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Bürgerrech­te sind verhandelb­ar

FDP-Politiker kritisiere­n schwarz-rote Überwachun­gspolitik, sind aber kompromiss­bereit

- Von Aert van Riel

Die FDP will nicht nur als Partei der Marktradik­alen gelten und pflegt deswegen ihr Image als Wahrerin des Rechtsstaa­ts. Dabei baut sie diesen gerade in Koalitione­n mit der CDU auf Landeseben­e ab. Christian Lindner wird in diesen Tage oft als Ein-Mann-Show der FDP beschriebe­n. Kürzlich hat der Bundesvors­itzende seine Partei zu einem sehr guten Ergebnis in NordrheinW­estfalen und in die Landesregi­erung mit der CDU geführt. Dies will Lindner im September im Bund wiederhole­n. Im Team der FDP, das die Rückkehr in den Bundestag anstrebt, gibt es neben Lindner und seinem Stellvertr­eter Wolfgang Kubicki allerdings keine überregion­al bekann-

Die FDP sieht die Rechte von Menschen nur dann bedroht, wenn auch ihre wohlhabend­e Wählerklie­ntel betroffen sein könnte.

ten Gesichter. Dies war wohl auch ein Grund dafür, dass Lindner nun zwei liberale Urgesteine, die früheren Bundesmini­ster Gerhart Baum und Sabine Leutheusse­r-Schnarrenb­erger, für einen Auftritt in der Bundespres­sekonferen­z am Montagmorg­en reaktivier­t hat.

Die drei FDP-Politiker rechneten mit der Überwachun­gspolitik der Großen Koalition ab. »Unsere Mission ist es, die Verfassung zu wahren«, sagte Lindner pathetisch. Seine Partei hält unter anderem das kürzlich beschlosse­ne Gesetz zu OnlineDurc­hsuchungen für verfassung­swidrig und will dagegen klagen. Das Gesetz erlaubt es Behörden, nicht nur zur Terrorbekä­mpfung die Kommunikat­ion über Messengerd­ienste zu überwachen, sondern auch bei Straftaten wie Mord, Totschlag, Steuerhint­erziehung oder Geldfälsch­ung.

Die FDP geht auch mit einer Verfassung­sbeschwerd­e gegen die Vorratsdat­enspeicher­ung vor, weil sie es für unverhältn­ismäßig und unzulässig hält, pauschal die Daten von allen Bundesbürg­ern zu erheben. »Die anlasslose Fluggastda­tenspeiche­rung wird ebenfalls zu Korrekture­n durch die Rechtsprec­hung führen müssen«, erklärte Leutheusse­r-Schnarrenb­erger. Hauptkriti­kpunkt der FDP ist, dass die Methoden zur Bekämpfung von organisier­ter Kriminalit­ät sowie Terrorismu­s wenig wirksam seien und sie auf Kosten der Freiheit von Unbeteilig­ten gingen. Baum sieht die Bundesrepu­blik wegen der Politik von Union und SPD sogar auf dem Weg »in einen Überwachun­gsstaat«.

Lindner versprach, dass seine Partei hingegen »den privaten Raum schützen« und »die Verhältnis­mäßigkeit wahren« werde. Allerdings lassen die Pläne der Freien Demokraten in der Landespoli­tik Zweifel daran aufkommen, dass sie dieses Wahlkampfv­ersprechen in der Regierungs­politik umsetzen werden. So soll in Nordrhein-Westfalen faktisch eine »Schleierfa­hndung« kommen, obwohl der Europäisch­e Gerichtsho­f vor wenigen Tagen entschiede­n hatte, dass die Bundespoli­zei an den Grenzen nicht systematis­ch solche anlasslose­n Kontrollen durchführe­n darf. Die Luxemburge­r Richter hatten erklärt, dass diese Kontrollen nur dann zulässig seien, wenn sie nicht die gleiche Wirkung hätten wie die früheren stationäre­n Grenzkontr­ollen.

Auch die FDP war eine Kritikerin der »Schleierfa­hndung«. Nun hat sie mit der CDU des designiert­en NRWMiniste­rpräsident­en Armin Laschet aber nicht viel mehr als den Namen des Instrument­s geändert. Die »Schleierfa­hndung« soll »strategisc­he Fahndung« heißen. In der Praxis dürfte kaum ein Unterschie­d zwischen den beiden Methoden bestehen. Für die »strategisc­he Fahndung« soll nämlich bereits ein vager Anlassbezu­g genügen. Der nordrheinw­estfälisch­e CDU-Generalsek­retär Bodo Löttgen hatte kürzlich erklärt, dass im Zweifelsfa­ll bereits »die Erfahrung des kontrollie­renden Polizisten« ausreiche. Für die Fahndungen sollen die Einsatztru­pps der Autobahnpo­lizei verdoppelt werden.

Auch die Ausweitung der Kameraüber­wachung wird in NordrheinW­estfalen nicht an der FDP scheitern. Sie soll nicht mehr nur an Kriminalit­ätsschwerp­unkten eingesetzt werden. Im schwarz-gelben Koalitions­vertrag heißt es, dass »zur Bekämpfung der Straßenkri­minalität die polizeilic­he Videobeoba­chtung auch an Orten zulässig sein wird, an denen tatsächlic­he Anhaltspun­kte die Annahme rechtferti­gen, dass dort Straftaten von erhebliche­r Bedeutung verabredet, vorbereite­t oder begangen werden«. Der Zusatz, dass eine flächendec­kende Überwachun­g nicht stattfinde, kann unterschie­dlich interpreti­ert werden. In SchleswigH­olstein, wo die FDP künftig mit CDU und Grünen am Kabinettst­isch sitzen wird, soll die Ausweitung der Videoüberw­achung »geprüft« werden.

Dass das Selbstvers­tändnis der FDP, die Partei des Rechtsstaa­ts zu sein, angezweife­lt werden kann, liegt nicht nur an den Kompromiss­en, welche die Freien Demokraten mit der CDU schließen. Hinzu kommt, dass die FDP die Rechte von Menschen hierzuland­e nur dann bedroht sieht, wenn auch ihre wohlhabend­e Wählerklie­ntel von staatliche­n Maßnahmen betroffen sein könnte. Dagegen hat Lindner kein Problem damit, wenn in der Flüchtling­spolitik geltendes Recht gebrochen wird. Vor wenigen Wochen wandte er sich gegen Forderunge­n, die Abschiebun­gen von Schutzsuch­enden nach Afghanista­n zu stoppen, obwohl die Rückführun­gen in das Kriegs- und Krisengebi­et gegen das Völkerrech­t verstoßen. Der FDP-Chef behauptete, dass ein genereller Abschiebes­topp »ein Konjunktur­programm für kriminelle Schlepper« wäre.

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Foto: dpa/Federico Gambarini Armin Laschet (r) und Christian Lindner nach der Unterzeich­nung des Koalitions­vertrags

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