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So jung wie nie

- Von Georg Ismar, dpa

Ohne

seine Gitarre geht er nirgendwoh­in. Schon der Name klingt in den Ohren: Gilberto Gil. »Ich wusste immer, die Musik wird meine Sprache sein«, will er schon als Kind in der von Sklavennac­hfahren geprägten Stadt Salvador geahnt haben.

In Brasilien kennt fast jeder Gil, er gilt als einer der Besten und Populärste­n des an tollen Musikern so reichen Landes – über 50 Platten hat er herausgebr­acht und vier Millionen Tonträger verkauft.

Heute wird er 75 Jahre alt und macht sich nach zuletzt mehreren schweren gesundheit­lichen Problemen Gedanken über den Tod. Er wisse zwar noch nicht, ob er eine Beerdigung oder eine Einäscheru­ng wolle, aber mit Blick auf das finanziell­e wie musikalisc­he Testament sagt er: »Ich bin vorbereite­t, aus Respekt vor meinen Kindern.« Derer hat der Lebemann aus Bahia nicht wenige: Acht Kinder mit drei Frauen.

Während der Zeit der Militärdik­tatur begründete Gilberto Gil Ende der 60er Jahre mit seinem Weggefährt­en Caetano Veloso den »Tropicalis­mo«. Nach dem Bossa Nova entstand eine neue, schnellere Samba-Variante, die internatio­nale Pop- und Reggae-Elemente mitaufnahm.

Wegen seiner sozialkrit­ischen Texte wurde der spätere Grammyprei­sträger 1968 von der Junta verhaftet. Er ging nach London ins Exil und kehrte erst nach fünf Jahren in die Heimat zurück. Im Exil beeinfluss­ten ihn unter anderem Jimi Hendrix und die Beatles.

Zum Abschied ins Exil hinterließ er eine Hymne an Rio de Janeiro, »Aquele abraço« – das Lied wurde zum musikalisc­hen Symbol des Kampfes gegen die Diktatur. Vor knapp einem Jahr hatte er – ganz in Weiß – einen seiner größten Auftritte, im August bei der Eröffnungs­feier der Olympische­n Spiele in Rio de Janeiro. »Aquele abraço« eröffnete die Spiele.

Gil ist politisch, er kritisiert­e deutlich die Amtsentheb­ung der linken Präsidenti­n Dilma Rousseff. 2003 war er unter ihrem Vorgänger Luiz Lula da Silva der erste schwarze Kulturmini­ster des Landes geworden – und haderte, weil er in Sachen Musik kürzertret­en musste. »In vier Jahren habe ich nur zwei Lieder komponiert«, klagte er damals. 2008 war er dann wieder ganz Musiker.

Und er macht sich für die Freiheit des Internets stark, für das Teilen von Inhalten – er hat nichts dagegen, wenn seine Musik kopiert wird, und sieht Hacker als Aktivisten, »die den Computer als wunderbare­s Werkzeug der Kommunikat­ion sehen«.

Ein Rebell ist Gilberto Gil bis heute – und einer der wichtigste­n Vertreter der »Musica Popular Brasileira«, der brasiliani­schen Pop- und Volksmusik. Dass er immer noch auf der Bühne steht, könnte auch an seinem Lebenswand­el liegen: viel Meditation und Yoga. Schon kurz vor dem 65. Geburtstag, dem sonst üblichen Rentenalte­r, sagte Gil in einem Interview: »Ich fühle mich so jung wie nie. Das liegt vielleicht daran, dass ich kein Marihuana mehr rauche.«

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