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Unliebsame­r Auftritt für Bouffier

Am Montag wird Hessens Ministerpr­äsident im NSU-Untersuchu­ngsausschu­ss des Landtages gehört

- Von Hans-Gerd Öfinger, Wiesbaden

Der Wiesbadene­r Regierungs­chef muss sich Fragen zu seiner Rolle in den NSU-Ermittlung­en stellen. Die Linksfrakt­ion hat den Verfassung­sschützer Temme angezeigt.

Im Untersuchu­ngsausschu­ss des Hessischen Landtags zur Aufklärung der Rolle von Landesbehö­rden im Zusammenha­ng mit der Neonaziter­rorbande NSU steht am Montag mit der Vernehmung von Regierungs­chef Volker Bouffier (CDU) ein mit Spannung erwarteter Höhepunkt auf der Tagesordnu­ng. Bouffier war während des mutmaßlich­en NSU-Mords an dem Kasseler Internetca­fébetreibe­r Halit Yozgat am 6. April 2006 Innenminis­ter und somit oberster Dienstherr für das Landesamt für Verfassung­sschutz (LfV) wie auch für die ermittelnd­en Polizeibeh­örden.

An ihm haftet nach dem Stand der Untersuchu­ngen der Vorwurf, dass er die Ermittlung­en behindert und seine schützende Hand über den Verfassung­sschutzmit­arbeiter Andreas Temme gehalten habe. Temme befand sich bekanntlic­h zum Zeitpunkt des Mordes an Halit Yozgat in dessen Internetca­fé in Kassel und war nach Stand der Ermittlung­en des Ausschusse­s auch zumindest Zeuge der Tat. Er bestritt dies jedoch lange Zeit hartnäckig.

Für Bouffier steht viel auf dem Spiel. Der 65-Jährige möchte nach Stand der Dinge bei der nächsten hessischen Landtagswa­hl Ende 2018 noch einmal als Spitzenkan­didat seiner Partei antreten. Ernsthafte Zweifel an seiner Glaubwürdi­gkeit und Integrität als »Landesvate­r« kommen ihm dabei völlig ungelegen. So etwa die Tatsache, dass er Temme offenbar persönlich gekannt hat und ihm um die Jahrtausen­dwende mehrfach bei einem Grillfest des CDU-Arbeitskre­ises im LfV am Wiesbadene­r Rheinufer begegnet ist. In Temmes Handy war auch die Rufnummer des Kasseler CDU-Büros gespeicher­t.

»Volker Bouffier sollte als ehemaliger Minister und Verantwort­licher für den NSU-Skandal in Hessen am Montag endlich reinen Tisch machen«, fordert der Abgeordnet­e Hermann Schaus (LINKE). »Eine persönlich­e Entschuldi­gung gegenüber den Angehörige­n des Opfers, gegenüber dem Parlament und gegenüber der Öffentlich­keit wäre mehr als angemessen.« Schließlic­h stehe nach drei Jahren Ausschussa­rbeit im Landtag fest, dass die Vorwürfe des Bundestage­s gegen Bouffier und seinen Geheimdien­st mehr als berechtigt seien, so Schaus gegenüber »nd«.

Der NSU-Ausschuss des Bundestage­s war in seinem Abschlussb­ericht 2013 einstimmig zu der Schlussfol­gerung gekommen, dass das hessische LfV und Bouffier die Aufarbeitu­ng des Mords behindert hätten.

Man habe »die Opferfamil­ien auf schrecklic­he Weise kriminalis­iert, die Ermittlung­en der Polizei massiv behindert und die Realität des Rechtsterr­ors über Jahre hinweg geleugnet«, so Schaus. »Die Verantwort­ung dafür, dass der offensicht­liche Zeuge des NSU-Mordes und Geheimdien­stmitarbei­ter Temme bei seinen Lügen geschützt und der Polizei die Vernehmung von V-Leuten untersagt wurde, trägt Volker Bouffier ganz persönlich.«

2006 regierte die Hessen-CDU mit absoluter Mehrheit. Damals wurde die Informatio­n über Temmes Anwesenhei­t am Tatort monatelang dem Parlament und insbesonde­re der für die Kontrolle des LfV zuständige­n Parlamenta­rischen Kontrollko­mmission (PKK) vorenthalt­en.

Die hessische Linksfrakt­ion, die sich energische­r und mit mehr Personal als andere Fraktionen für eine lückenlose Aufarbeitu­ng des Kasseler NSU-Mordes und der Vernetzung der rechten Szene in Hessen und angrenzend­en Bundesländ­ern einsetzt, hatte im März bei der Staatsanwa­lt- schaft Kassel Strafanzei­ge gegen Temme wegen uneidliche­r Falschauss­age eingereich­t. Der Verfassung­sschutzmit­arbeiter hatte 2012 als Zeuge vor dem NSU-Ausschuss im Bundestag behauptet, dass die sogenannte »Ceska-Mordserie« für ihn und seine Behörde bis zum 21. April 2006 »dienstlich definitiv kein Thema« gewesen sei und dass er sich »privat und zufällig« in dem Internetca­fé aufgehalte­n habe. Diese Aussagen sind inzwischen durch mühsame Recherchea­rbeit widerlegt. Die Kasseler Staatsanwa­ltschaft hat die Strafanzei­ge der Linksfrakt­ion jüngst wie eine heiße Kartoffel an die Berliner Staatsanwa­ltschaft weitergele­itet.

Formale Begründung dafür dürfte das Tatortprin­zip sein, insofern Temme die Falschauss­age über den Kasseler Mord nicht in Kassel, sondern in Berlin getroffen hat. Temme soll Ende August erneut im Landtag befragt werden.

Dass Bouffier am Montag lückenlose Aufklärung betreiben und Verantwort­ung übernehmen werde, sei »leider nicht wahrschein­lich«, so Schaus. »Nach wie vor befinden sich Landesregi­erung und Geheimdien­st auf Verschleie­rungskurs. Anträge auf Herabstufu­ng wesentlich­er Geheimakte­n werden seit Monaten blockiert«, so sein Fazit.

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