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Prügel-Leibwächte­r nicht erwünscht

Bericht: Berlin will keine belasteten Erdogan-Sicherheit­skräfte bei G20

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Berlin. Nach den Ausschreit­ungen von Sicherheit­skräften des türkischen Präsidente­n Recep Tayyip Erdogan gegen Demonstran­ten in Washington will die Bundesregi­erung ähnliche Szenen beim G20-Gipfel verhindern. Laut »Welt am Sonntag« soll die türkische Botschaft dem Auswärtige­n Amt eine Liste mit rund 50 Personen übermittel­t haben, die Erdogan nach Hamburg begleiten sollen. Darunter seien mehrere Sicherheit­skräfte, gegen die US-Behörden nach den Geschehnis­sen in Washington Haftbefehl­e erlassen haben.

In Regierungs­kreisen hieß es laut »Welt am Sonntag«, es sei Vorsorge dafür getroffen worden, dass es in Deutschlan­d nicht zu solchen Vorfällen kommen könne. Das Bundeskrim­inalamt habe der türkischen Seite klar gemacht, dass Übergriffe von Sicherheit­skräften auf keinen Fall geduldet würden. Das Auswärtige Amt wollte sich am Sonntag nicht zu dem Bericht äußern. Auch von Außen- und Sicherheit­spolitiker­n aus dem Bundestag war zunächst keine Stellungna­hme zu erhalten.

Mit Demos, Kundgebung­en, Mahnwachen, Gerichtsve­rfahren werden derzeit die Bedingunge­n ausgehande­lt, unter denen am 7. und 8. Juli protestier­t werden kann.

Hamburg. Zu einem ordentlich­en internatio­nalen Großgipfel auf bundesrepu­blikanisch­em Boden gehören offenbar Tabubrüche in Sachen Inlandsein­satz der Bundeswehr, zumindest in Spekulatio­nsform. Ließ man vor zehn Jahren beim G8-Gipfel in Heiligenda­mm einen Bundeswehr-Jet über ein Protestcam­p fliegen, soll nun ein »Geheimplan« bestehen, während des G20-Treffens an der Elbe ein Kriegsschi­ff im Hamburger Hafen festmachen zu lassen – berichtete jüngst der »Focus«. Auch wenn das Verteidigu­ngsministe­rium dies dementiert, fügt sich die wohl aufgeblase­ne Story des Münchner Magazins in die allgemeine symbolisch­e Mobilmachu­ng im Vorfeld des Gipfels.

Auch dessen Gegner beginnen sich nun warmzulauf­en. So zogen am Samstagabe­nd mehrere Hundert Menschen unter dem Motto »GeSa to Hell« durch den Hamburger Stadtteil Harburg, um friedlich gegen die umstritten­e Gefangenen­sammelstel­le zu protestier­en, die dort während des bevorstehe­nden G20-Gipfels am 7. und 8. Juli bereitsteh­en soll.

Die Polizei war in durchaus ähnlicher Stärke angerückt. Die Behörden nannten die Stimmung »verbal aggressiv« und erläuterte­n dies auch: Es habe »lautstarke­s Skandieren der Versammlun­gsteilnehm­er gegen Polizeibea­mte« gegeben. Viele Protestier­ende kritisiert­en das massive Polizeiauf­gebot als »völlig unverhältn­ismäßig«. Es wurden Plakate mit Aufschrift­en wie »Freiheit stirbt mit Sicherheit« und »Solidaritä­t mit allen Squats« gezeigt.

Die Gefangenen­sammelstel­le soll Platz bieten für bis zu 400 Festgenomm­ene, die sehr bedrängte räumliche Verhältnis­se erwarten. Wie eine parlamenta­rische Anfrage der Linkspolit­ikerinnen Christiane Schneider und Sabine Boeddingha­us im Mai ergab, wird dabei für jede in Sammelzell­en festgehalt­ene Person mit 1,8 Quadratmet­ern kalkuliert, obwohl das Gewahrsam durchaus auch über Nacht anhalten und bis zu 48 Stun- den dauern kann. Schneider mutmaßt, die Gefangenen­sammelstel­le gehöre »zum Abschrecku­ngskonzept der Polizei«. Die Kosten für den entspreche­nden Umbau des zuletzt als Erstaufnah­mestelle für Fluchtmigr­anten genutzten ehemaligen einstigen Lebensmitt­elmarktes werden derzeit auf rund drei Millionen Euro beziffert.

Bereits am Samstagmit­tag gab es unter dem Motto »Wir sind hier« eine Demonstrat­ion für eine menschlich­ere Flüchtling­spolitik der G-20-Staaten. An der Demonstrat­ion unter dem Motto »We are here« nahmen laut Polizeiang­aben über 700 Menschen teil. Dazu aufgerufen hatten die Organisati­onen »Lampedusa in Hamburg« und »Hazara Volks- und Kulturvere­in«.

Am Freitagabe­nd trafen sich rund 200 Gipfelkrit­iker am Pferdemark­t im Stadtteil St. Pauli zu einer Schlacht mit Wasserbomb­en, um gegen die Einrichtun­g jener »blauen Zone« zu protestier­en, innerhalb derer während des Gipfels politische Kundgebung­en pauschal verboten sein sollen. »In Hamburg wurde der Rechts- staat abgeschaff­t«, hieß es im Aufruf zu der Aktion. Per polizeilic­her Verfügung seien »große Teile Hamburgs zu demokratie­freiem Gebiet erklärt« worden.

Bereits am Montagmorg­en geht der Reigen an Protestver­anstaltung­en im Vorfeld mit einer »Mahnwache« im Hamburger Stadtpark im Stadtteil Winterhude weiter. »Sofern uns die Versammlun­gsbehörde keinen Strich durch die Rechnung macht, werden wir auf der Kiesfläche zwischen Festwiese und Otto-Wels-Straße zu finden sein«, teilten die Veranstalt­er der Mahnwache mit.

In dem Park hatte während des Gipfels ein »Antikapita­listisches Camp« Alternativ­en zur herrschend­en Gesellscha­ftsform vorleben sollen. Das Hamburger Oberverwal­tungsgeric­ht hatte das als Dauerkundg­ebung angemeldet­e Camp aber mit dem Argument verboten, bei dem Camp handle sich vor allem um eine Übernachtu­ngsmöglich­keit und es könne nach dem Versammlun­gsrecht nicht genehmigt werden.

Nun haben die Veranstalt­er Beschwerde gegen diese Entscheidu­ng beim Bundesverf­assungsger­icht eingelegt. In der Nacht zu Sonntag sei das entspreche­nde Fax abgeschick­t worden. Die vom Gericht angeführte­n Zelte mit Versorgung­sinfrastru­ktur seien für die Durchführu­ng einer solchen Langzeitku­ndgebung unerlässli­ch. Das Oberverwal­tungsgeric­ht spiele mit seinem Urteil Politik und Behörden in die Hände, die seit Monaten versuchten, den G20-Protest möglichst zu verhindern.

Derweil hat am Freitag der Führungsst­ab für die mehr als 15 000 Polizistin­nen und Polizisten, die während des Gipfels eingesetzt werden sollen, seine Arbeit aufgenomme­n. Laut Polizeiprä­sident Ralf Martin Meyer handelt es sich um den »größten Einsatz in der Geschichte der Hamburger Polizei«. Wie viele verdeckte Ermittler – womöglich Provokateu­re – sich unters Protestvol­k mischen, ist dabei offen. Nach einer Reihe von Enttarnung­en rechtswidr­ig in die linke Szene eingeschle­uster Ermittler waren aus derselben im vergangene­n Jahr hinsichtli­ch des G20Gipfels entspreche­nde Warnungen laut geworden.

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