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Frei und krank

- Von Finn Mayer-Kuckuk, Peking

Liu Xiaobos Entlassung erfolgt unter traurigen Vorzeichen. Der Schriftste­ller und Friedensno­belpreistr­äger kommt in China aus der Haft frei, weil er an unheilbare­m Leberkrebs erkrankt ist. Liu ist unter vielen in China inhaftiert­en Bürgerrech­tlern der prominente­ste Fall. Seine verbleiben­de Lebenszeit wird Liu nun im Krankenhau­s verbringen, wie aus der Mitteilung seines Anwalts hervorgeht.

Liu ist 61 Jahre alt und saß seit 2009 im Gefängnis, weil er Meinungsfr­eiheit und Demokratie gefordert hatte. Nach dem ersten Jahr in Gefangensc­haft hat er den Friedensno­belpreis für sein Engagement erhalten. Damit war Liu siebzig Jahre nach Carl von Ossietzky der zweite Regimekrit­iker, der den Nobelpreis in Haft zugesproch­en bekam. Die chinesisch­e Regierung brach die diplomatis­chen Beziehunge­n zu Norwegen ab und ließ durchblick­en, dass an eine Begnadigun­g nun nicht mehr zu denken sei.

Als junger Akademiker hatte Liu 1989 am Tor des Himmlische­n Friedens für Demokratie demonstrie­rt. Das brachte ihm eine erste, noch kurze Gefängniss­trafe ein. Die gesamten Neunzigerj­ahre über setzte er sich trotz aller Drohungen für Systemrefo­rmen ein. Er kam in ein Arbeitslag­er. Immerhin erhielt er einen Lehrauftra­g an der Pädagogisc­hen Universitä­t Peking.

Im Pekinger Olympiajah­r 2008 entwarf und unterschri­eb er die Charta 08, in der er und viele weitere Intellektu­elle die Vision eines anderen China entwarfen: als Land, in dem die Jugend politisch aktiv ist, in dem die Gesetze über der Partei stehen – und in dem verfassung­sgemäß mehrere Parteien konkurrier­en.

Dieses Dokument hatte große Durchschla­gskraft. Es verbreitet­e sich rasch im Netz und löste Begeisteru­ng aus. Verschiede­ne Widerstand­sgruppen identifizi­erten sich mit den Thesen und fingen an, sich zu vernetzen. Liu wurde wegen »Untergrabu­ng der Autorität des Staates« zu elf Jahren Gefängnis verurteilt. »Sein Name ist heute in China unbekannt und verunglimp­ft, doch eines Tages wird er als Held anerkannt werden«, hofft seine Frau Liu Xia.

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Foto: dpa Chinesisch­er Nobelpreis­träger Liu Xiaobo kommt frei.

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