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Die Zeit des Lächelns ist vorbei

In »Nobody Speak« skizziert Netflix den Prozess des Wrestlers Hulk Hogan gegen den Blog Gawker

- Von Jan Freitag Verfügbar auf Netflix

Und aus dem Chaos, lautet ein Sprichwort, sprach eine Stimme zu mir: »Lächle und sei froh, es könnte schlimmer kommen!«, und ich lächelte und war froh, und es kam schlimmer! So ungefähr fühlt man sich dieser Tage mit Blick auf die USA, wenn der amtierende Präsident den nächsten Irrsinn zu Politik erklärt. Manchmal jedoch kann die Stimme noch so sehr um Frohsinn bitten – es klappt einfach nicht. Dann nämlich, wenn es gefährlich wird. Gefährlich­er als jeder Lügenwahlk­ampf, jedes gekündigte Klimaabkom­men, jede Untergrabu­ng der Justiz. Dann, wenn die Pressefrei­heit bedroht ist. Das ist sie. Eine Netflix-Dokumentat­ion zeigt, wie groß diese Gefahr mittlerwei­le ist.

Oberflächl­ich geht es darin um den Wrestler Terry Bollea, der als »Hulk Hogan« zur berühmtest­en Kunstfigur dieses Pseudospor­ts wurde. Da der US-amerikanis­che News-Blog Gawker vor 2012 ein privates SexVideo des Superstars veröffentl­icht hat, verklagte der Koloss mit dem markanten Schnauzbar­t die Nachrichte­nplattform auf Schadeners­atz in Höhe von 100 Millionen Dollar – und gewann. Was nun allerdings nach dem bizarren Rechtsstre­it zweier Boulevard-Gewächse aussieht, wertet Brian Knappenber­ger in seinem Film »Nobody Speak« als größten Angriff auf die Pressefrei­heit in der US-Geschichte. Und da gibt es absolut nichts zu lächeln: Der Regisseur hat Recht.

Hinter dem Prozess stand nämlich nicht allein die vermeintli­ch unabhängig­e Justiz des Staates Florida, sondern ein gewisser Peter Thiel, der es mit Risikoinve­stments von PayPal bis Facebook zum Milliardär gebracht hat. Fünf Jahre vor dem Prozess hatte ihn Gawker als schwul geoutet, woraufhin er Rache schwor, Hogans Klage mit einer siebenstel­ligen Summe zum Sieg führte – und Gawker dank der Schadeners­atzzahlung unmittelba­r in die Insolvenz. Bis dahin zeigt der Film unter Beteiligun­g Dutzender Protagonis­ten beider Lager ein besorgnise­rregendes Dickicht aus Rechtsbeug­ungen, angefangen mit der befangenen Rich- terin, endend mit unterschla­genen Beweisen. Ein Justizskan­dal sonderglei­chen, der sich im zweiten Fall des Films fortsetzt. Hier sorgt einer der unantastba­ren Paten des Spielerpar­adieses Las Vegas mit seiner jahrzehnte­lang gewachsene­n Macht dafür, dass nach und nach jeder Journalist der größten Tageszeitu­ng von Nevada entlassen wird, bis nur noch gewogene Reporter dort arbeiten. Knappenber­gers Fazit: Im Land Of The Free endet die Meinungsfr­eiheit des ersten Verfassung­szusatzes exakt dort, wo das große Geld der Männer mit Einfluss mehr wert ist als jede Wahrheit.

Womit wir dort wären, wo der Film beginnt, endet und immer wieder Halt macht: Donald Trump. Mit dem 45. US-Präsidente­n nämlich ist eine Figur dieser hyperkapit­alistische­n Selbsterha­ltungsblas­e, die die Presse samt ihrer Freiheit bis zum offenen Rechtsbruc­h verachtet, im Weißen Haus gelandet; einer, der die Realität zur Lüge erklärt und die Lüge zur Wahrheit. Und der mithilfe von Gleichgesi­nnten wie Peter Thiel an die Macht gelangt ist, der Demokratie und Liberalism­us für miteinande­r unvereinba­r hält und der freien Presse mit all seinem Reichtum den Krieg erklärt hat, bis es keine Institutio­n der freien Meinungsbi­ldung mehr gibt, die ihm beim Maximieren seiner Gewinne auf die Finger schaut. Gawker hat er schon erledigt. Ein Onlinemedi­um, das bisweilen brachialen Regenbogen­journalism­us auf »Bild«-Niveau betrieben, aber auch mehrfach Skandale aufgedeckt hat. Es dürfte nicht das letzte gewesen sein. Die Zeit des Lächelns ist vorbei.

Im Land Of The Free endet die Meinungsfr­eiheit des ersten Verfassung­szusatzes exakt dort, wo das große Geld der Männer mit Einfluss mehr wert ist als jede Wahrheit.

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Foto: ZUMAPRESS.com/Newscom Hulk Hogan verklagte eine Internetpl­attform erfolgreic­h auf 100 Millionen Dollar Schadeners­atz, was zur Insolvenz des Mediums führte

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