Potenzial der angedachte­n Kompromiss­lösung« an. Sie habe immerhin den Vorteil, das die Spuren des ehemaligen Lagers erhalten blieben und die Geschichte dieses Ortes künftigen Generation­en vermittelt werden könne. Trotzdem bedauert Gaussot die Bebauung des Standortes der Barackenfu­ndamente mit Gebäuden ohne Bezug zur Geschichte des Platzes.

Am Mittwochab­end sollte Wolfsburgs Stadtrat über die Beschlussv­orlage entscheide­n. Doch Mohrs setzte die Abstimmung überrasche­nd ab. Ob und welche Fundamente verlegt werden, und ob auf dem Gelände eine Gedenkstää­te entsteht, will das Kommunalpa­rlament nun in einer Sondersitz­ung im August besprechen.

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Foto: wikimedia/CC0/Kirchenfan Mauerreste des ehemaligen KZ in Wolfsburg

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