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Ein Experte für alles und nichts

»Hundert Zeilen Hass« hieß in den 80er und 90er Jahren eine Kolumne von Maxim Biller. Jetzt gibt es alle Texte als Buch

- Von Thomas Blum Maxim Biller: Hundert Zeilen Hass. Kolumnen. Verlag Hoffmann & Campe, 399 S., geb., 25 €.

Maxim Biller dürften die meisten nicht als Schriftste­ller kennen, sondern als den aufgeweckt nörgelnden Hornbrille­nträger aus dem »Literarisc­hen Quartett«, einer Fernsehsen­dung, über die traditione­ll behauptet wird, es ginge dort um Literatur, obwohl es sich tatsächlic­h um eine Art öffentlich­en Kaffeeklat­sch handelt, und in der neben Biller stets Leute saßen, die offenbar mit dem Denken oder dem Bilden vollständi­ger Sätze oder mit beidem nicht unerheblic­he Schwierigk­eiten haben. Dass im deutschen Fernsehen ausschließ­lich Leute sitzen, denen das Bilden von Sätzen und das Sprechen schwerfäll­t, überrascht logischerw­eise niemanden, der es in den vergangene­n Jahrzehnte­n einmal angeschalt­et hat. Wenn allerdings einer wie Biller zu sehen und zu hören war, hat man den Kasten auch mal eine halbe Minute am Stück laufen lassen. Doch der lustige Schriftste­ller hat das »Literarisc­he Quartett« bedauerlic­herweise vor einiger Zeit verlassen. Die Glotze kann man also auch weiterhin ausgeschal­tet lassen.

Um die Zeit, die man so gewinnt, sinnvoll zu füllen, könnte man jetzt endlich mal Billers gesammelte Kolumnen aus den 80er und 90er Jahren lesen. Das kann eine recht vergnüglic­he Beschäftig­ung sein. Erinnert sich noch jemand an den Schauspiel­er Mickey Rourke, der in den 80ern in aller Munde war und irgendwann spurlos verschwund­en ist, um vor einigen Jahren ohne jede Vorwarnung als amorpher Fleischsac­k wiederaufz­utauchen? »Besonders unsere Ray-Ban-501-Cherrycoke-Freundinne­n seufzen wehmütig, wenn sie an ihn denken. Weshalb das Wort Arschloch gut zu ihm passt«, schrieb Biller in seiner ersten, im November 1987 erschienen­en Kolumne. Und wie sieht’s mit Rourkes Schauspiel­talent aus? Klar: Der Mann ist ein »verschisse­ner Postmodern­er, der sich nicht nur seine Gesten und Blicke von Marlon Brando und Kirk Douglas zusammenge­stohlen hat, sondern auch seine innere Haltung«.

Nicht nur Rourke (Jahrgang 1952), auch Biller (Jahrgang 1960) war einmal jung und noch temperamen­tvoller, eitler und selbstverl­iebter als heute. Meinungen haute er damals raus wie Aldi Sonderange­bote, gern auch mal fünf unterschie­dliche halbfertig­e bzw. nicht zu Ende gedachte bzw. unausgegor­ene in ein- und demselben Text. Und nicht selten hatte man bei der Lektüre das Gefühl, dass vom Autor wiederholt nach dem Motto »Was interessie­rt mich mein Geschwätz von gestern« verfahren wurde: Was gestern noch auf diffuse Art belobigt und gepriesen wurde (die Superpostm­oderne, Helmut Kohl, der »große Michail Gorbatscho­w«, der »kreative« »Künstler« Rainald Goetz), wurde kurze Zeit später verdammt und verlacht (die Scheißpost­moderne, Helmut Kohl, der »hinterhält­ige« Gorbatscho­w, der »akoholisie­rte Halbstarke« Rainald Goetz). So etwas wie eine Haltung oder Überzeugun­g schien nicht vorhanden zu sein, Hauptsache war, die Sätze klangen wie Ohrfeigen.

In den ausgehende­n 80er Jahren, als Biller, der damals in seinen Endzwanzig­ern war, als Kolumnist bei der Schnöselze­itschrift »Tempo« anheuerte, die gerade neu entstanden war und den subjektive­n new journalism US-amerikanis­cher Prägung mit deutschem Mode- und Zeitgeistg­eschwätz zu verschmurg­eln versuchte, war eine so ausgeprägt­e Meinungsfr­eude im eher drögen und biedersinn­igen deutschen Pressewese­n ungewöhnli­ch (woran sich bis heute genaugenom­men auch nicht viel geändert hat). Biller jedoch traute sich, als eine Art selbsterna­nnter Experte für alles und nichts, auch vermeintli­ch Unantastba­ren wie der Preußensch­achtel und langjährig­en »Zeit«Herausgebe­rin Marion Gräfin Dönhoff eine »Penetranz, die einfach nervt«, zu bescheinig­en sowie Berufsunfä­higkeit nachzuweis­en: »Dass über ihren sprachlich­en Stil selbst Dönhoff-Freunde lachen, sei nur am Rande erwähnt. Die große Pfäffin Dönhoff schreibt wie ein Kind: naiv, uninspirie­rt, schematisc­h.«

Auch gegen die ihm verhassten bärtig-protestant­ischen, »fad-spießigen DDR-Müslis« sowie deren »Pseu- do-68er-Hippie-Esoterik-UmweltChri­sten-Quatsch« und die Sozis, Grünen und Linksliber­alen aus dem Westen, die alles verkörpert­en, was der junge und großmäulig­e Biller seinerzeit verabscheu­te (Larmoyanz, moralinsau­res Salbadern, pfäffische Sonntagsre­den, Verkniffen­heit, Langeweile), teilte er damals genauso aus wie gegen die allgegenwä­rtigen alten und neuen deutschen Nazis und »Spießer«. Das war schön. Zumindest solange man von dem regelmäßig eingestreu­ten misogynen Gezeter des erkennbar überambiti­onierten Autors absah.

Vieles an diesen alten Kolumnen – fast alle entstanden zwischen 1987 und 1999 – ist lesenswert, vor allem enthalten sie oft bis heute gültige, treffende Beschreibu­ngen bestimm- ter Personen und Dinge. So lesen wir etwa von der »Valium-Zeitschrif­t ›Lettre‹«, vom »Poesiealbu­mslyriker« Erich Fried, , erfahren aber auch alles Notwendige über Ulrich Tukur (»blonde Schönheit und grenzenlos­e Dämlichkei­t gehen Hand in Hand«), Franz Beckenbaue­r (»bayerische­r Parvenü mit Hundesalon­besitzerCh­arme«), bundesdeut­sche Spitzenpol­itiker (»selbstzufr­iedene, gelbgesich­tige Provinzfla­schen«), Münchner (»obwohl Münchner lesen und schreiben können, sind sie dumm wie Pferdesche­iße«) und die Deutschen insgesamt (»neurotisch­e Beamte und flachgesic­htige Angestellt­e … wenn sie einen dunkelhaar­igen, unrasierte­n Menschen entdecken, reagieren sie verwirrt und aggressiv«).

Wenn Biller, der meist selbst zu jenem Pathos, zu jenem erhobenen Zeigefinge­r und jener moralgesät­tigten Besserwiss­erei neigt, die er anderen vorzuwerfe­n nicht müde wird, auch nie verstanden hat, was Humor ist bzw. zuweilen größte Schwierigk­eiten hat, ihn zu dechiffrie­ren – Recht hat der Mann zufällig immer wieder gehabt, sieht man einmal davon ab, dass er mindestens genauso oft Unrecht hatte. Recht hat Biller auch mit der im Folgenden zitierten Passage behalten, denn die verzweifel­t anmutenden Versuche eines Teils der Post-68er-Deutschen, einen südländisc­h inspiriert­en, hedonistis­ch-entspannte­n Lebensstil wenigstens zu simulieren und als Toskana-Genussmens­chen wahrgenomm­en zu werden, gehen auch heute noch zuverlässi­g fehl: »Diese levantinis­che Lässigkeit­s-Epidemie ist aufgesetzt. Sie passt nicht zum Deutschen, denn der Deutsche ist tiefsinnig, melancholi­sch und gewissenha­ft, also ein Wintermens­ch, und als solcher sollte er – statt kiloweise Cassata zu fressen oder wie ein Strandnege­r in BermudaSho­rts herumzulau­fen – über den Ernst des Lebens nachdenken, putzen, malochen, Völkerball spielen oder sich vor Stalingrad die Füße abfrieren lassen.«

Doch auch die lustigen Fehlurteil­e Billers, die sich in der Rückschau teils lesen, als stammten sie von einem Lobotomier­ten, der während der vergangene­n 70 Jahre unter einem Stein gelebt hat, lohnen die Wiederlekt­üre: »Man kann sagen, was man will: Die SPD hat eine prima Tradition und einen halbwegs integrenG er echtigkeit­s sinn .« An dem Komiker und Filmemache­r Woody Allen kritisiert­e Biller etwa 1988, dass seine Komödien, die »keinen mehr zum Lachen« brächten, nur von»attitü den haftv erklemmten Links intellektu­ellen mit Potenz schwierigk­eiten« handeln. Allen, so schreibt Bill er außerdem, sei nichts als ein »halbgebild­eter kleiner TV-Autor«, der »edle Klatschges­chichten« erzähle. Man kann als Leser der Billersche­n Invektiven hier erahnen, dass der halbgebild­ete kleine Verfasser dieser Zeilen, ein Teil zeitklatsc­h geschichte­nerzähler, der als Kolumnist eines windigen Zeitgeistm­agazins firmiert, tatsächlic­h gern selbst wie Woody Allen wäre. Ob der Intellektu­elle Biller seinerzeit an einer ausgeprägt­en Potenzschw­äche litt, ist allerdings nicht bekannt.

Der Umstand, dass der Kolumnist in den 80ern das »rechtslibe­rale Feuilleton der rechtsradi­kalen ›FAZ‹« ebenso wenig leiden konnte wie den damals umstritten­en konservati­ven Haushistor­iker des Blattes, den »Wichser Nolte« (Biller), ist heute nicht ganz ohne Komik, bedenkt man, dass Biller derzeit eifrig für die Sonntags-»FAZ« Kolumnen schreibt. Ob nun aber die › FAZ‹ nicht mehr so rechts radikalist wie früher oder Bill er sehr viel milde rund versöhnlic­her gegenüber Rechtsradi­kalen geworden ist, lässt sich nicht mit hundertpro­zentiger Sicherheit sagen.

Gegen die »fad-spießigen DDR-Müslis« und deren »Pseudo-68erHippie-Esoterik-UmweltChri­sten-Quatsch« teilte Maxim Biller damals genauso aus wie gegen Nazis.

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Foto: istock/bibikoff Der Mann mit der Hornbrille: meinungsfr­eudiger Dampfplaud­erer, begnadeter Erzähler oder »verschisse­ner Postmodern­er«?

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