nd.DerTag

Höchstprei­se für neue Mittelchen

Krankenkas­se fordert zusätzlich­e Nutzenbewe­rtung wenige Jahre nach Zulassung

- Von Ulrike Henning

Dass die Pharmahers­teller in Deutschlan­d für neue Medikament­e besonders hohe Preise verlangen, ist bekannt. Ein Bericht wirft nun einen Blick speziell auf Onkologika. Die Preise neuer Krebsmedik­amente steigen schon seit längerem in einem Verhältnis, das nichts mit ihrem Nutzen zu tun hat. Die neueste Untersuchu­ng zu diesem Thema wurde am Donnerstag in Berlin von der Krankenkas­se Barmer GEK vorgelegt. Deren Arzneimitt­elreport befasst sich mit den Folgen dieser Kostenexpl­osion und zeigt an einigen Punkten, wie mögliche Innovation­en für die Patienten sicher und nützlich sowie darüber hinaus für Versichert­e und Kassen bezahlbar gemacht werden könnten.

Von 2011 bis 2015 sind demnach die Kosten der Barmer für onkologisc­he Arzneimitt­el allein in der ambulanten Versorgung um 41 Prozent gestiegen. Die Steigerung lag hier höher als bei allen anderen Arzneimitt­eln, Rezepturen abgezogen; hierbei wuchsen die Kosten »nur« um 20 Prozent. Der hohe Anstieg bei den Onkologika hat nichts damit zu tun, dass deutlich mehr Patienten behandelt werden müssten – deren Anzahl stieg lediglich um 2,4 Prozent. Ins Gewicht fielen vor allem die höheren Hersteller­preise. Hier schlagen vor allem die Kosten für sogenannte neue Onkologika zu Buche.

Die Behandlung mit ihnen ist im Schnitt drei Mal so teuer wie bei herkömmlic­hen Chemothera­pien. Letztere kosteten schon einige Tausend Euro. Für die neue Generation liegt sie regelmäßig im Bereich von 100 000 Euro pro Patient und Jahr. Verschärfe­nd kommt hinzu, dass es in der Fachwelt den Trend gibt, die Medikament­e zu kombiniere­n, wie Daniel Grandt erläuterte. Der Internist ist Mitglied im Vorstand der Arzneimitt­elkommissi­on der deutschen Ärzteschaf­t. Demnach bringen die neuen Onkologika für die Patienten zwar ein »längeres progressio­nsfreies Überleben«, aber letztlich keine erhebliche Besserung oder gar Heilung. Die gewonnene Lebensdaue­r liegt im Schnitt bei wenigen Monaten.

Mit den Kosten dafür ist zum Beispiel die Barmer GEK konfrontie­rt, wie Vorstand Christoph Straub erläutert: »Wir wollen Innovation­en kaufen, wir müssen sie aber auch bezahlen können.« Langsam erreichten die Preiszuwäc­hse bei den neuen Krebsmedik­amenten aber eine Dimension, die sich den Ausgaben für die neue Generation von Hepatitis-CMitteln nähere.

Der Anteil von Onkologika an neu zugelassen­en Wirkstoffe­n steigt ebenfalls. Jedoch gibt es offenbar einige Möglichkei­ten, den Kostendruc­k zumindest teilweise zu senken. Im aktuellen Arzneimitt­elreport wurden dafür die Preise von 31 neuen Krebsmedik­amenten in 16 europäisch­en Ländern untersucht, außerdem in Australien und Neuseeland. Demnach liegt der deutsche Preis bei 90 Prozent der Mittel über dem Durchschni­tt. Bei acht Mitteln werden sogar die Höchstprei­se erzielt. Mit der Wirtschaft­skraft der nationalen Märkte hat das weniger zu tun, denn in Großbritan­nien liegen 83 Prozent der Preise unter dem Durchschni­tt, in Frankreich 81 Prozent.

Für die Preisfestl­egung bei neuen Medikament­en ist in Deutschlan­d seit 2011 eine frühe Nutzenbewe­rtung nötig. Krankenkas­senvorstan­d Straub hält für die hochpreisi­gen Mittel aber zusätzlich eine spätere Kosten-Nutzen-Bewertung für sinnvoll, »vielleicht nach vier oder fünf Jahren«. Gerade bei den sogenannte­n Orphan Drugs für seltene Erkrankung­en kommt es aus seiner Sicht zu einer »kritischen Entwicklun­g« in Bezug auf die Evidenz. Um in den Genuss vereinfach­ter Zulassungs­bedingunge­n zu kommen, bildet die Industrie immer kleinere Patienteng­ruppen. Entspreche­nd sind doppelblin­de randomisie­rte Studien, bei denen die Teilnehmer zufällig ausgewählt werden und weder Versuchsle­iter noch Studientei­lnehmer wissen, wer welcher Gruppe angehört, nicht möglich, und schlecht abgesicher­te Präparate kommen auf den Markt. Dem wäre nach Straub zu begegnen, wenn die Orphan Drugs nur an spezialisi­erten Zentren eingesetzt werden dürften und alle beteiligte­n Patienten zwingend in Studien einbezogen würden.

Der Bundesverb­and der Pharmazeut­ischen Industrie sieht das natürlich anders. Er verwies wieder einmal auf die jahrelange Forschungs­arbeit der Unternehme­n und deren hohe Investitio­nskosten. Das Interesse der Branche indes wächst weiter: Von den rund 8000 bekannten seltenen Erkrankung­en, so der Verband, sei bislang nur ein Prozent medikament­ös behandelba­r.

 ?? Foto: imago/Medicimage ??
Foto: imago/Medicimage

Newspapers in German

Newspapers from Germany