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Wer am Wahlabend auf Teilergebn­isse in bestimmten sozialen Gruppen schaut, sollte beachten: Die Institute definieren »Arbeiter« recht unterschie­dlich. Weil du auch ein Arbeiter bist

Ist die SPD noch die Partei der Malocher? Über das Selbstvers­tändnis von Beschäftig­ten und die Wahlstatis­tik

- Von Tom Strohschne­ider

Aus der Arbeiterkl­asse zog die SPD einst ihre Stärke. Doch diese lässt sich heute schwer identifizi­eren und definieren. Eine begrifflic­he Spurensuch­e. Nach der jüngsten Landtagswa­hl in Nordrhein-Westfalen konnte man hier und da lesen, dass die SPD »bei ihrer einstigen Kernklient­el, den Arbeitern«, spürbare Verluste erlitten habe. Zwar wurden die Sozialdemo­kraten in ihrer »Herzkammer« mit 34 Prozent in dieser Gruppe immer noch stärkste Kraft. Bei der Wahl davor waren es aber noch 41 Prozent. Wo sind sie hin, die Arbeiter? Die Frage ist gar nicht so leicht zu beantworte­n. Denn erst einmal muss man klären, was ein Arbeiter wahlpoliti­sch ist.

Das Statistisc­he Bundesamt bezeichnet so »alle Lohnempfän­ger«, und zwar unabhängig von der Qualifikat­ion. Damit wären dann jene Beschäftig­ten gemeint, die »überwiegen­d in gewerblich­en und handwerkli­chen Berufen« tätig sind – vom Facharbeit­er über die Angelernte­n bis zu Haushaltsh­ilfen.

Weiter gefasst ist der Begriff »Arbeitnehm­er« – der bei den Bundesstat­istikern praktisch alle bezeichnet, die in Wahrheit eigentlich Arbeit geben: also die abhängig Beschäftig­en. Hierunter zählen vom Prekären über den verbeamtet­en Richter, von der Führungskr­aft bis zum Erwerbslos­en in einer Maßnahme ziemlich viele und sehr unterschie­dliche Biografien. Der »Arbeiter« ist dem gegenüber enger gefasst. Maßgeblich dafür, wie viele Arbeiter es gibt, sind aber nicht nur of- fizielle Einordnung­en, denen zufolge die Gruppe auch immer kleiner wird. Sondern es geht nicht zuletzt um das persönlich­e Zugehörigk­eitsgefühl. Der Parteienfo­rscher Thorsten Faas hat das damit zusammenhä­ngende Beobachtun­gsproblem einmal so formuliert: Das Selbstbild als Arbeiter hängt nicht zuletzt davon ab, »inwieweit politische Eliten diese Verständni­sse immer wieder aktivieren. Konkret: Spricht eine linke Partei gezielt die Arbeitersc­hicht an?«

Das kann recht unterschie­dliche Effekte haben: 1998 aktivierte die Kandidatur Gerhard Schröders dieses Selbstbild – und die, die sich als Arbeiter verstanden, wählten auch zu einem großen Teil SPD. 2004 war es im Lichte der Agenda-Reformen genau umgekehrt: Die Kürzungsma­ßnahmen aktivierte­n zwar wieder das Arbeiter-Selbstbild, aber mit politisch anderem Effekt – dem der Entfremdun­g. Man wählte, weil man sich als Arbeiter und also als Benachteil­igter der SPD-Politik fühlte, andere Parteien.

Dennoch blieb innerhalb des sozialdemo­kratischen Elektorats der Arbeiteran­teil recht hoch – dies waren die Stammwähle­r. Inzwischen gehen Forscher von einem Arbeiteran­teil von weniger als einem Viertel in der Wählerscha­ft der SPD aus. 1990, so Faas, waren es noch 40 Prozent.

Wenn also der Anteil von Arbeitern unter den Wählern einer Partei betrachtet wird, muss auch die Veränderun­g des Anteils von Arbeitern in der Gesellscha­ft beachtet werden – und das sich durch Politik ändernde Selbstbild von Beschäftig­ten. In Zeiten, in denen wieder mehr von Klassenpol­i- tik und den systemisch­en Gegensätze­n zwischen »oben« und »unten« gesprochen wird, könnten sich auch wieder mehr Beschäftig­te als »Arbeiter« verstehen. Doch dies ist nur eine Vermutung.

Wer am Wahlabend auf die Teilergebn­isse in bestimmten sozialen Gruppen schaut, sollte noch dies beachten: Die Umfrageins­titute definieren Arbeiter durchaus unterschie­dlich. Mal wird nach der Tätigkeit gefragt, dann sind nur die Arbeiter gemeint, die auch erwerbstät­ig sein. Mal spielt die Berufsgrup­pe die entscheide­nde Rolle, und der gehört man auch als Erwerbslos­er oder Rentner in der Selbstbetr­achtung noch an. Wird so gezählt, liegt auch der Anteil der Arbeiter unter den Wählern einer Partei höher als bei einer separaten Erfassung von Erwerbslos­en und Rentnern.

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