Aus der Konservenbüchse
In Deutschland tummeln sich immer mehr Jungkonservative. Auf den Onlineseiten der »Zeit« durften sie lange ihre sonderbaren Ansichten und anderen Wirrwarr vortragen.
»Der Konservative probiert Neues aus. Er überschreitet Grenzen und öffnet sie. Er steckt sich Batterien in den Hintern, einfach aus Quatsch.« (@henscheck auf Twitter)
Wer mit 20 Jahren nicht Sozialist ist, der hat kein Herz. Wer es mit 40 Jahren noch ist, hat kein Hirn.« Dieses wahlweise Georges Clemenceau, Winston Churchill oder Dieter Nuhr zugeschriebene Zitat soll ausdrücken, dass sozialistisch denkende/fühlende/handelnde Menschen ganz schön dumm sind. Als hirnlos und also dumm möchte natürlich niemand gelten, aber wie kann man sich vor diesem Verdacht schützen? Die Verführungen des Sozialismus lauern schließlich hinter jeder Straßenecke. Rettung vor der roten Gefahr, Prävention vor der Sucht nach der »Droge S« legt eine gern bemühte Abwandlung des eingangs zitierten Satzes nahe: »Wer mit 40 nicht konservativ ist, hat kein Hirn.« Aha, konservativ sei man im Alter! Doch warum, fragt sich der auf berufliches und geistiges Fortkommen getrimmte Jungdeutsche, soll ich so lange warten? Für wohlbehirnt halte ich mich schon jetzt!
In einer Zeit, in der identitäre Schönfrauen eine große »Spiegel«Story gewidmet bekommen; wo unternehmerisch erfolgreiche AfD-Kandidatinnen in der »FAS« auf drei Seiten um Sympathie heischen dürfen; wo gefühlt täglich ein Roger Köppel in niedlicher Sprache seine bräunliche Welt(wochen)sicht qua öffentlich-rechtlichem Talkshowauftritt vorträgt: Da nimmt es nicht wunder, dass die Onlineseiten der »Zeit« unlängst unseren besten Jungkonservativen eine Plattform boten (Betonung auf »platt«, wie zu zeigen sein wird). Folgerichtig hieß die Reihe »Jung und konservativ« und rückte mehr oder weniger bekanntes Personal ins rechte Licht bzw. zerrte es daraus hervor. Der österreichische Außenlümmel Sebastian Kurz durfte ebenso wenig fehlen wie die einschlägig bekannte schirmbemützte Diana Kinnert, jene »unausstehliche Klassen- und Schul- und Schulklassensprecherin« (David Schuh) und ehemalige Büroleiterin Peter Hintzes (†).
Beispielhaft ist die Geschichte der 27-jährigen Bayerin Julia Grote, die mit 15 – na klar! – eine »Anarcho- phase« hatte, ein Jahr später aber gottlob in die Junge Union eintrat, dank großer Schwester (»beim Sommerfest gibt’s ein super Spanferkel«) und Erweckungserlebnis (»wenn dir dann das erste Mal das Handy geklaut wird, hast du eher weniger Lust auf Staat ohne Polizei«). Und sonst so? »Umweltschutz ist wichtig, aber BMW-Fahren ist für mich Ehrensache«; »Ich finde die Ehe wertvoll: In Beständigkeit zeigt sich echte Charakterstärke«; »Religionsunterricht an öffentlichen Schulen und Kirchensteuer – ich störe mich nicht daran.« Es ist wirklich alles so ekelerregend wie diese ihre Phrase klischeebeladen: »Lieber Schweinebraten vom Bauern nebenan als Chia-Samen vom Frachtschiff«.
Mit unschuldigen 16 Jahren Richtung CSU streben? Das kann noch unterboten werden! »Zum Konservativen wurde ich mit elf«, erinnert sich in einer anderen Folge Tien Tran. »Es war der 4. September 2011, Mecklenburg-Vorpommern hatte gewählt und ich schaute die 18-Uhr-Hochrechnungen in der ARD. Die Wahl stellte mit knapp 50 Prozent Wahlbeteiligung einen damals absoluten Negativrekord. Die NPD zog wieder in den Landtag ein. [Da] wusste ich, dass ich mich politisch engagieren wollte.« Nämlich wie? Indem er sechs Jahre danach im Nürnberger Stadtvorstand der Jungen Union sitzt. »Meine Geschichte, also die von einem kleinen Jungen mit Migrationshintergrund« – das wird ja immer verrückter! – , »der [...] in eine Partei eintritt, weil ihn der Glaube an Demokratie und konservative Ideen mehr gepackt hat als der Traum von der Champions League, könnte auch die Geschichte eines anderen jungen Menschen sein.« Genau: Hitler! Okay, das war ungerecht. Freuen wir uns doch, wenn kindlichem Enthusiasmus freier Lauf gelassen wird! »Es mag naiv klingen, aber jeder Jugendliche, ja wirklich jeder, der lieber als Rapper die Charts stürmen will oder im nächsten YouTube-Schminktutorial zu sehen ist, könnte eigentlich auch der Bundesminister von morgen sein.« (Kulturpessimistischer Einschub zum Auflockern: Wieso »könnte«? Wird!)
»Erst jetzt, da ich zum Studium nach Passau gezogen bin, merke ich, dass ich wohl selbst ein Spießer bin, und das mit gerade mal 19 Jahren«, bekennt ein ehemaliger Randberliner in dem Beitrag »Wo die Welt noch in Ordnung ist«. Wo die Welt nicht in Ordnung ist, sagt uns der Autor Simon Kalbach: in der Bundeshauptstadt nämlich, in welcher er, 16-jährig, sich einst aus Neugier zu einem Meeting der Grünen Jugend auf- machte: »Auf dem Weg vom S-Bahnhof zum Treffpunkt lief ich mindestens drei Schwarzen über den Weg, die mir Drogen andrehen wollten, ein Obdachloser pinkelte an einen Zaun, und überall auf den Bürgersteigen lag Müll. Angekommen bei der Grünen Jugend, ergab sich eine Diskussion über die reichen weißen Männer und die Legalisierung von Cannabis, gefolgt von der Idee, beim Imbiss um die Ecke vegan essen zu gehen. Während der Gespräche wurde natürlich auch fleißig gegendert.« Um ein Haar wäre der Bub vermutlich noch mit Homosexualität und Satanismus angesteckt worden! In Passau hingegen paradiesische Zustände: »Die Kriminalität und die Arbeitslosigkeit sind in Bayern so niedrig wie sonst nirgends im Bundesgebiet.« (Sofern man Bestechlichkeit, Vorteilnahme und andere Gaudi nicht unter Kriminalität subsumiert.) »Hat Bayern einfach Glück oder liegt das womöglich auch an 70 Jahren konservativer und heimatverbundener Politik im Freistaat?« Mensch, Simon, die Wahrheit ist viel simpler: Der Herrgott liebt Bayern halt am dollsten!
Die Serie »Jung und konservativ« fand dann Kulmination und vorläufiges Ende in einem Kommentar von jenem Bengel mit dem geradezu sprechenden Namen Janosch Siepen, der bereits 2015 die herrlich freche Provo-Glosse »Ich halte mich für klüger als meine Eltern« rausgehauen hatte (»Wenn zu Hause gerade mal wieder ›Das Perfekte Dinner‹ [...] läuft, dann schreite ich meistens ein und halte ungefragt einen Vortrag über den Niedergang des Fernsehens und unserer Gesellschaft im Allgemeinen«); jetzt legte er nach mit dem Aufsatz »Warum die besten Studenten konservativ sind«. Wie die Bologna-Fresse sich diese These herleitet, ist in seiner verbogenen Paralogik schon wieder drollig. »1. Studenten wollen bewahren. Genau wie der Konservative will auch der Student immer irgendetwas bewahren: Contenance in der Prüfungsphase, genug vom Bafög bis zum Monatsende und ein gutes Verhältnis zu den Nachbarn bis zur nächsten WGParty.« Warum nicht gleich: »Gute Studenten sind reaktionär. Sie reagieren – auf Sonnenlicht, Kleinanzeigen und Fangfragen der Dozentin.« Noch einleuchtender ist Punkt 3: »Studenten müssen mit sich selbst unzufrieden sein: (…) Permanente Selbstbestätigung führt zu Denkfaulheit. Ein guter Student muss mit sich und seinen Meinungen unzufrieden sein, so wie der Konservative. Er glaubt nicht, die Welt verstanden zu haben.« Wie ja auch sagenwirmal die CSU-Landesgruppe ein Born der ständigen Selbsthinterfragung und internen Kritik ist. Die restlichen Argumente zu le- sen, kann und sollte man sich sparen, es ist ein einziges Wirrwarr. »Der Konservative probiert Neues aus. Er überschreitet Grenzen und öffnet sie. Er steckt sich Batterien in den Hintern, einfach aus Quatsch.« (@henscheck auf Twitter)
Notabene: Die alte Tante »Zeit« wäre nicht das endgültige Konsensmedium, wenn sie nicht im Vorjahr als vorauseilende Wiederherstellung des Gesinnungsgleichgewichts eine Reihe namens »Jung und links« ins Leben gerufen hätte. Worin es freilich nicht wirklich links zuging, sondern gleichfalls augenzwinkerndböhmermanndemokratisch: Jaaa, klar hängt ein Mosebach-Poster in der Gemeinschaftsküche, doch diese Libanesenbanden, die muss man schon im Auge behalten; na sichi ist die Genossin Wagenknecht eine Kanzlerinnenalternative, aber das mit den kostspieligen Non-binary-Toiletten ist wirklich albern!
Womit beglückt uns das starke Debattenblatt aus Hamburg als nächstes? Mit einer postfeministischen Kolumne von Sophia Thomalla? Gedanken zur Zeit von ehemaligen Neocons? Hoffentlich hiermit: »Jung und doom«, ein wöchentliches Forum für irgendwie liebenswürdige Typen und Mädels, die einer Weltuntergangssekte angehören. Sie plaudern aus dem Nähkästchen, wecken Verständnis für ihre Sache, dürfen einfach mal zu Wort kommen. »Ich war früher auch Fan von Rationalität, ging zur Schule und so, aber als ich dann bei den Carpinteria-Asphaltseen in Kalifornien mehrmals richtig tief eingeatmet habe, ist mir so einiges klar geworden. Klar, wenn wir uns während der Mondfinsternis am 7. August kollektiv vergiften, dann soll es schon wertig sein und der Genuss nicht zu kurz kommen: ein mit Cyanid versetzter Smoothie aus Früchten der Region statt Industrielimo! Und wer im Raumschiff vorne sitzen darf, bestimmt allein die Fuckability statt Herkunft oder Bildung!« Das wäre immerhin unterhaltsamer als jede Zeile all der rechten Watschengesichter, die zunehmend in der Medienlandschaft den Ton angeben.