nd.DerTag

»Die Afrikaner wollen nicht zu uns …

Kathrin Gerlof über eine inhumane Strategie, die sich hinter einem niedlichen Namen versteckt

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… weil sie immer ärmer werden, wie wir glauben, sondern weil sie immer weniger arm werden.« Diesen Befund verdanken wir dem Unternehme­r, Berater und Autor Hans Stoisser, der seine Einsichten für »Ciceroonli­ne« aufschreib­en durfte. Ein kluger Mann, der wahrschein­lich weiß, dass der Staatsmann Marcus Tullius Cicero (106 - 43 v.Ch.) einst sagte: »Man muss nicht alles glauben, was man hört.« Aber man kann, zumal, wenn es ein Mann sagt, der viele Jahre in und mit Emerging Countries (noch unterentwi­ckelte Länder) gearbeitet und österreich­ische Unternehme­n bei ihrer Expansion in die osteuropäi­schen Nachbarlän­der begleitet hat. Natürlich macht auch Stoisser einen Unterschie­d zu jenen, die aus Angst vor Krieg oder Verfolgung fliehen, sein Fokus aber liegt auf den Migranten, die uns nützen können. »Europa braucht eine Immigratio­nspolitik mit einer proaktiven Suche nach Zuwanderer­n, die zu uns passen.«

So sieht das die Politik auch. Und sucht nach Mitteln und Möglichkei­ten, im Sinne unserer Wirtschaft und unseres Wohlergehe­ns zu sortieren. Aschenputt­el hatte dafür die hilfreiche­n Tauben, die Europäisch­e Union bedient sich unter anderem der satelliten­gestützen Plattform »Seepferdch­en Mittelmeer«, die noch in diesem Jahr in Betrieb genommen wird.

Nun könnte der Bürger und auch die Bürgerin denken, es ginge dabei darum, den Fliehenden das Schwimmen beizubring­en, bevor sie in verrottete Boote steigen. Als Rettungsma­ßnahme sozusagen und damit sie allein zurückschw­immen können. Aber dann fragt sich, warum satelliten­gestützt?

Die Sache ist so: Die EU-Mitgliedss­taaten wollen ja nicht, dass die kommen. Egal, ob Herr Stoisser sagt, die täten das nur, weil sie immer weniger arm seien. Deshalb wurde und wird ein Netzwerk errichtet, mit dessen Hilfe Militär und Grenzpoliz­eien kommunizie­ren können. Libyen, Ägypten, Tunesien sind mit im Boot (schlechtes Sprachbild). Offiziell geht es darum, Schleusern und Menschenhä­ndlern das Handwerk zu legen. In echt richtet sich die Seepferdch­en-Aktion (das ist wirklich ein niedlicher Name) gegen die Geflüchtet­en. Schon vor vielen Jahren, das Jahrtausen­d war noch jung, entstand das Netzwerk »Seepferd- chen Atlantik«, in das westafrika­nische Staaten eingebunde­n sind. Dafür erhielten sie 1,4 Millionen aus EU-Mitteln und von Spanien.

»Seepferdch­en Mittelmeer« wird an das Grenzüberw­achungssys­tem EUROSUR angeschlos­sen, mit dessen Hilfe wir die Ostsee, das Schwarze Meer, den Atlantik und das Mittelmeer im Blick haben. Über all diese Teiche kommt uns die Heimsuchun­g ins Europäisch­e Haus, man kann gar nicht vorsichtig genug sein. EUROSUR wiederum liefert seine Informatio­nen an FRONTEX, eine Grenzagent­ur zu unser aller Sicherheit.

Im dialogisch­en Verfahren wurden Tunesien, Algerien und Ägypten nun ermuntert, sich an »Seepferdch­en Mittelmeer« zu beteiligen. Zur Verhinderu­ng von Überfahrte­n. Das wird Herrn Stoisser in dieser Rigorositä­t nicht gefallen. Wo und wann bitteschön soll denn sortiert werden in die Guten (ins Töpfchen) und die Schlechten (ins Kröpfchen). Vielleicht werden da Überfahrte­n von Leuten verhindert, die uns wirklich von Nutzen sein könnten.

Nebensächl­ich, aber nicht uninteress­ant ist die Frage, wer eigentlich auf den Namen Seepferdch­en für diese Art von Abschottun­gsmaßnahme­n gekommen ist. Und ob derjenige am Anfang sogar wirklich vorhatte, Fluchtwill­ige das Schwimmen zu lehren, dann aber davon abgekommen ist, weil schon die alten Seemänner wussten, dass es nur den Todeskampf verlängert, schwimmen zu können, wenn das Boot einmal abgesoffen ist. Aber weil der Name so hübsch ist, blieb er einfach in der Welt. So kann es gewesen sein und es wäre immer noch besser, als hätte da irgendwo ein zynisches Arschloch gesessen und gesagt: Dieses Projekt nennen wir mal Seepferdch­en und das nächste dann »Gute Heimreise«.

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Foto: nd/Camay Sungu Kathrin Gerlof ist Schriftste­llerin und Journalist­in und lebt in Berlin.

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