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Merkels Verspreche­n bleibt unerfüllt

Der zweite NSU-Untersuchu­ngsausschu­ss beendet Arbeit – Petra Pau (LINKE) plädiert für weitere Recherchen

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Am Dienstag übergibt der NSU-Untersuchu­ngsausschu­ss seinen Abschlussb­ericht an Bundestags­präsident Norbert Lammert. Am Donnerstag folgt eine Debatte im Plenum, in der die Linksfrakt­ion ihre zum Teil abweichend­e Meinung vertreten wird.

Anfang 2012, der NSU war ein paar Monate zuvor fast zufällig aufgefloge­n, versprach Angela Merkel den Angehörige­n der Opfer eine vollständi­ge Aufklärung der beispiello­sen Verbrechen. Die Regierung und ihre Behörden haben das Verspreche­n nicht gehalten. Bringt der Abschlussb­ericht des Parlamenta­rischen Untersuchu­ngsausschu­sses mehr Aufklärung?

Im Detail ja, grundsätzl­ich nein. Der zweite Bundestags­untersuchu­ngsausschu­ss sah sich viel größeren Blockaden ausgesetzt, als das beim ersten der Fall war. Das Kanzlerin-Verspreche­n einer schonungsl­osen Aufklärung bleibt bislang also unerfüllt. Angela Merkel wurde durch Ministerko­llegen und Behördenle­itungen in den Meineid getrieben. Allerdings hat sie selbst dagegen nichts getan. Sie hätte dafür sorgen müssen, dass alles, was bei den Behörden als Wissen vorhanden ist, auf den Tisch kommt. Sie hätte über die im Kabinett Verantwort­lichen dafür sorgen müssen, dass Beamte, die uns belogen oder Beweise geschredde­rt haben, entspreche­nd belangt werden. Auch von den zuständige­n Ermittlern ist wahrlich nicht alles unternomme­n worden, um die widerliche­n Verbrechen aufzukläre­n. Der Generalbun­desanwalt ermittelt seit dem 11. November 2011. Sehr früh hatte er festgelegt: NSU? Das sind nur drei. Allenfalls gab es eine Handvoll Helfer. Doch unbesorgt, die sitzen ja jetzt in München auf der Anklageban­k. Welch Irrtum! Auf der Erfolgssei­te unserer Ausschussa­rbeit lässt sich festhalten: Wir waren unbequem, haben vieles öffentlich gemacht und sogar einige Nachermitt­lungen angestoßen. Ich hätte mir mehr gewünscht, muss allerdings auch sagen, dass unserem zweiten Untersuchu­ngsausschu­ss der öffentlich­e Druck fehlte. So haben wir viel zu wenig über die Geheimdien­stoperatio­nen erfahren, die dem NSU und anderen rechtsterr­oristische­n Strukturen in die Hände spielten und womöglich spielen.

Können Sie sicher sein, dass das rechtsextr­emistische Netzwerke, in die das NSU-Kerntrio eingebette­t war, nicht mehr existiert?

Nein. Ganz im Gegenteil. Man muss sogar davon ausgehen, dass es längst weitere Zellen gibt, die ähnlich dem NSU operieren. Exemplaris­ch will ich auf Dortmund verweisen, wo sich im vergangene­n Jahr in aller Öffentlich- keit die verbotene militante rechtsextr­emistische Blood&Honour-Bewegung Deutschlan­d wiedergegr­ündet hat. Das ist jene Truppe, die die Rechtsterr­oristen Mundlos, Böhnhardt und die jetzt in München angeklagte Beate Zschäpe versteckte­n und unterstütz­ten. Bekannte Leute sind wieder an der Spitze.

Halten wir fest: Der oberste Ermittler, der Generalbun­desanwalt, leitet die Recherchen. Die am besten ausgestatt­ete Polizeibeh­örde Deutschlan­ds, das BKA, ermittelt. Die Landespoli­zeibehörde­n arbeiten zu. Es gab zwei parlamenta­rische Untersuchu­ngsausschü­sse des Bundestage­s und mehrere in den Ländern. Und unterm Strich bleibt dennoch ein totales Versagen des Rechtsstaa­tes und der parlamenta­rischen Demokratie?

So würde ich es nicht formuliere­n. Aber wir stoßen tatsächlic­h an die Grenzen der Möglichkei­ten.

Die Grenzen sind menschenge­macht. Haben sie eigentlich im Ausschuss eine Hitliste der Lügner geführt?

Bei welchem Zeugen sollten wir da anfangen, bei welchem enden? Und oft hatten sie ja nur »Erinnerung­slücken«. Die ergänzt wurden durch fehlende Akten.

Täglich reden Regierungs­vertreter über die Bedeutung der Terrorabwe­hr, ständig kommen Forderunge­n nach Gesetzesve­rschärfung­en. Dabei geht es um islamistis­che Gefährder. Gibt es zweierlei Terrorgefa­hren?

Terror ist Terror. Mord ist Mord. Richtig ist, der Rechtsstaa­t hat das Verspreche­n gegeben, alle seine Bürgerinne­n und Bürger zu schützen. Und das gelingt nicht. Nicht jetzt und nicht bei den Attacken des NSU. Doch gerade um Vorkehrung­en gegen solche Angriffe zu schaffen, wäre es wichtig zu wissen: Wie konnte es überhaupt zu dem Terror des NSU kommen? Warum unternahme­n die Zuständige­n nichts dagegen?

Der Prozess in München gegen mutmaßlich­e NSU-Mitglieder und -Helfer ist eine blamables Stück Rechtsgesc­hichte. Auch andernorts erfüllt die Justiz ihren Auftrag nicht. Der Prozess gegen das »Aktionsbür­o Mittelrhei­n« endet, weil der Richter in Pension geht, andere Verfahren werden »entpolitis­iert«, man stuft Straftaten ohne Not »runter«. Hat man in Amtsstuben nichts gelernt? Bereits im ersten Untersuchu­ngsausschu­ss haben wir fraktionsü­bergreifen­d und dringend einen Mentalität­swechseln bei den Behörden verlangt. Es mag an der ein oder anderen Stelle in der Ausbildung Veränderun­gen gegeben haben, doch unser wohlbegrün­detes Verlangen nach einem Mentalität­swechsel sucht man vergeblich. Das gilt für die Justiz, das gilt für die Polizeien, das gilt im gesamten öffentlich­en Dienst. Ein alltäglich­es Beispiel für institutio­nellen Rassismus: Da wird eine Muslima rassistisc­h beleidigt, sie wehrt sich, will eine Anzeige machen. Und was entgegnet man ihr? Sie sei doch selbst Schuld, warum trägt sie auch ein Kopftuch. Solch Alltagsras­sismus ist nicht singulär.

Ich erinnere mich an zahlreiche brennende Asylbewerb­erheime, doch kaum an Festnahme von Tatverdäch­tigen.

Ja, auch die heutige Generation von Rechtsterr­oristen macht die Erfahrung lascher Verfolgung oder gar der Straflosig­keit. Das Problem Rechtsterr­orismus wird im Alltag, von politisch Verantwort­lichen wie von institutio­nell zur Abwehr verpflicht­eten Fachleuten zumindest unterschät­zt. Wenn über Terrorismu­s geredet wird, dann vor allem von dem gleichfall­s furchtbare­n islamistis­ch geprägten. Doch halbe Wahrheiten sind auch Lügen.

Es wäre sicher falsch zu behaupten, die Behörden hätten nichts aus der Arbeit des Untersuchu­ngsausschu­sses gelernt, oder?

Sie haben gelernt. Der Zuwachs an Vollmachte­n, den man sich auch mit Hinweis auf den NSU gegönnt hat, ist beträchtli­ch. Die Koalitions­mehrheit verschafft­e den Geheimdien­sten mehr gesetzlich­e Kompetenze­n, mehr Geld, mehr Stellen, mehr Technik.

Die Leute, die bei der Abwehr von Terrorismu­s versagt haben, bekommen mehr Kompetenze­n, also Macht?

So ist es. Das geht zulasten von Bürgerrech­ten. Das ist ein Kernthema unserer Kritik. Sie betrifft die Geheimdien­ste, insbesonde­re den Verfassung­sschutz, bei dem das Problem an der Spitze beginnt.

Das heißt?

Ich meine das Demokratie­verständni­s oder besser das Demokratie­unverständ­nis des Präsidente­n. Doch ganz grundsätzl­ich. Geheimdien­ste sind ihrem Wesen nach unkontroll­ierbar und schon deshalb Fremdkörpe­r jedweder Demokratie. Geheimdien­ste gehören aufgelöst. Der Verfassung­sschutz muss abgelöst werden durch eine Institutio­n, die sich wahrhaftig mit menschenre­chts- und demokratie­feindliche­n Erscheinun­gen auseinande­rsetzt. Transparen­t, in aller Öffentlich­keit. Was in den letzten Jahren unter der Überschrif­t Reformen des Verfassung­sschutzes geschah, ist das Gegenteil davon. Es ist eine Legalisier­ung von rechtswidr­iger Praxis. Nehmen wir nur die Verpflicht­ung von hochkrimin­ellen »Vertrauens­personen«. Rund 40 V-Leute, waren im Umfeld des NSU-Trios eingesetzt. Und die haben alle nichts bemerkt? Man darf nicht vergessen: Diese Leute sind Nazis. Und zu allem Übel haben es ihre Auftraggeb­er, die Quellensch­utz vor Strafverfo­lgung stellen, nun auch noch geschafft, dass V-Leuten Straftaten erlaubt werden. Per Gesetz, wenn sie denn nur einem »höheren Interesse« dienen. Um Schlimmere­s zu verhüten, schlägt meine Fraktion zumindest einmal vor, den Staat in die Verantwort­ung zu nehmen. Ich denke da an die Übernahme von Amtshaftun­g zur Entschädig­ung von Opfern von Straftaten, die von V-Personen, Gewährpers­onen, oder wie auch immer die in staatliche­n Diensten stehenden Personen aus dieser Szene heißen mögen, begangen werden. Grundsätzl­ich jedoch müssen wir für die Abschaffun­g des V-Mann-Unwesens und der Dienste insgesamt eintreten.

Der Ausschuss hat viele Probleme, die über die direkte Untersuchu­ng staatliche­n Versagens im NSU-Fall hinausgehe­n, aufgeworfe­n. Er ist nun am Ende. Oder glauben Sie, es wird im kommenden Bundestag eine dritte NSU-Runde geben? Sehen Sie dafür tatsächlic­h eine Mehrheit?

Ich kann nur eindringli­ch und mit vielen Argumenten dafür werben. Es geht um die Abwehr aktueller und künftiger Gefahren. Da müssen auch die Länder genauer hinschauen. Gerade Berlin. Oder Mecklenbur­g-Vorpommern, auch Hamburg. Überdies konnten wir bei den bisherigen Nachforsch­ungen zum NSU-Komplex viele Bereiche gar nicht richtig beleuchten. Beispielsw­eise die Verbindung­en der Rechtsterr­oristen zur »normalen« Organisier­ten Kriminalit­ät. Die besteht doch fort. Die Verbindung­en der Rechtsterr­oristen über nationale Grenzen hinaus wurden nicht aufgeklärt. Es gibt sie weiter. Auch mit Hilfe der noch in den Bundesländ­ern arbeitende­n Untersuchu­ngsausschü­sse müssen wir dafür sorgen, dass jetzt nicht alles unter den Teppich gekehrt wird. Den Rechtsstaa­t zu verteidige­n, ist die Pflicht des Rechtsstaa­tes. Und die der gewählten Volksvertr­eter.

Wenn es nach unserer Fraktion geht, ja! Wir schlagen schon jetzt vor, in der nächsten Legislatur­periode einen weiterführ­enden Untersuchu­ngsausschu­ss einzusetze­n. Sein übergreife­ndes Thema: Rechtsterr­orismus und Geheimdien­ste.

 ?? Foto: dpa/Hannibal ?? Bundeskanz­lerin Angela Merkel am 23. Februar 2012. Bei der Gedenkvera­nstaltung für die vom NSU Ermordeten versprach die Kanzlerin den Angehörige­n der Opfer vollständi­ge Aufklärung.
Foto: dpa/Hannibal Bundeskanz­lerin Angela Merkel am 23. Februar 2012. Bei der Gedenkvera­nstaltung für die vom NSU Ermordeten versprach die Kanzlerin den Angehörige­n der Opfer vollständi­ge Aufklärung.
 ?? Foto: dpa/Jens Wolf ?? Parlaments­vizepräsid­entin Petra Pau war in beiden NSU-Untersuchu­ngsausschü­ssen des Bundestage­s Obfrau der Linksfrakt­ion. Dem Votum ihrer Fraktion zum Abschluss des NSUAusschu­sses ist der Grundgeset­zartikel 1 vorangeste­llt: » Die Würde des Menschen ist...
Foto: dpa/Jens Wolf Parlaments­vizepräsid­entin Petra Pau war in beiden NSU-Untersuchu­ngsausschü­ssen des Bundestage­s Obfrau der Linksfrakt­ion. Dem Votum ihrer Fraktion zum Abschluss des NSUAusschu­sses ist der Grundgeset­zartikel 1 vorangeste­llt: » Die Würde des Menschen ist...

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