Fünf Wohntürme in London geräumt
Tausende kurzfristig aus brandgefährdeten Gebäuden evakuiert / Dutzende Häuser als unsicher eingestuft
Nach der Katastrophe im Londoner Grenfell-Tower wurden in der Hauptstadt fünf Hochhäuser evakuiert – wegen Feuergefahr. Das Verständnis der Betroffenen hält sich in Grenzen.
London. Die britischen Behörden haben nach der Brandkatastrophe im Londoner Grenfell-Tower zu drastischen Maßnahmen gegriffen. In einer nächtlichen Eilaktion holte die Verwaltung des Londoner Stadtteils Camden in der Nacht zum Samstag 4000 Bewohner von fünf Hochhaustürmen aus ihren Wohnungen und brachte sie in Gemeindezentren und Hotels unter.
An den in London geräumten Gebäuden war zuvor eine ähnlich leicht entflammbare Fassadenverkleidung festgestellt worden wie am Grenfell-Tower. »Wir können kein Risiko eingehen«, begründete Georgia Gould von der Verwaltung des Londoner Stadtteils Camden die nächtliche Eva- kuierung der Wohnanlage Chalcots Estate. Die Bewohner eines der geräumten Hochhäuser konnten am Samstag wieder zurückkehren, nachdem die Feuerwehr das Gebäude für sicher erklärt hatte.
Bei dem verheerenden Brand im Grenfell-Tower waren in der Nacht zum 14. Juni mindestens 79 Menschen ums Leben gekommen. Nach Erkenntnissen der Ermittler war das Feuer durch einen defekten Kühlschrank ausgelöst worden. Die Flammen hatten sich danach rasend schnell vor allem über die Fassade ausgebreitet.
Nach der Brandkatastrophe hatte die britische Regierung eine rasche Überprüfung sämtlicher vielgeschossiger Wohnhäuser in ganz Großbritannien angeordnet. Bei den Sicherheitstests fielen bis Samstag bereits 34 Hochhäuser in 17 Orten durch.
Damit könnten Tausende weitere Briten vor der Evakuierung stehen. Bei 13 Gebäuden in Lon- don, Manchester und Portsmouth soll die Fassadenverkleidung sofort entfernt werden.
Viele Bewohner der in der Nacht zum Samstag geräumten Häuser zeigten sich wütend über die plötzliche Aufforderung zur
»Wir können kein Risiko eingehen.« Georgia Gould von der Verwaltung des Londoner Stadtteils Camden
Evakuierung und warfen der Verwaltung Panikmache vor. »Das ist total verrückt. Was hätte eine weitere Nacht schon für einen Unterschied gemacht?« fragte Melanie Tham. Der 19-jährige Ahmed Mohamed pflichtete ihr bei: »Es war ein totales Durcheinander. Wir hatten nur fünf Minuten, um unsere Sachen zu packen.« An- dere zeigten sich verständnisvoll. Es sei »beängstigend«, sagte Michelle Urquhart: »Wir haben seit zehn Jahren mit dieser Fassade gelebt.« Die Rentnerin Pippa Wordsworth kann von ihrer Wohnung im 18. Stockwerk das ausgebrannte Gerippe des GrenfellTower am Horizont sehen. »Die Verkleidung sah hübsch aus«, sagte sie. »Wir hatten ja keine Ahnung, dass sie so gefährlich war.«
Premierministerin Theresa May versprach am Samstag, die Regierung werde tun, »was notwendig ist«, um die Bewohner der geräumten Häuser unterzubringen. Oppositionsführer Jeremy Corbyn forderte vor Tausenden Besuchern des Glastonbury-Musikfestivals in Pilton (England) von May die Einberufung einer Krisensitzung. Nur so könnten Maßnahmen gegen unzureichenden Brandschutz im notwendigen Maße koordiniert werden. Es handele sich um eine »landesweite Bedrohung«.