Eruptive Gegend
Die Phlegräischen Felder nahe Neapel bergen Europas einzigen Supervulkan. Der scheint vor einer Eruption stehen.
Seit Mitte der neunziger Jahre beobachten wir die Entwicklung im Vulkangebiet der Phlegräischen Felder von Satelliten aus«, erklärte Francesca Bianco, Direktorin des Osservatorio Vesuviano am Nationalen Institut für Geologie und Vulkanologie (INGV). »In den vergangenen zehn Jahren hat sich die Sohle der Caldera um etwa 25 Zentimeter gehoben.« Jüngst habe man einen Temperaturanstieg bei den Gasen, die aus den so genannten Fumerolen entweichen, messen können. »Die Gase kommen vier bis fünf Grad Celsius wärmer aus der Erde, zudem messen wir einen höheren Kohlendioxid-Anteil«, so Bianco. Die Anzeichen weisen auf eine verstärkte vulkanische Aktivität hin, Experten erwarten, dass der Supervulkan unter den Phlegräischen Feldern vor einer Eruption steht. Der italienische Zivilschutz hat daraufhin im Einzugsgebiet der Campi Flegrei die Vorwarnstufe auf »orange« gesetzt – erhöhte Aufmerksamkeit.
Dies bestätigt auch eine im Wissenschaftsjournal »Nature Communications« veröffentlichte Studie einer Forschergruppe um Christopher Kilburn vom University College London. Die wandte eine neue Methode an, wie Coautor Guiseppe De Natale gegenüber »nd« erläuterte: »Bislang sind die Untersuchungen sehr empirisch verlaufen. Man hat Daten erhoben wie die Häufigkeit von Erdbeben, das Anheben der Sohle der Caldera, die Konzentration bestimmter Gase. Aus diesen Daten wurden Schlüsse für eine mögliche Eruption des Supervulkans in den Campi Flegrei gezogen.« So etwa in den Jahren 1983/84. Damals hatte sich der Boden innerhalb eines Jahres um bis zu einem Meter angehoben. Dazu kamen mehr als 10 000 Beben bis zu einer Stärke 4. In der Folge wurde Alarm für einen bevorstehenden Ausbruch gegeben und die Bevölkerung von Pozzuoli, 40 000 Menschen, eva- kuiert. Doch der Vulkan beruhigte sich wieder. Die Menschen, die umsonst evakuiert worden waren, zeigten sich verärgert und kehrten in ihre Wohnungen zurück.
Um einen weiteren Fehlalarm zu vermeiden, mussten bessere Prognosewerkzeuge gefunden werden. »Wir gingen von einem anderen Ansatz aus, der auf einem physikalischen Prinzip beruht«, erklärt De Natale. Dabei interessierte die Forscher, wie sich die versteinerte Erdkruste oberhalb einer Magmakammer verhält. Jeder Fels reagiert unter »Stress« anders. »Stress« kann dabei der Druck des Magmas oder der sich in der Kammer entwickelnden Gase sein. Bei geringem Druck reagiert das Gestein »elastisch« und kann sich wieder in die Ausgangsform zurückbegeben. Wirkt aber dauerhaft eine größere Kraft ein, so bricht der Fels. »Wir sprechen dabei von einem kritischen Punkt«, so der INGV-Forscher. Bleibt der Druck länger auf diesem kritischen Niveau, löst jede zusätzlich einwirkende Kraft einen Bruch aus. Im Resultat platzt die gesamte Erdkruste über der Magmakammer auf und ein Ausbruch des Vulkans ist sehr wahrscheinlich. Darüber hinaus kommt dem Verhalten der Calderasohle eine besondere Bedeutung zu.
Unter den Campi Flegrei und dem Vesuv gibt es eine gemeinsame Magmakammer in etwa acht Kilometern Tiefe. In den siebziger und achtziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts konnte man ein Emporquellen des flüssigen Gesteins beobachten. Ein Teil des Magmas gelangte dabei bis in eine Höhe von drei bis vier Kilometern unter der Erdoberfläche. 1984 kam diese Bewegung zur Ruhe, das Gestein kühlte ab und erstarrte.
Seit 2005 ist ein erneutes Ansteigen des Magmas zu beobachten. Der Kraterboden hat sich wieder auf das Niveau von 1983/84 gehoben. Der Unterschied: Kilburns Team hat fest- gestellt, dass das Oberflächengestein dem Stress wohl nicht länger standhält. »Unseren Berechnungen zufolge sind wir zur Zeit an einem solchen kritischen Punkt angekommen, sodass ein baldiger Ausbruch bevorstehen könnte«, so De Natale.
Die Bezeichnung Supervulkan – die Campi Flegrei gehören zu den 20 größten – wurde von Geowissenschaftlern erst Anfang dieses Jahrhunderts aus den Medien übernommen. Wie das Wort schon nahelegt, macht die Größe der Ausbrüche den Unterschied. Der Geologische Dienst der USA (USGS) rechnet Eruptionen, bei denen mehr als 1000 Kubikkilometer Masse ausgeworfen werden, den Supervulkanen zu. Die Londoner Geologische Gesellschaft sieht wegen der globalen Auswirkungen bereits bei 300 km³ das Limit. Wegen der Gewalt früherer Eruptionen fehlt den meisten bekannten Supervulkanen die Erhebung aus Asche und Lavagestein, aus denen »normale« Vulkane bestehen. Nach der explosiven Entleerung der Magmakammer bricht die Erdkruste ein. Es entsteht die sogenannte Caldera, ein schüsselähnlicher flacher Kraterkessel.
Der Ausbruch eines Supervulkans kann weltweite klimatische Veränderungen hervorrufen. Ausgestoßene Asche kann bis zu 10 000 Kilometer in die Höhe geschleudert werden. Abgesehen von den Primärschäden in der näheren Umgebung könnte so ein »vulkanischer Winter« ausgelöst werden, bei dem sich weltweit die Temperaturen um einige Grad absenken. Der feine Staub, der sich über weite Strecken verteilt, lässt Pflanzen und Tiere sterben. Das ist zuletzt bei der Eruption des Supervulkans Toba auf Sumatra (Indonesien) vor 75 000 Jahren geschehen. Ein großes Artensterben war die Folge.
»Wir glauben nicht, dass in den Campi Flegrei eine solche Explosion bevorsteht«, meint De Natale. »Eher werden kleinere Ereignisse stattfin- den, einzelne Ausbrüche, vielleicht sogar in der Größe des Monte Nuovo.« Der 133 Meter hohe Berg bei Pozzuoli entstand beim letzten Ausbruch der Phlegräischen Felder 1538, dabei wurde der See von Averno, einst Kriegshafen der Römer, teilweise verschüttet.
»Wir Wissenschaftler vom Osservatorio Vesuviano und vom INGV stehen in ständiger Verbindung mit den örtlichen Behörden und dem Zivilschutz, um möglichst schnell Warnungen an die Bevölkerung zu geben«, versichert De Natale. Doch wie bei Erdbeben ist auch bei Vulkanen weder Zeitpunkt noch Stärke eines Ereignisses vorauszusagen.
Die Protezione Civile hat auf die aktuellen Messungen reagiert und eine neue »rote Zone« festgelegt. Zu ihr gehören sowohl Pozzuoli als auch einige Bereiche von Neapel sowie eine Reihe umliegender Gemeinden. Sollte ein Ausbruch der Campi Flegrei unmittelbar bevorstehen oder sich gar ereignen, will man die Bewohner dieser Zone in andere Landesteile evakuieren. Binnen drei Tagen soll nach den Plänen des Zivilschutzes eine völlige Räumung des betroffenen Gebiets möglich sein.
Ob diese optimistischen Pläne jedoch auch so umgesetzt werden können, bezweifeln viele Bürgerinitiativen, die auf die schlechten Erfahrungen mit den jüngsten Erdbebenserien in Umbrien und den Abruzzen hinweisen. Unruhe kommt derzeit dennoch nicht auf. Die Bewohner von Pozzuoli gehen ihren alltäglichen Beschäftigungen nach, das Leben auf dem Vulkan ist ihnen vertraut. Und nahe an den Fumerolen von Pisciarelli beobachten Camper das Geschehen. Die Tourismusbehörde von Neapel bietet neuerdings sogar Sightseeing-Touren zum Vulkangebiet an. Und auch ein deutsches Fernsehteam der Sendung »Quarks« machte in diesen Tagen Filmaufnahmen von den Campi Flegrei.