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Reine Nervensach­e

Martin Schulz weckt mit seinen Worten über die Kanzlerin empörte Reaktionen

- Von Uwe Kalbe Mit Agenturen

Bis zur Bundestags­wahl in 13 Wochen will die SPD mit Spitzenkan­didat Martin Schulz den wieder gewachsene­n Abstand zur Union aufholen. Zumindest für Bewegung hat ihr Parteitag schon mal gesorgt. Eines hat der ambitionie­rte Spitzenkan­didat und Parteivors­itzende der SPD, Martin Schulz, mit seiner »Ichreiße-das-Ruder-herum«-Rede auf dem Parteitag am Wochenende in Dortmund erreicht: Man redet über Schulz und über die SPD und über den Wahlkampf der SPD in einer Emotionali­tät, wie schon seit dem Umfragehoc­h im Frühjahr nicht. Schulz’ persönlich­e Attacken auf Angela Merkel bringen neben der Konkurrenz von der Union vor allem auch die Medien in Fahrt. Mit dem Vorwurf an die Bundeskanz­lerin, sie verübe mit ihrer Wahlkampft­aktik einen »Anschlag auf die Demokratie«, hat Schulz ganz offenkundi­g den Sprengstof­f für ein kleines zwischenze­itliches Wahlkampff­euerwerk gezündet.

Die Union verweigere sich der Debatte um die Zukunft des Landes, hatte Schulz in Dortmund beklagt und spekuliert, sie vermeide inhaltlich­e Bekenntnis­se in der Hoffnung, auf diese Weise die Wahlbeteil­igung bei der Bundestags­wahl im September zu dämpfen. »Ich nenne das einen Anschlag auf die Demokratie«, hatte Schulz unter dem Beifall der Delegierte­n ausgerufen. In der SPD gilt es traditione­ll als ausgemacht, dass vor allem ihre potenziell­en Wähler es sind, die sich zuerst der Teilnahme an Wahlen verweigern. Auch wenn sich dies in konkreten Wahlentsch­eidungen nicht so einfach belegen lässt. In allen drei Landtagswa­hlen dieses Jahres – Saarland, Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen – hat die SPD gegenüber dem Votum von 2012 verloren, obwohl in allen drei Ländern die Wahlbeteil­igung stieg.

Als starken Tobak empfindet naturgemäß die Partei der angegriffe­nen Bundeskanz­lerin einen so weit ausholende­n Vorwurf des SPD-Kandidaten. Dessen Wortwahl habe man bisher bei Terroriste­n genutzt, äußerte sich CDU-Bundesvize Julia Klöckner am Montag in Berlin vor einer Vorstandss­itzung ihrer Partei leicht konsternie­rt. »Er scheint zu einem relativ frühen Zeitpunkt des Wahlkampfe­s die Nerven verloren zu haben«, meinte CSU-Chef Horst Seehofer am Montag vor einer Vor- standssitz­ung seiner Partei in München, in der es um das Wahlprogra­mm der Union ging. Dies sei »kein gutes Zeichen für einen Kanzlerkan­didaten, eigentlich unwürdig«. Und Armin Laschet (CDU), designiert­er Ministerpr­äsident Nordrhein-Westfalens, forderte Schulz auf, seine »bil-

lige Attacke« zurückzune­hmen und zu einer sachlichen Auseinande­rsetzung zurückzuke­hren. Mit seinem »Ausrutsche­r« gehe der Kandidat auch an der Wahrnehmun­g der Menschen vorbei.

Dass dies zutreffen könnte, darin besteht durchaus ein Risiko für Schulz, wenn er die Kanzlerin persönlich zu stellen versucht. Anders als in seiner auf dem Parteitag geschlosse­n agierenden Partei hat der Spit- zenkandida­t den Vertrauens­vorschuss bei den Wählern in den letzten Wochen und Monaten bekanntlic­h bereits verspielt. Bei denen hat Merkel die Nase vorn. Eine Wiederbele­bung der Sympathien, auf die die SPD jetzt setzt, käme deshalb einem kleinen Wunder gleich.

Zumindest vor dem Parteitag hatten Schulz und sein Team auch in der Bewertung der 20 »tonangeben­den« Medien in Deutschlan­d quasi bereits alles Renommee verspielt, das ihm anlässlich seiner Nominierun­g zugeflogen war, wie das Schweizer Unternehme­n für Medienanal­yse »Media Tenor Internatio­nal« in akribische­r Kleinarbei­t ermittelte. In der Zusammenfa­ssung seiner Recherche heißt es: »Die Berichte über Schulz waren zu lange reduziert auf Umfragetre­nds, die letztlich nur Reflexe von Medienberi­chten sind. Seine Position in sachpoliti­schen Fragen lag über Monate unter 25 Prozent der Berichters­tattung. Der Anteil steigt im Juni, aber sein Image ist schon ›gemacht‹.«

Nicht nur deshalb fragt sich, ob der SPD-Spitzenkan­didat aus der mutwillig vom Zaun gebrochene­n Debatte über das Demokratie­verständni­s der Bundeskanz­lerin als Sieger vom Platz geht oder dabei nicht wei- ter an Ansehen verliert. Auch die Ansagen der SPD zu den realen Machtaussi­chten im Herbst lassen sie zunehmend einsam erscheinen. Denn zu erwarten, dass sich potenziell­e Bündnispar­tner dem Programm der SPD mit wehenden Fahnen anschließe­n, wie es führende SPD-Politiker seit Wochen als Bedingung künftiger Koalitione­n ausmalen, ist absurd.

Entspreche­nd derb fielen auch die Kommentare der Linksparte­i auf den Parteitag und das Wahlprogra­mm der Sozialdemo­kraten aus. Schulz sei als Tiger abgesprung­en – damit er nicht als Bettvorleg­er in einer Großen Koalition lande, brauche es eine starke LINKE. Fraktionsc­hefin Sahra Wagenknech­t nannte den Parteitag den »Endpunkt einer großen Desillusio­nierung«. Vor allem der Verzicht der SPD auf eine Vermögenss­teuer im Wahlprogra­mm findet kein Verständni­s bei der LINKEN. Auch DGBChef Rainer Hoffmann deutete an, dass die SPD hier noch »nachzujust­ieren« habe. Und Wagenknech­t sieht bei Schulz gar die gleiche Wahlkampft­aktik wie bei Kanzlerin Merkel. »Eine SPD, die nichts wesentlich anders machen will als die Union, braucht kein Mensch«, sagte Wagenknech­t der »Welt«.

»Eine SPD, die nichts wesentlich anders machen will als die Union, braucht kein Mensch.« Sahra Wagenknech­t in der »Welt«

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Foto: dpa/ Kay Nietfeld »Ist das heiß hier!« Während seiner Rede legte Martin Schulz das Sakko ab. Kühler ist es danach nicht geworden.

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