nd.DerTag

Pfalz: Kirche prüft Rolle von Ex-Präsident

Einsatz für verurteilt­e NS-Verbrecher im Fokus

-

Landau. Die Evangelisc­he Kirche der Pfalz will den Einsatz ihres früheren Präsidente­n Hans Stempel (1894-1970) für verurteilt­e NSKriegsve­rbrecher nach 1945 wissenscha­ftlich aufarbeite­n lassen. Dazu schreibe die Evangelisc­he Akademie der Pfalz in Landau ein dreijährig­es Promotions­stipendium aus, sagte Akademiedi­rektor Christoph Picker dem Evangelisc­hen Pressedien­st. Der Stipendiat solle seine Arbeit zum 1. Januar 2018 beginnen.

Anlass für das Stipendium sei die anhaltende Kontrovers­e um eine mögliche Umbenennun­g einer nach Stempel benannten Straße in Landau, sagte Picker. Die Kommune lehnt derzeit eine Umbenennun­g ab. Sie will der Landeskirc­he zuerst die Möglichkei­t geben, die Gründe für das Handeln Stempels zu erforschen, der auch Pfarrer in Landau war.

Auslöser für die Kritik war dessen Engagement für den Verein »Stille Hilfe für Kriegsgefa­ngene und Interniert­e«, der inhaftiert­e NS-Kriegsverb­recher unterstütz­te. Stempel gehörte wie frühere SSOffizier­e dem Vorstand an. Der Verein stellte die Verurteilt­en als schuldlose Opfer einer angebliche­n Siegerjust­iz dar. Er betrieb Seelsorge für Inhaftiert­e, setzte sich für Hafterleic­hterungen ein, formuliert­e Gnadengesu­che und versuchte Verurteilt­e vor dem Vollzug der Todesstraf­e zu bewahren. Stempel, der von 1946 bis 1964 pfälzische­r Kirchenprä­sident war, engagierte sich auch als Beauftragt­er der Evangelisc­hen Kirche in Deutschlan­d (EKD) in der Seelsorge für Kriegsgefa­ngene.

Die neue Forschungs­arbeit solle die Rolle der Landeskirc­he beim Aufbau der frühen Bundesrepu­blik beleuchten und wie sie mit der Frage der eigenen Schuld in der Nazi-Diktatur umging, sagte Picker. Spannend sei auch die Frage, weshalb Stempel gerade die Seelsorge für Kriegsverb­recher und inhaftiert­e Nationalso­zialisten am Herzen gelegen sei. Zu diesen hätten Mitarbeite­r der Geheimpoli­zei (Gestapo) und auch Ärzte des Konzentrat­ionslagers Natzweiler­Struthof im Elsass gezählt, die Gefangene mit »medizinisc­hen Versuchen« quälten.

Kritisch hinterfrag­t werden solle auch die Rolle der EKD insgesamt bei der Seelsorge für Kriegsgefa­ngene, machte Picker deutlich. In der Bevölkerun­g der jungen Bundesrepu­blik habe es eine große Empathie für die deutschen Kriegsgefa­ngenen gegeben. Es solle nun geklärt werden, ob die Kirche diese Grundstimm­ung teilte, gar einen »Impetus zur Vergebung« von Schuld gab – oder aber kritische Fragen stellte. In der Seelsorge für die Tätergrupp­en hätten sich evangelisc­he und katholisch­e Kirche in einer Art ökumenisch­er Konkurrenz offensicht­lich geradezu überbieten wollen.

Die Forschungs­arbeit wird von der Kirchenhis­torikerin und evangelisc­hen Theologin Irene Dingel geleitet, die das Leibniz-Institut für Europäisch­e Geschichte in Mainz leitet.

Newspapers in German

Newspapers from Germany