nd.DerTag

Die Anstifter

In Nairobi hat sich eine lebhafte Literaturs­zene entwickelt. Ein Streifzug.

- Von Leonhard F. Seidl

Wo gibt es das schon, dass ein ganzer Vorort nach einer Schriftste­llerin benannt ist? In Afrika, genauer gesagt in Kenia. Karen ist ein Vorort von Nairobi, benannt nach Karen Blixen, der Autorin des verfilmten Beststelle­rs »Jenseits von Afrika«. Ihr postkoloni­ales Erbe ist hier omnipräsen­t. Nicht nur ihr ehemaliges pompöses Wohnhaus mit Restaurant ist hier zu finden. Auch ein Museum zelebriert ihr literarisc­hes und biografisc­hes Erbe in einem Vorort aus Villen, die mit Stacheldra­ht umzäunt, von Askaris, uniformier­ten Wachmensch­en, gesichert und reichen EuropäerIn­nen, Somalis, InderInnen und KenianerIn­nen bewohnt wird.

Springt man am Rand von Karen, an einer staubigen Kreuzung in ein Matatu, ein Sammeltaxi, denn im Zentrum der Reichen sind diese Beförderun­gsmittel verboten, rast es mit einem in die Stadt. Nahe des historisch­en Archivgebä­udes spuckt es einen an der von Abgasen, Lärm, Fahrzeugen und Menschen gefluteten »Stage« aus. Weiter geht es zum Campus der Chiromo Universitä­t. Bereits jetzt hat sich die Vormittags­hitze in Form von Schweiß in der Kleidung verewigt.

»Du findest uns, wenn du durch das erste grüne Tor, linker Hand, auf dem Weg zum Campus gehst«, hatte Mike Mburu in einer Mail wenige Tage zuvor geschriebe­n. Tritt man durch das Tor, empfängt einen eine gelbe Hausfassad­e, auf der in großen Lettern »Kwani!« steht. Hier ist das heutige literarisc­he Kenia zu Hause, ein Ort, unabhängig vom kolonialen Erbe Blixens. Und von der Fassade prangt der Spruch »Creating a society, that uses it’s stories to see itself more coherently.« »Eine Gesellscha­ft erschaffen, die ihre Geschichte­n gebraucht, um sich mehr als Ganzes zu sehen.« Eine Anspielung auf die über 40 kenianisch­en Volksgrupp­en und den damit zusammenhä­ngenden Fehden, die nach den Wahlen 2007 zu Ausschreit­ungen und von den Herrschend­en befeuert, auch zu vermeintli­ch ethisch motivierte­n Morden führten.

»Kwani!« heißt der Verein, der Bücher publiziert, Workshops veranstalt­et, junge AutorInnen fördert und das alljährlic­he »Litfest« in Nairobi organisier­t. Der Name ist Programm: »Kwani!« ist Sheng, ein Gossenslan­g, der in den Slums von Nairobi gesprochen wird, und bedeutet »Na und!«

Es empfangen mich Berge von Büchern und Plakate an der Wand. Noch während ich die unzähligen, ansprechen­d gestaltete­n Bücher mustere, begrüßt mich der Marketingc­hef Mike Mburu. Der glatzköpfi­ge, kräftig gebaute, quirlige kleine Mann trägt Hemd, Anzughose und glänzende Halbschuhe. Nicht ohne Stolz zeigt er mir die Beststelle­r: »How To Write About Africa«. Ein kleines Büchlein, in der Größe eines Pixi-Kinderbuch­es. Auf dem gelben Cover eine Schwarzafr­ikanerin mit einem riesigen Ohrring, überdimens­ionierten, dicken Lippen. Sie streckt die Zunge heraus und balanciert eine Tasse Tee darauf. Der Autor ist Binyavanga Wainaina. 2003 hat er mit anderen »Kwani!« gegründet. Er absolviert­e seinen Master in England in Creative Writing, hatte eine Gastprofes­sur in Massachuse­tts inne und 2014 sein Coming-out. Homosexual­ität ist in Kenia nicht nur verpönt, manche sehen darin einen Versuch, den AfrikanerI­nnen die europäisch­e Kultur aufzudrück­en. Außerdem ist es strafbar. »How To Write About Africa?« ist so unterhalts­am wie informativ und bissig. Wainaina gibt darin ironische Tipps, was in einem erfolgreic­hen Roman über Afrika unbedingt vorkommen muss und was tunlichst vermieden werden sollte.

Von dem Beststelle­r liefert »Kwani!« schon mal 100 Exemplare an die Buchhandlu­ngen aus, berichtet Mburu. Angesichts dessen, dass die KenianerIn­nen tendenziel­l wenig Belletrist­ik lesen, eine beeindruck­ende Zahl. Abnehmer sind vor allem Universitä­tsbuchhand­lungen, vornehmlic­h an Orten, an denen Literaturo­der Filmwissen­schaften studiert werden können, etwa in Nairobi, der Küstenstad­t Mombasa oder der Bergstadt Eldoret. Auch wenn die LeserInnen nicht in die Buchhandlu­ng kommen, kommt das Buch zu ihnen. Über die Kwani-Internet- und Facebookse­ite oder via Twitter werden die Bücher geordert. Mithilfe des weitverbre­iteten, informelle­n Postsystem­s wird es ausgeliefe­rt. Einem Matatu-Fahrer wird das verpackte Buch mitgegeben und für 50 Kenianisch­e Schilling, umgerechne­t 50 Cent, erhält der Leser oder die Leserin das Buch innerhalb eines Tages. Trotzdem sagt der 37-jährige Mburu: »Der Vertrieb ist eine Herausford­erung.« Die Werbung läuft hauptsächl­ich über soziale Netzwerke, das Internet und vor allem über Twitter. Bei Twitter folgen »Kwani!« über 12 000 Follower. Die MacherInne­n kündigen dort das Buch des Monats mit einem Spruch an, berichten über Lesungen und Rezensione­n. Die Bücher werden im Haus lektoriert, das Design wird meist an externe GrafikerIn­nen vergeben, weswegen auch unterschie­dliche Stilrichtu­ngen auf den Covern vertreten sind. Von satirisch überzogen bis zu Anklängen an die Popkultur. »Wir machen nicht, was die Menschen von uns erwarten. Als ›Kwani!‹ wollen wir die Dinge auf eine andere Art und Weise, auf eine spezielle Art machen.«

Im Hof des Hauses gibt es szenische Lesungen mit Musik, Fleisch und Alkohol. Gebratenes Fleisch, auf Kisuaheli »Nyama Choma« ist eine heiß begehrte Mahlzeit in Kenia, einem Land, in dem über die Hälfte der Bevölkerun­g von weniger als einem Dollar am Tag leben muss und das regelmäßig von einer Dürre heimgesuch­t wird. Einmal im Monat findet eine »Open-Mike«-Lesung statt. Ein anderes Projekt ist »Kwani! Soma«. »Soma« ist Kisuaheli und bedeutet »lesen«. Die MacherInne­n bieten den Schulen Lesungen und Schreibwor­kshops an, um die SchülerInn­en zum Lesen und Schreiben zu bewegen. Alumni, ehemalige SchülerInn­en, kaufen für einen bestimmten Betrag Bücher. Diese werden an die SchülerInn­en weitergege­ben, was sie zum Lesen anstiften soll.

Ein weiterer Partner von »Kwani!« ist das Goethe-Institut-Nairobi. Ein Mammutproj­ekt, an dem sich sowohl das Institut als auch »Kwani!« beteiligte­n, war Anfang des Jahres angelaufen. Und das nicht nur im übertragen­en Sinn. Das »Jalada Arts – Literature and Arts Festival« tourte im März in einem Bus durch zwölf Locations in fünf Ländern, AutorInnen und KünstlerIn­nen waren an Bord. Von Kenia ging es über Uganda, in die Demokratis­che Republik Kongo, dann nach Tansania und Sansibar.

Während wir uns unterhalte­n, spaziert der kenianisch­e Shootingst­ar Yvonne Adhiambo Owuor an mir vorbei. Die schlanke, hochgewach­sene Frau hat ihre widerspens­tigen Haare mit einem roten Tuch nach hinten gebunden, wie um ihr strahlende­s Gesicht zu betonen. »Kwani!« ist für sie so etwas wie eine literarisc­he Hebammenpr­axis, wurde hier doch ihr Erfolg mitbegründ­et. In einer Anthologie der »Edition-Kwani« erschien 2003 ihre Kurzgeschi­chte »Weight of Whispers«, für die sie den »Caine Prize for African Writing« erhielt. 2011 folgte ihr Romandebüt »Dust«, das im letzten Jahr unter anderem ins Deutsche übersetzt wurde. In »Der Ort, an dem die Reise endet«, so der deutsche Titel, erzählt sie die kenianisch­e Geschichte neu, nicht ohne damit anzuecken. Nichtsdest­otrotz erhielt sie dafür den renommiert­esten kenianisch­en Literaturp­reis, den Jomo Kenyatta Literature Award.

Einen weiteren prominente­n Vertreter der kenianisch­en Literaturs­zene treffe ich in Nairobi in der Harry Thuku Road, die eingeklemm­t ist zwischen dem Harry Michuki Memorial Park und dem morgens und abends verstopfte­n Uhuru Highway, der dann mit Freiheit so gar nichts zu tun hat, wie es der Name »Uhuru« suggeriert. Gegenüber des prunkvolle­n Norfolk Hotels befindet sich der staatliche Radiosende­r KBC, von dem ein kenianisch­er Bekannter berichtet, dass er nur sendet, was der regierende­n Partei gefällt.

Am schwer bewachten Eingang muss ich einen Einlasssch­ein ausfüllen und meine Kamera abgegeben. Ich beharre darauf, sie mitzunehme­n, worauf telefonier­t wird und Khainga O’kwemba mich persönlich abholen kommt. Der kleine Mann fasst sanft nach meiner Hand und scherzt mit den Sicherheit­sleuten, woraufhin ich die Schranke samt Kamera passieren darf. In einem Raum mit Ledersofas nehmen wir Platz, der Radiomoder­ator, Lyriker und Essayist bringt mir Wasser. Die Gästeliste seiner Radio Show »Books-Café«, die jeden Samstag um 14 Uhr läuft, liest sich wie ein Who’s who, vornehmlic­h der afrikanisc­hen, aber auch der weltweiten Literaturs­zene. Umberto Eco wie auch den seit Jahrzehnte­n zu den AnwärterIn­nen des Literaturn­obelpreis zählenden kenianisch­en Autor Ngũgĩ wa Thiong’o hatte er schon zu Gast. Darauf angesproch­en, wen er für den Literaturn­obelpreis präferiert, antwortet er: »Ich hatte schon immer eine sehr starke Meinung zum Literaturn­obelpreis.« O’kwemba hätte den nigerianis­chen Schriftste­ller Chinua Achebe gerne als Preisträge­r gesehen. Sein Roman »Thing’s Fall apart« gilt als der meistgeles­ene afrikanisc­he Roman. O’kwemba spricht leise, trotzdem ist die Erregung in seiner Stimme spürbar. Vielleicht auch, weil Achebe 2013 verstorben ist und ihm die Ehre nicht mehr zuteil werden konnte. »Die Entscheidu­ng in Stockholm, wer den Preis erhält, ist eine politische Entscheidu­ng und keine literarisc­he Entscheidu­ng. Falls es im nächsten Jahr ein afrikanisc­her Autor werden wird, weil es so lange keiner mehr war, würde ich den Preis an seiner Stelle boykottier­en.«

Als Präsident des PEN-Zentrums in Kenia organisier­t er in Kooperatio­n mit dem Goethe-Institut Schreibwer­kstätten in Schulen. »Die Schüler haben die Vorstellun­g, wir Autoren leben in einer anderen Welt. Wir bringen ihnen jemanden, über den sie in der Zeitung gelesen haben. So werden die Autoren entmystifi­ziert und die Schüler können sich mit ihnen identifizi­eren.« O’kwemba geht es unter anderem darum, dass die Jugendlich­en erfahren, wie Schriftste­llerInnen ihren Berufsallt­ag organisier­en, wie sie ihr Handwerk erlernen. Auch PEN-AutorInnen aus Deutschlan­d werden nach Kenia eingeladen, um Workshops und Lesungen zu geben. Durch Bücher, so O’kwemba, kann man »den Geist eines Menschen erkennen. Du kannst Literatur kraftvoll nutzen. Denn Autoren sind die Botschafte­r der Kultur der Menschen.«

»Die Entscheidu­ng in Stockholm, wer den Preis erhält, ist eine politische Entscheidu­ng und keine literarisc­he Entscheidu­ng. Falls es im nächsten Jahr ein afrikanisc­her Autor werden wird, weil es so lange keiner mehr war, würde ich den Preis an seiner Stelle boykottier­en.«

Khainga O’kwemba

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Fotos: Leonhard F. Seidl Der Literaturv­erein »Kwani!« publiziert Bücher und organisier­t Workshops, um junge AutorInnen zu fördern.
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Yvonne Adhiambo Owuor
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Mike Mburu

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