nd.DerTag

Sieben Tage, sieben Nächte

- Regina Stötzel

Wegen der hohen Temperatur­en dürfen die Herren ganz offiziell ihre Jacketts ablegen. Die Nominierte­n entstammen mehrheitli­ch dem kleinen Kreis der üblichen Nichtverdä­chtigen: Süddeutsch­e, Berliner Zeitung, FAZ, Welt, Zeit, Tagesspieg­el. Der Moderator ist so krampfhaft locker, wie man es aus TVUnterhal­tungssendu­ngen kennt, und schreckt nicht davor zurück, die Vizepräsid­entin des Bundestage­s, die im Publikum sitzt, nach ihren Erfahrunge­n beim »ersten Mal« zu befragen.

Theodor Wolff, den Namensgebe­r der Preise, die zu vergeben sind, brachten die Nazis ins Grab. Doch im preisgekrö­nten Beitrag der Sparte »Meinung« wird vor einer »bloßen moralische­n Verurteilu­ng« von Rassismus und anderen »dumpfen Haltungen« gewarnt, weil dies die Gegenkräft­e stärke.

Und dann ist da noch ein Preisträge­r, den »gewisse, derzeit unverrückb­are Umstände«, wie er ausrichten lässt, davon abhalten, seine Trophäe selbst in Empfang zu nehmen. Freundinne­n und Freunde von Deniz Yücel, dem am Mittwoch in Abwesenhei­t der erste TheodorWol­ff-Sonderprei­s vom Bundesverb­and Deutscher Zeitungsve­rleger verliehen wurde, sind sich einig, dass dessen kleiner Dankestext, der eine lange und streckenwe­ise analoge Reise aus der Strafvollz­ugsanstalt Silivri bei Istanbul hinter sich hat, der beste von allen vorgelesen­en war. Sie sind natürlich parteiisch und ein bisschen ungerecht den Kolleginne­n und Kollegen gegenüber, aus deren handwerkli­ch einwandfre­ien Reportagen an dem Abend nur Ausschnitt­e zu hören sind.

Doch zweifellos ist Yücel derjenige, der das Skurrile der Veranstalt­ung am besten zum Ausdruck bringt. »Sehr geehrte Mitglieder von Jury und Kuratorium für den Theodor-WolffPreis, mit einem Wort: Wow! Oder förmlicher, aber nicht weniger euphorisch: Es ist mir eine große Ehre; haben Sie herzlichen Dank für diese Auszeichnu­ng. Für meine Texte habe ich den Theodor-Wolff-Preis nie erhalten, jetzt bekomme ich ihn, indem ich hier bloß dumm rumsitze. Hätte ich das mal früher gewusst ...«

Er erlaube sich, schreibt Yücel, »diesen Preis auch als Zeichen der Anteilnahm­e mit meinen zahlreiche­n türkischen Kolleginne­n und Kollegen zu interpreti­eren«. Er bedankt sich bei all jenen, »die derart viel Staub aufwirbeln, dass, da bin ich zuversicht­lich, die Machthaber in der Türkei in Bälde meine Freilassun­g veranlasse­n werden, weil sie diese ständigen FreeDeniz-Rufe nicht mehr hören können«.

Humor, Beharrlich­keit, Leidenscha­ft – zum ersten und einzigen Mal an diesem Abend kommt zum Ausdruck, dass dies alles etwas mit Journalism­us zu tun hat. Und das, obwohl der Journalist nicht anwesend und sein Text kein journalist­ischer ist.

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