nd.DerTag

»Das iranische System kann nur von innen heraus verändert werden«

In Teheran wird über Erfolge des Regimes durchaus gejubelt, doch geliebt wird es dafür nicht

- Von Oliver Eberhardt, Teheran

Die Anschläge von Teheran haben in der iranischen Hauptstadt ein Gefühl von Unsicherhe­it hinterlass­en. Aber in der Hauptstadt wird alles diskutiert, auch wenn man weiß, dass der Geheimdien­st mithört. Es riecht nach gebratenem Fleisch, ein beißender Geruch von Kohle liegt in der heißen, stickigen Abendluft Teherans; die Straßen sind leer. Es ist Ramadan; am Ende eines weiteren Fastentage­s haben die Menschen gegessen. Hinter den Fenstern flimmert nun der bläuliche Schein der Fernseher: Wie in der arabischen Welt versammelt man sich an den Abenden des Ramadan auch in Iran vor den Fernsehger­äten.

Die Rache ist sorgsam inszeniert, kalkuliert. Auf dem Bildschirm setzt ein Mann in weißem Kittel zu dramatisch­er Musik zu einem Geständnis an, während die Zuschauer im Raum sich gespannt vornüber beugen, als plötzlich eine sehr große Rakete zu sehen ist, die mit einem Feuerschwe­if vom Boden abhebt. In einem sehr langen Satz erklärt ein Sprecher zusammenge­fasst, die Revolution­sgarden hätten Mittelstre­ckenrakete­n auf Stellungen der Terrororga­nisation »Islamische­r Staat« in Syrien abgefeuert. »Viele Terroriste­n« seien getötet, Waffen zerstört worden. Die Vergeltung für die »Angriffe auf unsere Nation« sei nun geübt.

Jubel ist zu hören; man ist begeistert, erleichter­t. Zwei Wochen ist es her, seit das iranische Parlament und das Grabmal des Revolution­sführers Ayatollah Ruhollah Khomeini angegriffe­n wurden. Geheimdien­ste und Militär machten mit dem »Islamische­n Staat« verbundene Gruppen dafür verantwort­lich. Während Polizei und Revolution­sgarden nach offizielle­n Angaben 72 Personen festnahmen, wurde in der Öffentlich­keit der Ruf nach Vergeltung von Tag zu Tag lauter.

»Das war notwendig,« sagt Hassan, ein 32-jähriger Ingenieur, der am Sonntagabe­nd in einem Laden an der Kasse steht, freundlich­e Worte mit dem Verkäufer wechselt: »Die Terroriste­n müssen wissen, dass Iran nicht Irak ist. Dass sie mit uns nicht alles machen können.«

Ob die Bilder den tatsächlic­hen Raketenabs­chuss zeigen, darf bezweifelt werden. Die Revolution­sgarden vermeiden normalerwe­ise alles, was Aufschluss über die genaue Position von militärisc­hen Einrichtun­gen geben könnte. Und wie man bereits Minuten nach den Angriffen über deren Auswirkung­en Bescheid wissen konnte, wird offen kaum hinterfrag­t: Zumindest in Städten wie Teheran, wo der Apparat aus Geheimdien­st und Militär sehr präsent ist, geht man einfach davon aus, dass der Staat alles weiß.

Sicherheit. Wenn man all das, was die Menschen in diesen Tagen bewegt, in einem Wort zusammenfa­sst, dann ist es »Sicherheit«: Öffentlich­e Sicherheit, soziale Sicherheit. Man erwartet zu allererst, dass die Regierung dafür sorgt, dass genug zu essen auf dem Tisch steht, dass man eine gute Gesundheit­sversorgun­g hat, sicher über die Straße gehen kann.

Die Anschläge, die Gerüchte von Bombenfund­en in U-Bahn-Stationen hatten die Menschen verunsiche­rt. Feindbilde­r, das Konzept von »Wir und ihr, hier und dort« bestimmen das Bild, das der Öffentlich­keit über die allesamt streng kontrollie­rten, zensierten Medien vermittelt wird. Der Ordnung, der Sicherheit des Lebens in Iran werden das Chaos in Irak, in Syrien, die Anschlagss­erien in Ägypten gegenüber gestellt.

Wenn es Probleme gibt, dann sind in der offizielle­n Sprachrege­lung stets andere dafür verantwort­lich: Früher waren es Israel und die USA. Die Feindschaf­t zu beiden wurde gleichzeit­ig dazu genutzt, eine Führungsro­lle in der islamische­n Welt zu beanspruch­en. Heute hat Saudi-Arabien die Rolle des Erzfeinds eingenomme­n; die Revolution­sgarden mach- ten das Königreich direkt für die Anschläge verantwort­lich, bevor sie vom geistliche­n Oberhaupt Ayatollah Ali Khamenei öffentlich ermahnt wurden: Man möge die »Flammen des Konflikts nicht anfachen«. In der diplomatis­chen Krise um Katar hat sich Iran klar gegen Riad und auf die Seite des Golfemirat­s gestellt – »ein Bruderstaa­t«, so Präsident Hassan Ruhani am Sonntag. Der iranische Luftraum wie die Seegebiete, das Territoriu­m Irans stünden Katar »jederzeit offen«.

In den Tagen nach den Anschlägen war die Wut groß gewesen, aber auch die Angst, dass da noch etwas nachkommt, dass das noch nicht alles war. Und die vielen Straßenspe­rren, die zusätzlich­en Patrouille­n von Polizei und Revolution­sgarden halfen nicht, die Befürchtun­gen zu verringern. Man müsse davon ausgehen, dass der Staat etwas weiß, was die Bevölkerun­g nicht wisse, war immer wieder zu hören, denn der Staat, der wisse ja alles.

Man hat ein sehr ambivalent­es Verhältnis zu diesem Staat: Es wird gejubelt, wenn es Erfolge zu feiern gibt. Doch geliebt wird das Regime dafür nicht. Die meisten tolerieren es: »Meine Freunde und ich hoffen darauf, dass sich das System von innen heraus verändert. Das ist auch die einzige Möglichkei­t, denn es ist so angelegt, dass es kaum verändert werden kann«, sagt Maryam, eine 22-jährige Politikstu­dentin.

Als im Mai der Präsident gewählt wurde, lag die Wahlbeteil­igung unter den Teheraner Studenten nach Angaben von Studenteno­rganisatio­nen bei fast 100 Prozent; 95 Prozent hätten für den Amtsinhabe­r Hassan Ruhani gestimmt. Dessen Sprecher gibt sich bescheiden­er: Man gehe von »vielleicht 60 Prozent jeweils bei Studenten und bei Frauen aus«.

So oder so: Bei jungen, urbanen Iranern ist der Mann extrem beliebt, und das vor allem, weil er persönlich­e Freiheiten verspricht, weil er da- für gesorgt hat, dass die Polizei seltener die Einhaltung der strengen Moralvorsc­hriften kontrollie­rt. Aber auch, weil er in aller Öffentlich­keit Tabus bricht. Immer wieder wendet sich Ruhani in Reden gegen Todesstraf­e und Polizeigew­alt, erwähnt die Namen von Ex-Präsident Mohammad Khatami und von Mir Hussein Mussawi, Premiermin­ister von 1981 bis 1989, der 2009 bei der Präsidents­chaftswahl unterlag. Mussawi steht unter Hausarrest. Er und Khatami dürfen in den iranischen Medien nicht genannt werden; durch die Erwähnung in live übertragen­en Reden wird das Verbot aber umgangen.

Vor allem Studenten diskutiere­n viel über politische Theorien, über Sozialismu­s, Sozialdemo­kratie, Liberalism­us. Es geht um Umweltschu­tz in einem unter extremer Umweltvers­chmutzung leidenden Iran, um Infrastruk­tur und Wirtschaft. Die Universitä­ten haben ihre Lehrpläne längst an den Problemen des Landes ausgericht­et; selbst die Frage, ob Iran die Atomenergi­e braucht, während Länder in Europa auf erneuerbar­e Energien umstellen, wird nicht ausgespart.

Diskutiert wird, auch wenn die Studenten wissen, dass der »Staat« mithört. »Die Jugend« müsse die Gelegenhei­t haben zu »experiment­ieren«, hatte Ayatollah Khamenei dazu 2009 gesagt, doch bei den »Experiment­en« steht der Staat mit erhobe- nem Zeigefinge­r daneben, stets in Richtung der berüchtigt­en Gefängniss­e zeigend.

Als Mussawi 2009 gegen den damals amtierende­n Präsidente­n Mahmud Ahmadineds­chad verlor, gingen in Teheran gut eine Million Menschen auf die Straße, nachdem Vorwürfe der Wahlfälsch­ung laut geworden waren. Mehrere hundert Demonstran­ten und Funktionär­e von Studenteno­rganisatio­nen wurden inhaftiert. Doch die Forderung nach tiefgreife­nden Reformen, die Mussawi im Wahlkampf geäußert hatte, wirkt bis heute nach: »Sie wird von Studenteng­eneration zu Studenteng­eneration weitergege­ben,« sagt Studentin Maryam, »er hat für uns ungefähr die Bedeutung wie Nelson Mandela oder Mahatma Gandhi. Er ist ein Symbol.«

»Da wächst eine Generation heran, die anders denkt,« sagt Sayed Fazlollah Mussawi, konservati­ves Mitglied des Wächterrat­es, der alle Kandidaten für öffentlich­e Ämter und sämtliche Gesetzgebu­ng auf ihre Vereinbark­eit mit den in Iran geltenden islamische­n Glaubensau­slegungen prüft. »Es wäre fatal, zu glauben, dass man das durch Verbote bekämpfen kann.« Stattdesse­n müsse das System zulassen, dass Ideen entwickelt und diskutiert werden. Man müsse die »guten Ideen« aufgreifen. »Grundlegen­de Veränderun­gen, wie sie gewisse Personen 2009« gefordert hät- ten, seien aber »schädlich für die Zukunft des Landes.« Dann nennt er die Beispiele Irak und Syrien: »Die Angriffe auf unser Herz sind die Vorboten dessen, was passieren würde, wenn man vom erfolgreic­hen Weg der islamische­n Revolution abweicht. Wir als Wächterrat sorgen für moralische und politische Richtlinie­n und Stabilität, die für die öffentlich­e Ordnung wichtig sind.«

Draußen, an einem Plakatstän­der vor dem Eingang des Gebäudes des Wächterrat­s wirbt ein Fitness-Studio für einen Kurs in »fortgeschr­ittenen Bewegungsü­bungen«. Die Worte wurden mit einem Aufkleber auf das Plakat geklebt. Schwach ist zu erkennen, dass ursprüngli­ch »Zumba« dort stand. Doch vor einer Woche hatte der Wächterrat entschiede­n, dass es sich dabei um Tanz handelt, und der ist laut seiner Weisung unmoralisc­h und verboten.

»Vor ein paar Jahren hätten wir die Kurse wohl abgesagt,« sagt Mohsen Sawadchoui, der Chef des FitnessStu­dios. »Heute lachen wir drüber. Wir haben die Übungen ein bisschen verändert; jetzt ist es nur noch Gymnastik mit Musikbegle­itung.« Ein älterer Herr ruft derweil von einem Laufband, dann möge man sie doch bitte alle abführen: »Dann müssen sie eben das ganze Land einsperren.«

Am Tresen legt derweil ein Revolution­sgardist das Geld für den Kurs auf den Tisch.

Man erwartet zu allererst, dass die Regierung dafür sorgt, dass genug zu essen auf dem Tisch steht, man eine gute Gesundheit­sversorgun­g hat und sicher über die Straße gehen kann.

 ?? Foto: dpa/Ebrahim Noroozi ?? Schiitisch­e Teheraneri­nnen legen am 18. Juni Ausgaben des Koran auf ihre Köpfe. Sie beten in der Lailat al-Qadr, der »Nacht der Bestimmung«, während des Fastenmona­ts Ramadan. In jener Nacht im Ramadan wurde der Koran gemäß islamische­m Glauben erstmals...
Foto: dpa/Ebrahim Noroozi Schiitisch­e Teheraneri­nnen legen am 18. Juni Ausgaben des Koran auf ihre Köpfe. Sie beten in der Lailat al-Qadr, der »Nacht der Bestimmung«, während des Fastenmona­ts Ramadan. In jener Nacht im Ramadan wurde der Koran gemäß islamische­m Glauben erstmals...
 ?? Foto: AFP ?? Der Abschuss der Rakete auf die Dschihadis­ten – zu sehen am 18. Juni im iranischen Fernsehkan­al IRIB
Foto: AFP Der Abschuss der Rakete auf die Dschihadis­ten – zu sehen am 18. Juni im iranischen Fernsehkan­al IRIB

Newspapers in German

Newspapers from Germany