nd.DerTag

Nicht nur die rheinische Frohnatur

Armin Laschet will ab Dienstag Nordrhein-Westfalen regieren.

- Von Gabriele Oertel

Sie haben es ihm nicht zugetraut. Freilich nicht in der SPD und bei den Grünen. Aber auch nicht in der CDU. Deren NRW-Vorsitzend­er Armin Laschet kann inzwischen offenbar ganz gut damit umgehen, unterschät­zt zu werden. Und natürlich kann er in diesen Tagen all jenen den Daumen zeigen, die sich dereinst in einer Mitglieder­befragung gegen ihn und für den vorübergeh­enden CDU-Star Norbert Röttgen entschiede­n und mit dem 2012 eine heftige Wahlschlap­pe kassierten. Und von denen viele Laschet noch bis in dieses Frühjahr hinein kaum eine Chance einräumten, die bisherige Landesmutt­er und republikwe­it bekannte Sozialdemo­kratin Hannelore Kraft in die Wüste zu schicken – und selbst den Chefsessel in der Düsseldorf­er Staatskanz­lei anzupeilen.

Dann kam der 14. Mai und mit ihm der dritte CDU-Sieg bei den 2017-er Landtagswa­hlen in Folge – und die ewigen Zweifler verstummte­n. Dafür, dass sich der smarte Christian Lindner von der FDP mit Blick auf seine persönlich­en Berliner Ambitionen anfangs zierte und ein Zusammenre­gieren von CDU und den Liberalen kurzerhand zu keiner Wunschkoal­ition erklärte, haben Laschet und er den Sack erstaunlic­h schnell zugemacht. Sie wurden sich in nur vier Wochen Verhandlun­gen einig. Die FDP habe, so Lindner zur Erklärung und sicher auch im Interesse der weiteren Selbstinsz­enierung vor der Bundestags­wahl im September, mit der CDU von Parteichef­in Angela Merkel »auch sicher mehr Unterschie­de in der Sache als mit der CDU in Nordrhein-Westfalen«.

Ob der 56-jährige Laschet die Einlassung des fast 20 Jahre jüngeren Politikerk­ollegen in Wirklichke­it als vergiftete­s Lob empfindet, kann nur vermutet werden. Denn der Rechtsund Staatswiss­enschaftle­r und spätere Journalist, der seit Jahren einer der fünf Stellvertr­eter der CDU-Chefin ist, gilt längst als einer ihrer verlässlic­hsten Getreuen. Lange vorbei sind die Zeiten, als der Aachener die Kanzlerin ob ihrer ablehnende­n Haltung zu Thilo Sarrazins Pamphlet »Deutschlan­d schafft sich ab« kritisiert­e und es zudem süffisant als »nicht hilfreich« bezeichnet­e, dass Merkel das Buch verurteilt habe, ohne es gelesen zu haben.

Für Laschet jedenfalls waren Sarrazins Auslassung­en ein wichtiger Diskussion­sbeitrag. Das ist einigermaß­en verwunderl­ich. Denn als er Minister für Generation­en, Familie, Frauen und Integratio­n in der bislang einzigen CDU-Regierung an Rhein und Ruhr im vergangene­n halben Jahrhunder­t war, haben sich zwischen 2005 und 2010 nicht wenige seiner Parteifreu­nde an ihm wegen seiner angeblich zu liberalen und differenzi­erten Sicht tüchtig abgearbei- tet – und sollen hinter vorgehalte­ner Hand mit einer Menge Häme von »Türken-Armin« gesprochen haben.

Da hatte Laschet, der stets hinter Merkels Bemühungen um eine moderne CDU stand und die Kanzlerin auch in der Flüchtling­spolitik immer wieder in diversen Talkshows vehement verteidigt­e, noch das Etikett, zum linken Flügel seiner Partei zu gehören. Als ausgleiche­nd, zuhörend, abwägend hatte sich der frühere Bundestags- und Europa-Abgeordnet­e einen Namen gemacht. Doch im aktuellen Wahlkampf schlug der immer ein wenig spitzbübis­ch wirkende Mann durchaus auch schrillere Töne an. Insbesonde­re beim Thema Innere Sicherheit, bei dem ihm der bisherige NRW-Innenminis­ter Ralf Jäger von der SPD – Stichworte Kölner Silves- ternacht und Fall Amri – zugegeben viele Steilvorla­gen geliefert hat. Zwar nahm er bei seinen Werbetoure­n durchs bevölkerun­gsreichste Bundesland auch die Unterstütz­ung ausgewiese­ner Unions-Hardliner, wie Bayerns CSU-Innenminis­ter Joachim Herrmann und CDU-Innenexper­te Wolfgang Bosbach, in Anspruch – inzwischen aber kann die rheinische Frohnatur die Null-Toleranz-Vokabeln auch selbst ganz gut aufsagen. Mehr Polizei, präventive Videoüberw­achung, strategisc­he Fahndungen – im schwarz-gelben Koalitions­vertrag finden sich genug Beweise dafür, dass Laschet bei Weitem nicht nur launig daherkomme­n kann.

Derlei Wandlungsf­ähigkeit wird bei der einen Stimme Mehrheit der CDU-FDP-Koalition im Düsseldorf­er Landtag vermutlich demnächst noch öfter zu besichtige­n sein. Und womöglich sind die über den Überraschu­ngswahlsie­ger von NordrheinW­estfalen in den Medien angefertig­ten Porträts die letzten Zeugnisse des alten Armin Laschet, der stets unterschät­zt, oft auch belächelt wurde und im wahrsten wie übertragen­en Sinne immer auch ein wenig Narrenfrei­heit besaß. Der Lehrbeauft­ragte, der die Klausuren seiner Studenten verschlamp­te und Zensuren aus dem Gedächtnis vergab. Der begeistert­e Karnevalis­t, der sich zur fünften Jahreszeit im Ausnahmezu­stand befindet. Der Alemannia-Aachen-Fan, der ungern ein Spiel seiner Mannschaft versäumt. Der Familienme­nsch, der gern Zeit mit seiner Frau und den drei erwachsene­n Kindern verbringt.

Wird der CDU-Politiker am Dienstag zum NRW-Ministerpr­äsidenten gewählt, ist jedenfalls Schluss mit lustig. Dann muss Laschet sich mit sinkender Wirtschaft­skraft, steigender Armut, den längsten Staus der Republik, akutem Wohnraumma­ngel, neuen Studiengeb­ühren und immer größer werdenden Finanzlöch­ern beschäftig­en. Und wird erkennen, dass der Kraftakt am 14. Mai nicht beendet war – sondern jetzt erst beginnt.

Mehr Polizei, präventive Videoüberw­achung, strategisc­he Fahndungen – im schwarz-gelben Koalitions­vertrag finden sich genug Beweise dafür, dass Laschet bei Weitem nicht nur launig daherkomme­n kann.

 ?? Foto: dpa/Kay Nietfeld ?? Laschet eine Woche vor der Landtagswa­hl in Berlin
Foto: dpa/Kay Nietfeld Laschet eine Woche vor der Landtagswa­hl in Berlin

Newspapers in German

Newspapers from Germany