»Das iranische System kann nur von innen heraus verändert werden«
In Teheran wird über Erfolge des Regimes durchaus gejubelt, doch geliebt wird es dafür nicht
Die Anschläge von Teheran haben in der iranischen Hauptstadt ein Gefühl von Unsicherheit hinterlassen. Aber in der Hauptstadt wird alles diskutiert, auch wenn man weiß, dass der Geheimdienst mithört. Es riecht nach gebratenem Fleisch, ein beißender Geruch von Kohle liegt in der heißen, stickigen Abendluft Teherans; die Straßen sind leer. Es ist Ramadan; am Ende eines weiteren Fastentages haben die Menschen gegessen. Hinter den Fenstern flimmert nun der bläuliche Schein der Fernseher: Wie in der arabischen Welt versammelt man sich an den Abenden des Ramadan auch in Iran vor den Fernsehgeräten.
Die Rache ist sorgsam inszeniert, kalkuliert. Auf dem Bildschirm setzt ein Mann in weißem Kittel zu dramatischer Musik zu einem Geständnis an, während die Zuschauer im Raum sich gespannt vornüber beugen, als plötzlich eine sehr große Rakete zu sehen ist, die mit einem Feuerschweif vom Boden abhebt. In einem sehr langen Satz erklärt ein Sprecher zusammengefasst, die Revolutionsgarden hätten Mittelstreckenraketen auf Stellungen der Terrororganisation »Islamischer Staat« in Syrien abgefeuert. »Viele Terroristen« seien getötet, Waffen zerstört worden. Die Vergeltung für die »Angriffe auf unsere Nation« sei nun geübt.
Jubel ist zu hören; man ist begeistert, erleichtert. Zwei Wochen ist es her, seit das iranische Parlament und das Grabmal des Revolutionsführers Ayatollah Ruhollah Khomeini angegriffen wurden. Geheimdienste und Militär machten mit dem »Islamischen Staat« verbundene Gruppen dafür verantwortlich. Während Polizei und Revolutionsgarden nach offiziellen Angaben 72 Personen festnahmen, wurde in der Öffentlichkeit der Ruf nach Vergeltung von Tag zu Tag lauter.
»Das war notwendig,« sagt Hassan, ein 32-jähriger Ingenieur, der am Sonntagabend in einem Laden an der Kasse steht, freundliche Worte mit dem Verkäufer wechselt: »Die Terroristen müssen wissen, dass Iran nicht Irak ist. Dass sie mit uns nicht alles machen können.«
Ob die Bilder den tatsächlichen Raketenabschuss zeigen, darf bezweifelt werden. Die Revolutionsgarden vermeiden normalerweise alles, was Aufschluss über die genaue Position von militärischen Einrichtungen geben könnte. Und wie man bereits Minuten nach den Angriffen über deren Auswirkungen Bescheid wissen konnte, wird offen kaum hinterfragt: Zumindest in Städten wie Teheran, wo der Apparat aus Geheimdienst und Militär sehr präsent ist, geht man einfach davon aus, dass der Staat alles weiß.
Sicherheit. Wenn man all das, was die Menschen in diesen Tagen bewegt, in einem Wort zusammenfasst, dann ist es »Sicherheit«: Öffentliche Sicherheit, soziale Sicherheit. Man erwartet zu allererst, dass die Regierung dafür sorgt, dass genug zu essen auf dem Tisch steht, dass man eine gute Gesundheitsversorgung hat, sicher über die Straße gehen kann.
Die Anschläge, die Gerüchte von Bombenfunden in U-Bahn-Stationen hatten die Menschen verunsichert. Feindbilder, das Konzept von »Wir und ihr, hier und dort« bestimmen das Bild, das der Öffentlichkeit über die allesamt streng kontrollierten, zensierten Medien vermittelt wird. Der Ordnung, der Sicherheit des Lebens in Iran werden das Chaos in Irak, in Syrien, die Anschlagsserien in Ägypten gegenüber gestellt.
Wenn es Probleme gibt, dann sind in der offiziellen Sprachregelung stets andere dafür verantwortlich: Früher waren es Israel und die USA. Die Feindschaft zu beiden wurde gleichzeitig dazu genutzt, eine Führungsrolle in der islamischen Welt zu beanspruchen. Heute hat Saudi-Arabien die Rolle des Erzfeinds eingenommen; die Revolutionsgarden mach- ten das Königreich direkt für die Anschläge verantwortlich, bevor sie vom geistlichen Oberhaupt Ayatollah Ali Khamenei öffentlich ermahnt wurden: Man möge die »Flammen des Konflikts nicht anfachen«. In der diplomatischen Krise um Katar hat sich Iran klar gegen Riad und auf die Seite des Golfemirats gestellt – »ein Bruderstaat«, so Präsident Hassan Ruhani am Sonntag. Der iranische Luftraum wie die Seegebiete, das Territorium Irans stünden Katar »jederzeit offen«.
In den Tagen nach den Anschlägen war die Wut groß gewesen, aber auch die Angst, dass da noch etwas nachkommt, dass das noch nicht alles war. Und die vielen Straßensperren, die zusätzlichen Patrouillen von Polizei und Revolutionsgarden halfen nicht, die Befürchtungen zu verringern. Man müsse davon ausgehen, dass der Staat etwas weiß, was die Bevölkerung nicht wisse, war immer wieder zu hören, denn der Staat, der wisse ja alles.
Man hat ein sehr ambivalentes Verhältnis zu diesem Staat: Es wird gejubelt, wenn es Erfolge zu feiern gibt. Doch geliebt wird das Regime dafür nicht. Die meisten tolerieren es: »Meine Freunde und ich hoffen darauf, dass sich das System von innen heraus verändert. Das ist auch die einzige Möglichkeit, denn es ist so angelegt, dass es kaum verändert werden kann«, sagt Maryam, eine 22-jährige Politikstudentin.
Als im Mai der Präsident gewählt wurde, lag die Wahlbeteiligung unter den Teheraner Studenten nach Angaben von Studentenorganisationen bei fast 100 Prozent; 95 Prozent hätten für den Amtsinhaber Hassan Ruhani gestimmt. Dessen Sprecher gibt sich bescheidener: Man gehe von »vielleicht 60 Prozent jeweils bei Studenten und bei Frauen aus«.
So oder so: Bei jungen, urbanen Iranern ist der Mann extrem beliebt, und das vor allem, weil er persönliche Freiheiten verspricht, weil er da- für gesorgt hat, dass die Polizei seltener die Einhaltung der strengen Moralvorschriften kontrolliert. Aber auch, weil er in aller Öffentlichkeit Tabus bricht. Immer wieder wendet sich Ruhani in Reden gegen Todesstrafe und Polizeigewalt, erwähnt die Namen von Ex-Präsident Mohammad Khatami und von Mir Hussein Mussawi, Premierminister von 1981 bis 1989, der 2009 bei der Präsidentschaftswahl unterlag. Mussawi steht unter Hausarrest. Er und Khatami dürfen in den iranischen Medien nicht genannt werden; durch die Erwähnung in live übertragenen Reden wird das Verbot aber umgangen.
Vor allem Studenten diskutieren viel über politische Theorien, über Sozialismus, Sozialdemokratie, Liberalismus. Es geht um Umweltschutz in einem unter extremer Umweltverschmutzung leidenden Iran, um Infrastruktur und Wirtschaft. Die Universitäten haben ihre Lehrpläne längst an den Problemen des Landes ausgerichtet; selbst die Frage, ob Iran die Atomenergie braucht, während Länder in Europa auf erneuerbare Energien umstellen, wird nicht ausgespart.
Diskutiert wird, auch wenn die Studenten wissen, dass der »Staat« mithört. »Die Jugend« müsse die Gelegenheit haben zu »experimentieren«, hatte Ayatollah Khamenei dazu 2009 gesagt, doch bei den »Experimenten« steht der Staat mit erhobe- nem Zeigefinger daneben, stets in Richtung der berüchtigten Gefängnisse zeigend.
Als Mussawi 2009 gegen den damals amtierenden Präsidenten Mahmud Ahmadinedschad verlor, gingen in Teheran gut eine Million Menschen auf die Straße, nachdem Vorwürfe der Wahlfälschung laut geworden waren. Mehrere hundert Demonstranten und Funktionäre von Studentenorganisationen wurden inhaftiert. Doch die Forderung nach tiefgreifenden Reformen, die Mussawi im Wahlkampf geäußert hatte, wirkt bis heute nach: »Sie wird von Studentengeneration zu Studentengeneration weitergegeben,« sagt Studentin Maryam, »er hat für uns ungefähr die Bedeutung wie Nelson Mandela oder Mahatma Gandhi. Er ist ein Symbol.«
»Da wächst eine Generation heran, die anders denkt,« sagt Sayed Fazlollah Mussawi, konservatives Mitglied des Wächterrates, der alle Kandidaten für öffentliche Ämter und sämtliche Gesetzgebung auf ihre Vereinbarkeit mit den in Iran geltenden islamischen Glaubensauslegungen prüft. »Es wäre fatal, zu glauben, dass man das durch Verbote bekämpfen kann.« Stattdessen müsse das System zulassen, dass Ideen entwickelt und diskutiert werden. Man müsse die »guten Ideen« aufgreifen. »Grundlegende Veränderungen, wie sie gewisse Personen 2009« gefordert hät- ten, seien aber »schädlich für die Zukunft des Landes.« Dann nennt er die Beispiele Irak und Syrien: »Die Angriffe auf unser Herz sind die Vorboten dessen, was passieren würde, wenn man vom erfolgreichen Weg der islamischen Revolution abweicht. Wir als Wächterrat sorgen für moralische und politische Richtlinien und Stabilität, die für die öffentliche Ordnung wichtig sind.«
Draußen, an einem Plakatständer vor dem Eingang des Gebäudes des Wächterrats wirbt ein Fitness-Studio für einen Kurs in »fortgeschrittenen Bewegungsübungen«. Die Worte wurden mit einem Aufkleber auf das Plakat geklebt. Schwach ist zu erkennen, dass ursprünglich »Zumba« dort stand. Doch vor einer Woche hatte der Wächterrat entschieden, dass es sich dabei um Tanz handelt, und der ist laut seiner Weisung unmoralisch und verboten.
»Vor ein paar Jahren hätten wir die Kurse wohl abgesagt,« sagt Mohsen Sawadchoui, der Chef des FitnessStudios. »Heute lachen wir drüber. Wir haben die Übungen ein bisschen verändert; jetzt ist es nur noch Gymnastik mit Musikbegleitung.« Ein älterer Herr ruft derweil von einem Laufband, dann möge man sie doch bitte alle abführen: »Dann müssen sie eben das ganze Land einsperren.«
Am Tresen legt derweil ein Revolutionsgardist das Geld für den Kurs auf den Tisch.
Man erwartet zu allererst, dass die Regierung dafür sorgt, dass genug zu essen auf dem Tisch steht, man eine gute Gesundheitsversorgung hat und sicher über die Straße gehen kann.